
Gedenken in Selsingen: Trauer um gefallene Soldaten
Gedenkstunde Angehörige und Bundeswehr trauern um gefallene Soldaten
Selsingen - Die Fahnen der Kaserne Seedorf hängen auf Halbmast, die Ortsschilder in der Umgebung tragen schwarzen Flor. In Bussen wurden Hunderte Menschen zur Kirche in Selsingen gebracht: Soldatinnen und Soldaten, Angehörige, Gäste aus der Politik, Journalisten. Viele haben sich in ein Kondolenzbuch eingetragen, das die Bundeswehr ausgelegt hat.
An diesem Freitagnachmittag wird jener drei Fallschirmjäger gedacht, die am Karfreitag bei einem Gefecht mit den Taliban in der Nähe der afghanischen Stadt Kunduz getötet worden waren.
Die Särge der Gefallenen sind beim Gottesdienst in der St. Lamberti-Kirche aufgebahrt. Sie sind mit schwarz-rot-goldenen Fahnen bedeckt. An jedem Sarg halten sechs Kameraden der gefallenen Soldaten die Totenwache. Später werden die Gefallenen in einem Trauerzug aus dem Gotteshaus herausgetragen und in die Heimatorte der Soldaten zur Beisetzung gebracht. Die Kameraden der drei Soldaten wollen beim Auszug aus der Kirche ein langes Spalier bilden. Zuvor werden ein evangelischer und ein katholischer Militärdekan den Gottesdienst leiten, der vor der Kirche auf Videoleinwänden übertragen wird.
Vor Beginn des Gottesdienstes verneigten sich Kanzlerin Merkel und Verteidigungsminister Guttenberg vor den Särgen. Guttenberg sagte in seiner Rede während der Trauerfeier: "Wir stehen erschüttert, tief traurig und viele auch fassungslos hier und beklagen den Verlust von drei jungen Männern. Sie haben ihr Leben verloren, als und weil sie im Namen ihres Vaterlandes, weil sie in unserem Namen überaus tapfer und mutig ihren Dienst in Afghanistan geleistet haben." Und der Verteidigungsminister fuhr fort: "Was wir am Karfreitag in erleben mussten, bezeichnen die meisten verständlicherweise als Krieg. Ich auch."
Auch Merkel benutzte das Wort Krieg im Zusammenhang mit dem Einsatz in Afghanistan. "Die meisten Soldaten nennen es Bürgerkrieg oder einfach Krieg. Ich verstehe das gut." Merkel verteidigte die politische Entscheidung für die Entsendung der Bundeswehr an den Hindukusch. Die Bundesregierung stehe "bewusst" hinter dem Einsatz der Soldaten und Polizisten. Afghanistan dürfe nie wieder von Taliban und Qaida-Terroristen beherrscht werden. Allerdings sei der Einsatz schwieriger als zu Beginn vor acht Jahren gedacht, sagte Merkel. "Unser Einsatz in Afghanistan verlangt von uns Politikern, den Wahrheiten ins Auge zu sehen." Es sei immer wieder wichtig, sich klarzumachen, "warum wir junge Männer und Frauen nach Afghanistan schicken". Zum Abschluss ihrer Ansprache sagte Merkel an die toten Soldaten gewandt: "Ich verneige mich vor ihnen. Deutschland verneigt sich vor ihnen."
Unter den Trauergästen waren auch rund 250 Kameraden, die schon bald an den Hindukusch verlegt werden sollen. Ein gefährlicher Einsatz wartet auf sie. Wie gefährlich, zeigte sich abermals an diesem Morgen, gegen 9.30 Uhr: Die Taliban griffen in Kunduz erneut die Bundeswehr an. Ein Konvoi mit deutschen Soldaten war gerade auf dem Weg vom deutschen Camp in die Innenstadt, als ein an der Straße versteckter Sprengsatz gezündet wurde. Ein Fahrzeug des Typs "Wolf" wurde durch die Explosion so schwer beschädigt, dass es nicht mehr weiterfahren konnte. Soldaten wurden glücklicherweise nicht verletzt.
Es sind Zwischenfälle wie diese, die auch der Politik den Ernst der Lage in immer mehr klarmachen. Deswegen braucht es Gesten für die Öffentlichkeit. Auch die Kanzlerin weiß das. Zum ersten Mal nimmt sie an einer Trauerfeier teil. Und nicht nur das: Am Samstag wird sie auch das Einsatzführungskommando der in Potsdam besuchen, es ist der zweite Besuch eines Regierungschefs in der Kommandozentrale für die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der spontan anberaumte Termin soll signalisieren: Merkel sorgt sich um die Mission in Afghanistan, sorgt sich um die Soldaten dort. Seit dem Beginn ihrer Regierungszeit hatte die Kanzlerin das Thema stets lieber dem Verteidigungs- und Außenressort überlassen.