Geiseldrama "Mr. Blair, Sie haben Blut an Ihren Händen"

Die britische Geisel Kenneth Bigley ist tot. Das bestätigte die britische Regierung. Terroristen um Abu Mussab al-Sarkawi sollen den Ingenieur enthauptet und den Mord auf einem Video festgehalten haben. Der Bruder des Opfers führt jetzt erbitterte Klage gegen seinen Premier.

London - Es sind Sätze der Verzweiflung: "Bitte, bitte stoppen Sie diesen Krieg und verhindern Sie, dass andere ihre Leben lassen müssen. Es ist illegal, es muss aufhören. Mr. Blair hat Blut an seinen Händen." Kurz bevor er Reportern diese Sätze diktierte, hatte der Brite Paul Bigley heute Nachmittag die Nachricht von der Ermordung seines Bruders durch muslimische Extremisten erhalten.

Inzwischen bestätigte auch die britische Regierung den Tod der Geisel. Außenminister Jack Straw sagte am Abend in London, Bigley sei "barbarisch ermordet" worden. Straw sprach der Familie sein Beileid aus. Mit ihr habe das ganze Land "drei qualvolle Wochen" hinter sich.

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Geiseldrama: Der Todeskampf des Kenneth Bigley

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Etwas später gab auch Premier Blair selbst eine kurze Erklärung ab, die im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin sprach Blair der Familie des Opfers sein Beileid aus. Blair, der erst wenige Stunden zuvor von einer Afrikareise zurückgekehrt war, gab seine Erklärung von seinem Landsitz Chequers ab. Er empfinde "große Abscheu" für die Entführer, die drei Wochen lang mit dem Schicksal von Bigley "gespielt" hätten. Ihre Taten dürften aber nicht Oberhand über Menschen wie Bigley gewinnen, die dem irakischen Volk helfen wollten, sagte Blair.

Brutaler Mord auf Video

Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters ist auf einem Videoband zu sehen, wie Bigley eine Erklärung abgibt. Hinter ihm stehen sechs Extremisten. Einer von ihnen schneidet ihm nach der Erklärung den Kopf ab. Bigley habe einen orangefarbenen Trainingsanzug getragen, wie ihn die Gefangenen auf dem US-Stützpunkt Guantanamo Bay in Kuba tragen müssen, hieß es.

Der Fernsehsender Abu Dhabi hatte zuvor unter Berufung auf informierte Quellen im Irak berichtet, der 62-jährige Ingenieur sei von der Gruppe um den jordanischen Topterroristen Abu Mussab al-Sarkawi getötet worden.

Reuters wollte zunächst aus Kreisen Aufständischer in Falludscha erfahren haben, dass Bigley gestern Nachmittag in Latifiya nahe Bagdad geköpft worden sei.

Bigley war am 16. September entführt worden. Gleichzeitig waren die Amerikaner Eugene Armstrong und Jack Hensley in Bagdad verschleppt worden. Die beiden US-Bürger wurden bereits nach wenigen Tagen enthauptet. Zu der Entführung und den Tötungen bekannte sich Sarkawis Gruppe Tawhid und Dschihad.

Geiselnahme mit großer Medienwirkung

Keine der zahlreichen Geiselnahmen im Irak hatte bislang ähnlich starke mediale Auswirkungen gezeigt. In den vergangenen Wochen gab es bereits falsche Meldungen über den angeblichen Tod Bigleys. So hieß es am 25. September auf einer Internetseite, die dem Umfeld Sarkawis zugerechnet wird und auf der bereits mehrfach über Hinrichtungen berichtet worden war, Bigley sei exekutiert worden.

Kenneth Bigley hatte mehrfach in Videobotschaften an den Blair appelliert, sich für sein Leben einzusetzen. "Ich bitte Sie um mein Leben, haben Sie Mitleid, bitte", hatte Bigley zuletzt in einem in der vergangenen Woche veröffentlichten Video gesagt.

Bereits am 29. September war vom arabischen Sender al-Dschasira ein anderes Video veröffentlicht worden. Hinter Gittern kniend teilte Bigley darin mit, seine Kidnapper wollten ihn nicht töten. Er beschuldigte den britischen Premier Tony Blair, nichts zu seiner Freilassung zu tun. Blair erklärte stets, seine Regierung werde nicht mit Geiselnehmern verhandeln. Der Regierungschef steht wegen seiner Irak-Politik innenpolitisch stark unter Druck.

Zwischenzeitlich hatte es geheißen, der Sohn des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi wolle sich um die Befreiung Bigleys bemühen. Seine Wohltätigkeitsorganisation nutze ihre guten Kontakte im Irak und habe Gespräche aufgenommen, hieß es.

Auch Palästinenserpräsident Jassir Arafat hatte seine Unterstützung in dem Fall angekündigt. Arafat wollte einen ranghohen Getreuen, der viele Jahre im Irak zugebracht habe, damit beauftragen, Kontakt zu den Entführern aufzunehmen.

Die Entführer Bigleys forderten die Freilassung aller im Irak von den Besatzungstruppen festgehaltenen Frauen. Die irakische Übergangsregierung hatte zwischenzeitlich erwogen, zwei Frauen aus irakischen Gefängnissen freizulassen. Die beiden bekanntesten der weiblichen Gefangenen sind die Wissenschaftlerinnen Rihab Taha und Huda Ammasch. Sie hatten für das Regime von Saddam Hussein an der Entwicklung waffenfähiger Milzbrand-Erreger gearbeitet. Sie werden im US-geführten Gefängnis am Bagdader Flughafen festgehalten.

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