Cameron und der Geheimdienst-Skandal Im Land der schwarzen Helikopter

Cameron und der Geheimdienst-Skandal: Im Land der schwarzen Helikopter
Foto: ANDREW COWIE/ AFPEigentlich lief die Snowden-Affäre für den britischen Premierminister David Cameron gar nicht schlecht. Viele seiner Mitbürger und Wähler interessierten sich nach anfänglicher Erregung weder für den Überwachungsskandal noch dafür, dass der Geheimdienst GCHQ das mutmaßlich ambitionierteste Projekt zur Überwachung des weltweiten Datenverkehrs gestartet hatte. Die Opposition vollbrachte das Kunststück und machte sich weitgehend unsichtbar. Auch die Liberalen, die mit den Konservativen in der Regierung sitzen und traditionell für den Schutz der Privatsphäre kämpfen, rührten sich nicht.
Großbritannien ist nicht China, das Königreich ist kein autoritärer Überwachungsstaat. Großbritannien ist aber ein Land, in dem Überwachung zum Alltag geworden ist. In U-Bahn-Stationen, Krankenhäusern, an Straßenkreuzungen und im Bus blicken die kalten Augen des Sicherheitsapparats auf alles, was sich bewegt. Schätzungen zufolge gibt es bis zu sechs Millionen Überwachungskameras, eine Kamera auf elf Briten. Die meisten wurden nicht vom Staat, sondern von Firmen und Privatleuten installiert. Man fragt sich, wer überhaupt die Zeit hat, sich diese Bilder jemals anzusehen.
Die Geheimdienste erwarten von der Presse Unterwürfigkeit
Hin und wieder regt sich auf der Insel Widerstand. Doch viele Menschen akzeptieren die Ausspähung als Preis der Freiheit. Und im Gegensatz zu Deutschland werfen sich viele Journalisten in der Pose von Beschützern vor ihre Regierung in den Staub - besonders, wenn es um die Interessen des Vereinigten Königreichs in der Welt und die sogenannte nationale Sicherheit geht. Der Labour-nahe Blogger Dan Hodges steht stellvertretend für viele im politischen Betrieb von Westminster, als er nach der Festsetzung von David Miranda, des Lebensgefährten Glenn Greenwalds, fragte: "Ganz ehrlich, was erwarten wir von den Behörden? Dass sie ihn laufen lassen und sagen, hab eine schöne Reise, Junge?"
Es ist erstaunlich, wie viele Briten der Arbeit ihres Geheimdiensts blind und kritiklos vertrauen. Bei manchen haben die Government Communications Headquarters, kurz GCHQ, noch immer den Ruf eines Clubs gutmütiger Gentlemen in abgeschabten Tweedjacketts, die im Zweiten Weltkrieg die "Enigma"-Chiffriermaschine der Nazis knackten. Die Mehrheit der Menschen schart sich bei Kernfragen von Verteidigungspolitik, Souveränität und nationaler Selbstbestimmung instinktiv um ihre Regierung - auch wenn die Gefährdung der "nationalen Sicherheit" durch Edward Snowden für Großbritannien bislang nur eine Behauptung ist. Bislang konnten sich die Mächtigen in Westminster in großen Teilen darauf verlassen, dass sich Journalisten der Staatsräson beugen, wenn es um Belange der Geheimdienstarbeit ging.
Krieg um Abschreckung und Einschüchterung
Die Spione erwarten vorauseilende Unterwürfigkeit und Verschwiegenheit von der Presse im Land. Häufig bekommen sie die auch. Nicht anders lässt sich die Selbstverständlichkeit erklären, mit der sich offenbar Regierungsleute und GCHQ-Mitarbeiter beim Chefredakteur des "Guardian" meldeten und die Herausgabe oder Zerstörung von Festplatten verlangten. Das Überraschende daran ist vor allem die Selbstsicherheit, in der sich die Mächtigen wiegten, das alles käme nie ans Licht. Der Zeitung zufolge scherzte ein Geheimdienstmann nach der Zerstörung der Festplatten im Keller des Redaktionshauses: "Jetzt können wir die schwarzen Helikopter ja wieder zurückpfeifen."
Aus diesen Worten spricht das Bedürfnis des Staates nach kumpeliger Nähe. Dieser Anbiederung durch die Mächtigen müssen sich Journalisten entziehen, auch wenn ihnen dadurch gelegentlich Informationen und exklusive Nachrichten aus Geheimdienstquellen versagt bleiben. Spätestens mit dem stundenlangen Verhör von Miranda in Heathrow und der Festplatten-Aktion im Keller des "Guardian" haben die britischen Sicherheitsbehörden gezeigt, dass es ihnen ernst ist im Informationskrieg, der gerade angebrochen ist.
In diesem Krieg geht es auch um Abschreckung und Einschüchterung. Die schwarzen Helikopter waren ein schaler Witz eines Spions, aber weit entfernt scheint man auf der Insel davon nicht zu sein. Denn weshalb sonst sollte die Regierung, wie der "Guardian"-Chef Alan Rusbridger ausführlich beschreibt, Druck auf die Redaktion ausüben - lange Zeit nachdem die Enthüllungen Snowdens öffentlich wurden?
Weshalb sonst sollte man Datenträger zerstören, obwohl man ahnen kann, dass sich die Daten darauf längst vervielfältigt haben? Für die Briten jedenfalls bietet sich jetzt eine gute Gelegenheit, ihr allzu entspanntes Verhältnis zu ihrem Geheimdienst zu überprüfen.