Geiseldrama in der Sahara Sicherheitskräfte zögern mit Befreiung der entführten Urlauber
Kairo - Alle Geiseln sind nach Angaben des ägyptischen Tourismusministers Zoheir Garrana wohlauf - aber wie lange noch? Es sei keine Befreiungsaktion geplant, die die Entführten in Gefahr bringen könne, sagte der sudanesische Außen-Staatsminister Mutrif Siddig. Das weitere Vorgehen werde mit den ägyptischen Behörden abgestimmt.
Die 19 Touristen - fünf Deutsche, fünf Italiener, eine Rumänin und acht Ägypter - befinden sich sudanesischen Berichten zufolge rund 25 Kilometer südlich der ägyptischen Grenze im Sudan. Von den verschleppten Italienern sind mindestens drei bereits über 69 Jahre alt, was für Geiselnehmer und Geiseln zum Problem werden könnte. Denn der Gilf Kebir, Schauplatz der Entführung, ist eine reine Wüstengegend. Die über 600 Kilometer westlich des Niltals gelegene Region ist weitgehend unbewohnt - und um diese Jahreszeit herrschen dort Temperaturen zwischen 40 und 45 Grad.
Ägyptische Behördensprecher behaupten, unabhängig von den Verhandlungen über eine Freilassung durchkämmten ihre Soldaten die Gegend. Doch das Areal ist riesig und bietet zahllose Verstecke in Höhlen.
Versteckte Grenzen
Zu den Entführten gehört auch der Ägypter Ibrahim Abderrahim, Besitzer des Unternehmens Aegyptus Intertravel, das die Reise in den Gilf Kebir organisiert hatte. Er schaffte es, sein Satellitentelefon zu behalten. Damit rief er seit Beginn der Geiselnahme mehrere Male seine deutsche Frau Kirsten B. an, die in Kairo lebt. Abderrahim behauptet, die Geiselnehmer seien Schwarzafrikaner. Allerdings leben im Gilf Kebir überwiegend Beduinenstämme.
Südlich des Gilf Kebir befindet sich beim Dschabal Uwainat das Länderdreieck Ägypten-Sudan-Libyen. Es gibt dort weder Grenzmarkierungen noch -posten, Reisende und Beduinen überqueren Landesgrenzen, ohne es selbst zu merken. Genau dort orteten sudanesische Behörden, die sich inzwischen eingeschaltet haben, das Telefon Abderrahims. Sudanesische Sprecher sagten, sie würden dennoch nicht versuchen, die Geiseln zu befreien, um sie nicht zu gefährden.
Die entführte Reisegruppe war wie viele andere von der in der westlichen Wüste gelegenen Oase Dahkla unterwegs zum Gilf Kebir gewesen. Der Wüstentourismus hat in Ägypten in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Die Reise dorthin kann nur in Autos mit Allradantrieb unternommen werden, dauert mehrere Tage und ist ausgesprochen beschwerlich. Dennoch ist die Gegend wegen ihrer Schönheit und Einsamkeit beliebt. Der Gilf Kebir besteht aus mehreren Plateaus aus dunklem Sandstein, an dessen Kanten sich Wadis und Dünen befinden. Im Gilf ist auch die berühmte, 10.000 Jahre alte "Höhle der Schwimmer", die der ungarische Saharaforscher Laszlo Almásy 1932 entdeckte.
Heute ist die südwestliche Wüste Ägyptens militärisches Sperrgebiet. Für eine Fahrt dorthin müssen bei ägyptischen Behörden eine Bewilligung eingeholt und ägyptische Führer und Wachmänner mitgenommen werden. Unter den Entführten sind das die acht Ägypter. Eigentlich ist das ägyptische Militär in diesem Teil der Sahara für die Sicherheit zuständig, doch Augenzeugen berichten, sie hätten im Gilf Kebir noch nie Soldaten gesehen. Wegen seiner Größe, der praktisch absoluten Trockenheit und der großen Hitze sind der Gilf und das Länderdreieck sehr schwer zu überwachen.
Minen im Sandboden
Politisch ist die Region allerdings hochbrisant. Vor allem Migranten, die von Ostafrika kommen und von der libyschen Küste aus nach Europa übersetzen wollen, ziehen durch das Länderdreieck. Libysche Behörden sollen dort angeblich Minen gelegt haben, um die illegale Migration zu verhindern. Die Wüstengegend ist aber auch ein Rückzugsgebiet der Rebellen aus der südlich gelegenen sudanesischen Kriegsregion Darfur. Auch ziehen Schmuggler aus Libyen, die ihre Ware in den Sudan bringen, durch die Wüstenzone.
Die jetzige Entführung ist nicht die erste Gewalttat gegen Touristen in der Region. Doch hat die ägyptische Regierung nun zum ersten Mal zugegeben, dass sich im Südwesten ein Verbrechen abspielt und ihre Vermittlung angeboten.
Unklar ist, ob dabei die rasche Bildung des deutschen und des italienischen Krisenstabs eine Rolle spielte oder eher die Hilflosigkeit Kairos. Es könnte auch sein, dass die libysche Regierung bei der Lösung des Dramas helfen will. Libyen liegt in der Nähe des Gilf und hat sich in der Vergangenheit bereits mehrmals in die Befreiung von Geiseln eingeschaltet - etwa auf den Philippinen und in Algerien.
Schon das dritte Verbrechen im Gilf Kebir
Beobachter wissen, dass sich viele Touristenführer seit Monaten weigern, wegen der sich häufenden Überfälle in den Südwesten Ägyptens zu fahren. Sie vermuten, die Räuber der Gegend hätten früher Dörfer und Lager in Darfur und im Tschad überfallen. Heute seien die Touristen beim Gilf Kebir zu einer leichteren und lukrativeren Zielscheibe geworden.
Bei der Geiselnahme handelt es sich um mindestens das dritte Verbrechen im Gilf Kebir in diesem Jahr. Im Januar und Anfang September fanden dort Raubüberfälle statt, die jedoch in Ägypten nicht publik gemacht werden durften. Im Januar teilte eine deutsch-englische Touristengruppe mit, ihr seien zwei ihrer vier Autos gestohlen worden. 15 mit Maschinengewehren bewaffnete Männer seien im Gilf Kebir auf zwei Pick-ups erschienen, berichtete damals eines der Opfer. Die Räuber hätten ihnen sämtliche Wertgegenstände abgenommen und seien dann mit den beiden besten Wagen der Touristen und ihren eigenen Pick-ups davon gefahren.
Als die Touristen damals den Überfall meldeten, glaubten die Polizisten ihnen nicht. Im Gilf Kebir seien noch nie Fremde beraubt worden, erklärten die Ordnungshüter in der Oase Dahkla nach Angaben der Opfer. Die Urlauber meinten anschließend, die Polizisten fürchteten vermutlich, dass eine Publizierung des Verbrechens den Fremdenverkehr gefährde. Der Tourismus ist heute mit sieben Milliarden Euro im Jahr der wichtigste Devisenbringer Ägyptens.