

Washington - Die Sondereinsatzkommandos der irakischen Polizei waren berüchtigt: Wen sie schnappten, der kehrte oft mit schwersten Folterverletzungen zurück. Wenn er überhaupt wiederkam. Abertausende Menschen darbten während der US-Besatzung im Irak zwischen März 2003 und Dezember 2011 in den geheimen Gefängnissen der Sicherheitskräfte. Jetzt ergeben Recherchen des britischen "Guardian" und der BBC: Offenbar wurden diese Foltereinheiten von US-Veteranen geleitet - mit Wissen des Pentagons und des damaligen US-Generals im Irak David Petraeus.
Es wäre das erste Mal, dass sich die systematische Folter im Irak unmittelbar zu derart hohen Befehlsrängen zurückverfolgen ließe. Im Mittelpunkt der Anschuldigungen stehen zwei Männer: Colonel James Steele und Colonel James H. Coffman. Sie sollen das Folter-Netzwerk überwacht haben.
Aus seinen Einsätzen für die US-Streitkräfte in Zentralamerika dürfte gerade Steele einiges über brutale Verhör- und Foltermethoden gewusst haben. Die Übergriffe der aus den USA finanzierten paramilitärischen Einheiten in El Salvador in den achtziger Jahren sind gut dokumentiert. Steele überwachte damals als oberster Ausbilder das Training und die "Erfolge" genau dieser Einheiten.
"Guardian" und BBC zufolge baute er im Irak zusammen mit Coffman ein ähnliches System auf - mit bestem Wissen des US-Verteidigungsministeriums. Er wurde demnach von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld für den Job nominiert. Ursprünglich sollte der sunnitische Aufstand im Land durch die Verhöre eingedämmt werden.
Die "New York Times" hatte schon 2005 ausführlich über diese Verbindung berichtet - aber jetzt werden neue Details bekannt.
Schmerzensschreie und Räume "voller Blut"
"Man sah Steele und Coffman nie getrennt", erinnert sich General Muntadher al-Samari im "Guardian". Der Iraker arbeitete mit dem Duo an der Entwicklung der gefürchteten Einheiten. "Die beiden wussten genau, was hier passiert - die schlimmsten Arten von Folter." Laut "Guardian" berichtete Coffman unmittelbar an General Petraeus, nannte sich selbst dessen "Augen und Ohren im Irak".
Samari schildert erschütternde Szenen aus den Gefängniszellen: "Die Folterer kannten alle Tricks. Gefangene wurden aufgehängt und mit Stromschlägen geplagt. Manchen wurden die Nägel ausgerissen, besonders empfindliche Körperteile wurden gezielt geschlagen." Indizien, dass die beiden US-Veteranen selbst gefoltert haben, liegen nicht vor.
Steele und Coffman haben sich bisher nicht zu den Vorwürfen des "Guardian" und der BBC geäußert. Steele hat jedoch in der Vergangenheit jede Beteiligung an Folteraktionen abgestritten. Ein Petraeus-Sprecher erklärte, der General habe von "Übergriffen der Iraker auf Gefangene erfahren. Er habe diese Informationen aber sofort weitergegeben."
Petraeus besetzte von 2003 bis 2010 immer wieder leitende Funktionen der US-Kräfte im Irak, ab 2008 als Befehlshaber der US-Soldaten im Land. Zuletzt arbeitete er als CIA-Chef, bis ihn eine Sex-Affäre Ende 2012 zum Rückzug zwang.
Die britischen Medien berufen sich bei ihren Anschuldigungen auf zahlreiche Augenzeugenberichte sowie eine intensive Auswertung von Militärakten. Die Dokumente über Hunderte Folterfälle hatte WikiLeaks öffentlich gemacht.
Von der Folter- zur Hinrichtungseinheit
Als Quellen geben "Guardian" und BBC auch zwei westliche Journalisten an. Diese hatten für die "New York Times" im Irak recherchiert und dabei auch Steele getroffen. Bei einem dieser Treffen in einem Geheimgefängnis seien die Schmerzensschreie eines Häftlings deutlich zu hören gewesen. Zudem sei der Verhörzimmer "voller Blut" gewesen. Angeführt wurden die Spezialeinheiten von General Adnan Thabit.
Die Folterpraktiken der Geheimpolizei sorgten im Irak für erhebliche Proteste. Aufnahmen der Opfer wurden sogar im Fernsehen gezeigt. Auch langfristig hinterließ die Petraeus-Führung ihre Spuren im Irak. Kurz vor seinem Abschied aus dem Land hatte der General noch die Einsetzung von Jabr al-Solagh als neuem Innenminister abgenickt - entgegen der Warnung vieler Iraker. Unter Solagh schoss die Zahl der Foltervorwürfe in die Höhe.
Die zahllosen Brutalitäten der Einheiten - die sich immer mehr zu Tötungskommandos entwickelten - gelten als eine der Ursachen für den Bürgerkrieg, der den Irak jahrelang erschütterte. Beobachter gehen davon aus, dass Solaghs Einheiten dabei die Infrastruktur aus Geheimgefängnissen nutzten, die unter Aufsicht der Amerikaner entstanden war.
Schon früher wurde US-Einheiten im Irak Folter nachgewiesen. Im Jahr 2004 sorgte der Skandal um das Gefängnis Abu Ghuraib weltweit für Schlagzeilen. Damals hatte US-Wachpersonal Gefangene misshandelt und dabei Fotos gemacht. Das Pentagon entschuldigte sich zwar für den Vorfall und bestrafte einige Beteiligte. Stets wurde jedoch von "isolierten Vergehen" einzelner Soldaten gesprochen.
Sehen Sie hier ein Video von "Guardian" und BBC zu dem Thema:
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Schwere Vorwürfe: Laut britischen Medien könnte James Steele für den Aufbau eines Folternetzes im Irak verantwortlich sein. Der US-Veteran hatte in Mittelamerika paramilitärische Einheiten gedrillt - dann schickte ihn das Pentagon in den Irak.
Der zweite Mann: Zusammen mit James Coffman soll Steele geheimen Einheiten der irakischen Polizei bei der Errichtung von Foltergefängnissen geholfen haben. In den Zellen litten und starben ungezählte Menschen.
Höchste Befehlsebenen: Coffman gilt als enger Vertrauer von David Petraeus, Ex-General im Irak. Laut "Guardian" und BBC häufen sich die Indizien, dass Petraeus über die Vorfälle in den Zellen informiert war.
Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war es offenbar, der Steele persönlich für die Ausbildermisson im Irak auswählte. Auch er dürfte von Steeles Vergangenheit unter anderem in El Salvador gewusst haben.
Befehlshaber im Irak: Angeführt wurden die Spezialeinheiten von General Adnan Thabit. Rasch entwickelten sich die Einheiten von Folter- zu Tötungskommandos. Die zahllosen Untaten der Einheiten - die sich immer mehr zu Tötungskommandos entwickelten - gelten als eine der Ursachen für den Bürgerkrieg, der den Irak jahrelang erschütterte.
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