Georgien-Krise Europa versagt als Krisenhelfer

Geld und Helfer will die EU in den Kaukasus schicken, vielleicht sogar Soldaten auf Friedensmission. Die Entscheidung darüber fällt allerdings nicht in Brüssel - sondern wieder einmal in New York: Weil die Mitgliedsstaaten keine gemeinsame Linie finden, gibt die Uno vor, was Europa tun darf.

Brüssel - "Europa, wach auf - hilf Georgien", steht auf Englisch auf einem Transparent. "Die russische Besetzung muss gestoppt werden" auf einem anderen.

Die kleine Schar Demonstranten verliert sich vor dem mächtigen Justus-Lipsius-Gebäude im Zentrum des Brüsseler Europa-Viertels. Die EU-Außenminister, die hinter den schwarz getönten Glasfassaden seit Stunden tagen, haben sie nicht einmal gesehen. Ihre Dienstwagen rauschten auf der anderen Seite heran. Auf der Agenda steht die Situation in Georgien. Darüber, was Europa tun könne, tun müsse, reden sie. Doch hinter jedem Wortbeitrag steht immer auch die Frage nach dem Verhältnis zu Russland: Ist der langjährige Konflikt, der sich nun in einem Krieg entlädt, besser mit oder eher gegen Moskau zu lösen?

Die Antwort darauf trennt, wieder einmal, Europa in zwei Lager: "alt" gegen "neu".

Man müsse der "russischen Aggression" entschlossen entgegentreten, fordern die Polen und die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Der Jubel der Demonstranten wäre ihnen sicher, wenn diese es denn hören könnten. Von "russischem Imperialismus" ist die Rede, und davon, umgehend EU-Soldaten zu entsenden, die den labilen Waffenstillstand überwachen.

Viele der neuen EU-Mitglieder im Osten fühlen sich solidarisch mit Georgien. Nur wenige Jahre ist es her, dass sie selbst unter der Knute Moskaus standen. Jetzt, im Schutz von Nato und EU, wollen sie Russland mit Entschlossenheit und Härte begegnen. Die EU-Hilfen für den Wiederaufbau Tschetscheniens könnte man einfrieren, das ist ein Vorschlag. Ein anderer lautet, die Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland abzubrechen. So haben sie schon am Tag zuvor beim Nato-Meeting argumentiert - und dafür huldvolle Blicke der Amerikaner geerntet.

Auch David Miliband, der britische Außenminister, ist auf ihrer Seite. Noch vor dem Treffen mit seinen Kollegen hat er den Russen "offene Aggression" vorgeworfen und mit Konsequenzen gedroht.

Eine Mehrheit fand das an Washington ausgerichtete britisch-osteuropäische Lager für seine markigen Positionen aber nicht.

Meisterwerk diplomatischer Floskelkunde

Die meisten Europäer, vor allem der "alte" Kern des inzwischen auf 27 Mitglieder angewachsenen Clubs, wollen das mühsam aufgebaute Verhältnis zur russischen Führung nicht leichtfertig verspielen. "Völlig normal" nannte es Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, dass Russland "seine Interessen verteidigen will".

Sarkozy, derzeit Ratspräsident der Gemeinschaft, hat den Friedensplan mit Russen und Georgiern ausgehandelt und will weiter beide Seiten im Boot haben.

Das will auch Angela Merkel. An diesem Freitag will sie im Schwarzmeer-Städtchen Sotschi den russischen Präsidenten treffen und in der kommenden Woche im nahe gelegenen Tiflis dessen georgischen Amtskollegen.

Und weil auch Italiener und Iren und viele andere von "starken Statements mit einseitigen Verurteilungen" - so der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn - nichts halten, gerät der Beschluss der EU-Außenminister "zur Lage in Georgien" am Ende zu einem Meisterwerk diplomatischer Floskelkunde. Für jeden ist etwas drin. Für die unduldsamen Ostler gibt es "die Entschlossenheit der Union, aktiv an der wirksamen Umsetzung" des Friedensplanes mitzuwirken.

Doch was das meint, kann selbst der derzeitige Chef der Runde, Frankreichs Oberdiplomat Bernard Kouchner, nicht genau sagen. Soll nun eine EU-Friedenstruppe nach Georgien geschickt werden? "Nein", stottert der sonst so Redegewandte, "eher Kontrolleure, Beobachter, Vermittler". Und, es sei doch sowieso "egal, wie man das nennt".

USA und Russland nicken ab, was Europa tun darf

Nur "wenn die Konfliktparteien es wünschen", könne man sich ein aktives Engagement vorstellen, hatte EU-Chefdiplomat Javier Solana schon vor der Sitzung präzisiert. Also zum Beispiel "im Rahmen der OSZE", sagt der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier. In der OSZE – der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – reden 56 Staaten mit, darunter die USA, Russland und Georgien.

Weil die OSZE-Kompetenz aber in der Regel bei unbewaffneten Beobachtern endet, müsste ein robusteres Mandat an noch höherer Stelle beschlossen werden, bei der Uno in New York. Dort, im entscheidenden Sicherheitsrat, sitzen nicht nur Franzosen, Briten und Belgier mit am Tisch, sondern auch Amerikaner und Russen.

Diese sollen nun vorgeben, was Europa tun soll – und tun darf. Nur was die abnicken, wird Brüssel am Ende auf den Weg bringen.

So gibt es mit keiner der beiden Großmächte Ärger. Nur Enttäuschung und Streit in den eigenen Reihen. Aber das ist ja der Normalfall.

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