Gefangene der Taliban Ausländer haben vermutlich doch missioniert
Neu-Delhi - Den am Sonntag verhafteten 24 Mitarbeitern, darunter zwei US-Bürgern, vier Deutschen, zwei Australiern und 16 Afghanen, werfen die Taliban Missbrauch ihres Einsatzes für eine internationale Organisation namens Shelter Now International (SNI) durch christliche Missionstätigkeit vor. Im Büro der Organisation beschlagnahmte die Kulturpolizei der Islamisten nach eigenen Angaben Kassetten und Filme über das Christentum und Bibeln in der lokalen Sprachen Pushtu und Dari.
Unterdessen distanzierte sich die amerikanische Hilfsorganisation Shelter Now International in Wisconsin von der deutschen Gruppe. Diese habe manchmal vom Namen Shelter Now ohne Genehmigung von SNI Gebrauch gemacht, was zu der jetzigen Verwirrung geführt habe.
Die deutsche Gruppe fungiert nach eigenen Angaben unter dem Namen SNI bereits seit Jahren in Pakistan und Afghanistan. Dies wirft jedoch die Frage auf, warum die amerikanische Organisation, die ja auch selbst in den zwei asiatischen Ländern Hilfsarbeiten leistet, einen solchen angeblichen "Missbrauch" ihres Namens ohne Einwände hingenommen hat.
Verwirrung über Hilfsorganisationen
Esteban Witzemann von Shelter Germany in der Grenzstadt Peschawar erklärt indes: "Wir sind ein in Deutschland registriertes Flüchtlingshilfswerk unter dem Namen 'Shelter Germany' und haben unseren Hauptsitz im Christuszentrum in Braunschweig."
Witzemann weist die Angaben der Taliban zurück, wonach in einem Büro der Organisation "Beweise" gefunden worden seien, die eine Missionierung belegen würden. Es gebe keine Flugblätter mit christlichem Inhalt in lokalen Sprachen Pushtu und Dari, auch die gefundene Bibel wäre, so Witzemann, ein persönlicher Gegenstand der Mitglieder der christlichen Organisation. "Das entbehrt jeder Grundlage, ich dementiere die Vorwürfe definitiv", sagte er. "Andrerseits würde ich nichts gegen die Regierung der Islamischen Emirate Afghanistans (IEA) sagen. Wir haben eine sehr gute Beziehung zu ihr, auch unter dem Volk des Landes sind wir auf Grund unserer Hilfsprojekte sehr beliebt."
Desolate Lage im Land
Kriegsmüde nach zwei Jahrzehnten Zivilkrieg und erschöpft nach der verheerendsten Dürre seit 30 Jahren, benötigt die afghanische Bevölkerung zweifellos so viel internationale Hilfe wie nur möglich. Allein in Kabul sind Zweidrittel der rund eine Million Einwohner auf die Unterstützung ausländischer Hilfsorganisationen angewiesen, um zu überleben. Auch die Vereinten Nationen haben bereits mehrfach auf die humanitäre Krise in Afghanistan hingewiesen.
Und dennoch haben die fundamentalistischen Taliban den Hilfsorganisationen immer wieder Steine in den Weg gelegt. So erhielten Gruppen, einschließlich "Shelter Germany", bereits im Juli einen Brief der Taliban, in dem neben der Verbreitung von Material gegen das Regime auch der Versuch der Missionarisierung, der Genuss von Alkohol und lauter Musik, der Verzehr von Schweinefleisch und Autofahren für Frauen verboten wurde.
Shelter Germany habe sich nicht an die Vorschriften gehalten, lautet jetzt der Vorwurf der Taliban. "Andere Länder sind entsetzt über die Verhaftungen, doch was ist mit uns und unserer Religion? Sie haben unseren Glauben missachtet", sagte Salim Hakkani vom Ministerium zur Förderung von Moral und Verhütung von Lastern in Kabul. Obwohl gegen Gesetze stoßende Ausländer in Afghanistan bisher immer ausgewiesen wurden, kann Missionstätigkeit auch mit der Todesstrafe geahndet werden. Die Taliban behaupten, zwei der acht festgenommenen Ausländer hätten bereits "gestanden".
"Darüber liegen mir keine Informationen vor, und ich wüsste auch nicht, warum unsere Mitarbeiter irgendetwas gestanden haben sollten, was sie nicht getan haben", erwidert Witzemann.
Vorwürfe berechtigt?
Mitarbeiter der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) weisen dagegen auf die Herkunft der deutschen Organisation "Shelter Germany" hin. Hochrangige EKD-Quellen nennen sie eine "evangelikale christlich-konservative Organisation", die zwar im Christuszentrum der freien evangelischen Kirche in Braunschweig nur Räume gemietet hätte, aber mit dem Zentrum praktisch verzahnt wäre. Ihr Hauptanliegen, so die Quellen, wäre "Gemeindeentwicklung nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland". Und: "Alles spricht dafür, dass die Vorwürfe gegen die Shelter Germany in Kabul berechtigt sind."
Dennoch hat EKD-Auslandsbischof Rolf Koppe die Verhaftungen der Mitarbeiter inzwischen harsch kritisiert. Durch sie verhinderten die Taliban nicht nur Hilfsmaßnahmen im eigenen Land, sondern verstießen auch "gegen das Gebot der Menschlichkeit, das auch im Islam einen hohen Stellenwert" habe.
Bislang kein Kontakt
Momentan ist noch nicht abzusehen, wie die menschenverachtenden Taliban in den kommenden Tagen vorgehen werden. Laut Witzemann gab es trotz der bisher guten Beziehungen zu "Shelter Germany" noch keinen Kontakt, weder zu den Gefangenen noch zu den Taliban.
"Wir wissen gar nichts. Jeder Versuch, mit der Regierung Kontakt aufzunehmen, wurde abgewiesen. Aber über unsere afghanischen Mitarbeiter machen wir uns bedeutend mehr Sorgen, da die Leute, die sie festgenommen haben, mit den Menschen ihres eigenen Landes nicht unbedingt vorsichtig umgehen."