Gefecht bei Kunduz Hinterhältiger Angriff entsetzt deutsche Politiker

Minister Guttenberg: Einsatz in Afghanistan "gefährlich und gleichwohl notwendig"
Foto: Oliver Berg/ dpaBerlin/Kunduz/Kabul - Der Oster-Urlaub in Südafrika ist abgebrochen, Karl-Theodor zu Guttenberg wird vermutlich noch am Freitag nach Berlin zurückkehren. Auf die schweren Gefechte bei Kunduz, bei denen drei Bundeswehrsoldaten starben und fünf weitere verletzt wurden, reagierte der Verteidigungsminister mit Bestürzung. "Mit großer Betroffenheit habe ich heute von den Gefallenen und Verwundeten in Afghanistan erfahren müssen", sagte Guttenberg. "Ich bin in Gedanken und Gebeten bei den Soldaten und ihren Familien."
An ein Ende des deutschen Engagements am Hindukusch denkt er allerdings nicht - im Gegenteil. "Angesichts der Gefechte dieses Ausmaßes wird deutlich, wie gefährlich und doch gleichwohl notwendig der Einsatz in einem von kriegsähnlichen Zuständen erschütterten Afghanistan ist", sagte der Christsoziale. Nun soll sich sein Ministerium mit den Folgen des schweren Zwischenfalls befassen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich ebenfalls entsetzt über den "verabscheuungswürdigen und hinterhältigen Angriff auf unsere Soldaten". Den Angehörigen der Toten und Verletzten sprach sie ihr Mitgefühl aus. "Meine Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei den betroffenen Familien, bei den Verwundeten und bei unseren in Afghanistan gefallenen Soldaten."
Ähnlich äußerten sich Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Auch sie sprachen von einem "hinterhältigen Angriff". Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin sprachen den Angehörigen ihrerseits ihr Beileid aus und erklärten: "Der Vorfall zeigt, wie dringend eine Stabilisierungs- und Abzugsperspektive für Afghanistan ist."
Gefährlicher Einsatz in der Unruheprovinz
Der Isaf-Kommandeur für Nordafghanistan, Brigadegeneral Frank Leidenberger, sieht auch nach dem Angriff keinen Anlass für einen Strategiewechsel. "Die Lage ist unverändert", sagte er am Abend im Hauptquartier des Regionalkommandos Nord in Masar-i-Scharif. "Es ist auch ganz klar, dass die Opfer, die gebracht werden, nicht umsonst sein dürfen." Die Bundeswehr werde ihren Auftrag, die Bevölkerung vor den Taliban zu schützen, weiter durchführen. "Es ist sicher eine schwierige Phase, aber wir sind hier, um diesen Auftrag zu einem erfolgreichen Ende zu führen."
Die Bundeswehr war am Vormittag auf Patrouille nahe der Ortschaft Isa Khel in der afghanischen Unruheprovinz Chahar Darreh. Die Einsatzkräfte sollten die Gegend nach versteckten Sprengsätzen an den Straßen durchsuchen - nichts Ungewöhnliches in einer Region, die mit Sprengfallen gespickt ist. Als die Soldaten in einem kleinen Dorf aus ihren Fahrzeugen gestiegen waren, gerieten sie aus verschiedenen Richtungen unter schweren Beschuss.
Der Hinterhalt der Taliban funktionierte trotz der Feuerüberlegenheit der Deutschen. Kämpfer feuerten mit Sturmgewehren und Panzerfäusten auf die Bundeswehreinheit, schon in der ersten Phase der Attacke wurden drei der Fallschirmjäger, die einer Einheit aus Niedersachsen angehören, tödlich getroffen. Mehrere ihrer Kameraden wurden teils schwer verletzt.
Nach der ersten Attacke entsandte die Kommandoleitstelle Verstärkung. Die Kämpfe dauerten mehrere Stunden an. Als ein Fahrzeug mit Sanitätern der Bundeswehr dem Feuer der Taliban ausweichen wollte, fuhr es auf einen Sprengsatz, der an der Straße versteckt war. Dabei wurden weitere Soldaten verletzt. Da die Rettung über den Landweg zu gefährlich war, wurden die Verletzten später mit Hilfe von zwei US-Helikoptern gerettet und in die Klinik im Camp gebracht.
Die Gefechte waren erst am späten Nachmittag beendet, doch die Bundeswehr bleibt in Alarmbereitschaft. In der Gegend werden noch etliche Taliban vermutet, die jederzeit wieder zuschlagen könnten. Ein Reporter von SPIEGEL ONLINE ist im Camp vor Ort und wurde Zeuge des Geschehens.
Die Auseinandersetzung zwischen der Bundeswehr und den Aufständischen waren die schwerste seit Beginn der deutschen Mission in Afghanistan. Ranghohe Offiziere betonten kurz nach Bekanntwerden des Gefechts, dass die Taliban mit dem Hinterhalt bewiesen hätten, wie handlungsfähig sie trotz mehrerer Großoperationen und gezielter Missionen gegen ihre Führer im Norden noch sind. Folglich müsse man in naher Zukunft mit weiteren Attacken rechnen.
Taliban bekennen sich zum Angriff
Die Taliban prahlten umgehend mit dem Angriff. Ihr Sprecher Sabihullah Mudschahed sagte SPIEGEL ONLINE per Telefon, Taliban-Kämpfer hätten mehrere deutsche Fahrzeuge zerstört, es habe bis zu acht Tote gegeben. Die Angaben des Sprechers sind allerdings oft übertrieben. Nach Angaben des afghanischen Geheimdienstes sollen bei den Kämpfen mindestens fünf Taliban, darunter ein lokaler Kommandeur, um Leben gekommen sein.
Die Aktion war möglicherweise eine Reaktion auf einen neuen Bundeswehr-Vorposten in der Region, von dem aus die Soldaten den Unruheherd Chahar Darreh besser übersehen können. Schon bei Errichtung des Postens war es zu schweren Auseinandersetzungen mit den Taliban in der Region gekommen. Die gleiche Einheit, die nun drei Männer verlor, lieferte sich schon vor etwa zwei Wochen ein stundenlanges Gefecht mit den Taliban.
Das Gebiet Chahar Darreh gilt seit Jahren als Rückzugszone für Taliban-Kämpfer und deren Anführer. Die lokale afghanische Polizei ist in dem vom Lauf des Kunduz-Flusses durchzogenen Gebiet nicht präsent. Die Bundeswehr hat im vorigen Jahr die alte Polizeiwache in Chahar Darreh festungsartig ausgebaut, Infanterie-Einheiten operieren aus der Station heraus und verbringen die Nächte häufig dort.
Unter Kontrolle ist das Gebiet jedoch keineswegs, immer wieder kommt es hier zu Gefechten und Schusswechseln zwischen den Aufständischen auf der einen Seite und den Sicherheitskräften und der deutschen Armee auf der anderen. Zwar haben US-Einheiten in den vergangenen Monaten mehrere hochrangige Taliban-Führer entweder festgenommen oder getötet, die Aufständischen verfügen aber nach Einschätzung der Bundeswehr und der Geheimdienste weiterhin über funktionierende Kommandostrukturen in der Region, auch an Waffen mangelt es ihnen nicht.
Das Gebiet eignet sich durch starke Bewaldung und ein Netz von Kanälen geradezu perfekt für Hinterhalte durch die Taliban. Trotz der modernen Technik der Bundeswehr sind die Angreifer nur sehr schwer zu entdecken. Die Bundeswehr hingegen fällt mit ihren schweren gepanzerten Fahrzeugen, die nur auf befestigten Straßen fahren können, sehr leicht auf.