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General al-Sisi: Neuer starker Mann am Nil

Foto: MOHAMED ABD EL GHANY/ REUTERS

Ägyptens Machthaber Sisi Der Generalheilsbringer

Seit dem Putsch am Nil ist Militärchef Abd al-Fattah al-Sisi der mächtigste Mann des Landes - und womöglich bleibt er es auch. Viele Ägypter können sich den General offenbar als künftigen Präsidenten vorstellen. Sisi gilt als modern, gläubig, schlau und taktisch versiert.

Streng und doch gütig. Religiös, aber modern. Unerbittlich gegenüber den Feinden Ägyptens, seinen Landeskindern hingegen ein wohlwollender Vater: So in etwa klingt es, wenn man Ägypter in diesen Tagen bittet, ihren idealen Staatschef zu beschreiben. Viele Befragte nennen sogar einen Namen: Abd al-Fattah al-Sisi. Er sei der richtige Mann für Ägypten.

Seit General Sisi am vergangenen Mittwoch vor die Kameras trat, um Präsident Mohammed Mursi für abgesetzt zu erklären, ist er der neue starke Mann am Nil. Inzwischen gibt es zwar einen Interimspräsidenten und einen Chef der Übergangsregierung, aber die haben de facto wenig zu sagen. Das Militär führt bis auf weiteres die Geschäfte.

Ein großer Teil der Ägypter scheint das durchaus zu begrüßen. Nach der großen Verunsicherung der vergangenen Monate, in denen nicht nur Ägyptens Wirtschaft litt, sondern auch die Sicherheitslage im Land immer schlechter wurde, wünschen sich viele Menschen Sicherheit, Wohlstand und eine Führungsfigur. Sisi könnte diese Wünsche bedienen.

Der 58-Jährige verkauft sich als moderner Anführer, der Ägypten mit neuen Methoden aus der politischen und wirtschaftlichen Krise bringen könnte. Sein guter Draht in die USA, wo er 2006 einen Kurs beim U.S. Army War College absolvierte, könnte ihm dabei helfen. Mit US-Verteidigungsminister Chuck Hagel pflegt Sisi regen Telefonkontakt.

Auf Tour in der Provinz

Sisi gilt als wendig und anpassungsfähig. Dies zeigte sich auch im April 2012, als der bis dahin fast unbekannte Chef des Militärgeheimdiensts vor die Kameras trat und die sogenannten Jungfräulichkeitstests verteidigte, die Militärangehörige an festgenommenen Demonstrantinnen durchgeführt hatten.

Die Prozedur, die andernorts mindestens als sexueller Missbrauch verfolgt worden wäre, rechtfertigte er mit einer kruden Argumentation: Sie hätte die Frauen vor Vergewaltigungen bewahren und gleichzeitig die Soldaten vor dem Vorwurf der Vergewaltigung schützen sollen. Dabei hatten etliche Betroffene berichtet, sie seien mit Elektroschocks gefoltert, erniedrigt und nackt fotografiert worden. Ein Sturm der Entrüstung brach los. Sisi schwenkte umgehend auf Schadensbegrenzung um, traf sich mit Menschenrechtsgruppen und gebot dem Treiben Einhalt. Ein rein pragmatischer Schachzug.

Seine taktischen Qualitäten zeigte Sisi erneut, als er im Sommer 2012 mit einer Reise durch Ägypten begann. Zu diesem Zeitpunkt schwand das Vertrauen der Bevölkerung in das bisher so beliebte Militär. Die Stimmung unter den 450.000 Armeeangehörigen war mies.

Sisi, der damals etwa auf Rang 150 der Hierarchie der Streitkräfte rangiert haben soll, sah seine Chance. Der begabte Redner machte sich auf, die Moral der Truppe wieder herzustellen. Tatsächlich sicherte sich der gebürtige Kairoer mit seinen Besuchen in Provinzkasernen in kürzester Zeit eine Gefolgschaft unter den niederen Rängen - ein beabsichtigter Nebeneffekt.

Schon bald wurde Präsident Mursi, gerade neu im Amt, auf den vergleichsweise jungen General aufmerksam. Er schien nicht zur alten Seilschaft der Mubarak-Gefolgsleute zu gehören, hatte aber starken Rückhalt in der Truppe. Dass Sisi tief religiös ist, bestärkte die Muslimbrüder in dem Glauben, in ihm einen treuen Partner gefunden zu haben. Im August 2012 setze Mursi den bisherigen Chef der Streitkräfte Mohammed Hussein Tantawi ab und übertrug Sisi den Posten.

Doch aus der gleichberechtigten Partnerschaft wurde nichts, das zeigte sich ultimativ in dem Moment, als Sisi öffentlich das Ende der Mursi-Präsidentschaft verkündete. Die Muslimbrüder hatten sich verkalkuliert. Sisis Loyalität galt immer und ausschließlich den Streitkräften. Der General und seine Kollegen im Obersten Militärrat verstehen sich als Hüter Ägyptens, als Instanz, die eingreift, wenn die Nation vom Kurs abweicht.

Oberstes Ziel ist die Sanierung der Wirtschaft

Sisi wird vorerst wohl noch im Hintergrund agieren. Für ihn hätte dies den Vorteil, dass er nicht direkt mit einem möglichen Scheitern des Neustarts am Nil verbunden wäre. Er könnte so die Schuld anderen, etwa der Übergangsregierung, zuschieben.

Doch eine aktivere Rolle des Soldaten ist nicht ausgeschlossen. Indizien dafür, dass sich viele Sisi als Präsident wünschen, sind neben Straßenumfragen die Auslagen der Souvenirhändler.

Stapelweise Sisi-Bilder sind bei ihnen im Angebot, seit einigen Tagen auch ein neues Motiv. Auf ihm wird Sisi neben Gamal Abd al-Nasser und Anwar al-Sadat gezeigt - beides Offiziere, die sich an die Macht geputscht und dann jahrelang als Präsidenten über Ägypten geherrscht haben. Sechs Jahrzehnte lang wurde das Land von Militärs regiert, ehe Husni Mubarak im Februar 2011 stürzte.

Welche Ambitionen Sisi wirklich hegt, wird sich zeigen, wenn es ihm gelingt, die Lage in Ägypten zu beruhigen, und die Wirtschaft Fahrt aufnimmt. Selbst wenn der Übergangsprozess misslingt, wird sein Militär weiter eine machtvolle Stellung einnehmen. Zu verlieren hat Sisi also wenig.

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