Geschäft Geiselnahme Verloren, vergessen, verkauft

Geiseln dienen ihren Kidnappern als Geldquelle, Druckmittel oder Lebensversicherung. Der Fall Ingrid Betancourt zeigt, auf welch abenteuerliche Weise sie oft befreit werden müssen, um heil aus der Gefangenschaft kommen - SPIEGEL ONLINE zeigt die spektakulärsten Entführungsfälle.
Von Friederike Freiburg und Yassin Musharbash

Berlin/Hamburg - Nach sechs langen Jahren in Gefangenschaft endlich frei - die Freude bei Ingrid Betancourt und 14 Leidensgenossen war so groß, dass die Rettung aus den Händen der Farc beinahe doch noch ein schlimmes Ende gefunden hätte. Die Befreiten jubelten derart über den Coup der Armee, dass der Hubschrauber, in dem sie in Sicherheit gebracht wurden, beinahe abgestürzt wäre.

Für die einstige kolumbianische Präsidentschaftsanwärterin war der Flug in die Freiheit gleichzeitig das Ende eines langen Leidensweges. Fünfmal versuchte sie zu fliehen - vergebens. Sie wurde angekettet, magerte ab, wurde krank. Doch sie überlebte.

Sie war die bekannteste Geisel der Farc, doch bei weitem nicht die einzige: Noch immer hält die Guerilla-Truppe Hunderte weitere Menschen in geheimen Camps im kolumbianischen Dschungel fest. Viele warten seit Jahren auf ihre Befreiung, einige haben die Hoffnung schon beinahe aufgegeben.

Und auch anderswo - im Irak oder in Afghanistan etwa - ist die Gefahr groß, Opfer einer Entführung zu werden. Einige schaffen es nach Monaten oder Jahren letztlich in die Freiheit, andere kommen um.

Vergessen im Dschungel, verscharrt im Wasserloch, entführt beim Joggen - SPIEGEL ONLINE zeigt die bewegendsten Schicksale:

Der Minister, der durch den Dschungel floh

Das Farc-Kommando überrumpelte Fernando Araujo beim Joggen in seiner Heimatstadt Cartagena in Kolumbien im Dezember 2000. Erst sechs Jahre später kam der einstige kolumbianische Handelsminister frei - durch einen Zufall.

Die Zeit seiner Gefangenschaft überlebte Araujo nach eigenen Angaben durch Disziplin. Während seine Entführer mitsamt ihrem Opfer stets in Bewegung blieben und von einem Camp zum anderen zogen, klammerte sich Araujo an Alltäglichkeiten wie Essen und Waschen. Am 31. Dezember 2006 dann die Chance: Auf einen Hinweis hin griff die Armee das Camp an, in dem sich der Entführte mit seinen Peinigern befand. Araujo nutzte das Chaos, um sich in den Urwald zu flüchten. Tagelang irrte er durch den Dschungel, bis er schließlich gerettet wurde.

Schätzungen zufolge sind derzeit noch mehr als 40 Politiker, Militärangehörige und Polizisten in der Gewalt der Farc - sie dienen als politische Geiseln. Hinzu kommen mehrere Hundert weitere Verschleppte, die schlicht Lösegeld einbringen sollen.

Seit seiner spektakulären Flucht hat sich Fernando Araujo stets für eine Lösung der Farc-Problematik eingesetzt - an höchster Stelle. Seit Anfang 2007 ist Araujo Kolumbiens Außenminister.

Gekidnappt im Hotel

Mehr als fünf Jahre war der deutsche Geschäftsmann Lothar H. in den Händen der Farc. Die Rebellen hatten den in Kolumbien lebenden Mann im März 2001 in seinem Hotel bei der Stadt Prado überwältigt.

Rund 300 Mal wechselten seine Entführer mit ihm das Versteck. Während der Geiselhaft zog H. mit seinen Kidnappern in Gewaltmärschen durch Hochgebirge des Landes, mehr als 2000 Kilometer legte er dabei zurück. Zwischenzeitlich verlor er die Hoffnung, jemals freizukommen. "Ich dachte, ich sei vergessen", erzählte er später der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Doch schließlich ließen ihn die Entführer im Frühjahr 2006 gehen, vermutlich nach Zahlung eines hohen Lösegeldes. "Ich konnte nicht weinen, nichts", berichtete er der Zeitung. "Ich war immer ein Wirbelwind, aber das ist vorbei. Er herrscht Stillstand in mir."

Zehn Jahre in Geiselhaft - und keine Ende absehbar

Ingrid Betancourt und einige andere Geiseln sind frei, doch Pablo Emilio Moncayo ist noch immer in den Händen der Farc - und das seit dem 21. Dezember 1997.

Im Alter von 19 Jahren - Moncayo hatte gerade als Fernmeldetechniker seinen Dienst beim Militär angetreten - entführten ihn Guerilleros. Er gehört zu den politischen Geiseln der Farc und wird nach der Befreiung der Gruppe um Betancourt umso wertvoller für die Guerillatruppe sein.

Ein Jahr nach seiner Entführung schrieb er seinen Eltern noch einen Brief: "Ich möchte, dass Ihr wisst: Es geht mir gut." Inzwischen ist Schreiben tabu, die einzige Verbindung zur Außenwelt ist eine Radiosendung, in der Angehörige Grüße an die Entführten richten dürfen. Moncayos Vater kämpft seit dem Verschwinden seines Sohnes für dessen Freilassung - bislang vergebens.

Kein Lebenszeichen seit Monaten

"Pfeile der Rechtschaffenheit": So nannte sich die Terrorgruppe, die im Februar 2007 in Bagdad die deutschen Staatsbürger Hannelore Krause und Sinan Krause entführte.

In mehreren Videos führten die Kidnapper, die sich stets als Islamisten präsentierten, ihre Opfer vor. Hannelore Krause bat in den Propagandavideos die Bundesregierung darum, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen. Ihr Sohn Sinan sprach in den Aufzeichnungen nicht, er wirkte sehr apathisch und mitgenommen. Hannelore Krause kam am 10. Juli 2007 nach 155 Tagen frei, Sinan blieb in Gefangenschaft. Bis heute ist unklar, ob die Geiselnehmer als Islamisten getarnte Kriminelle waren oder eine wirkliche Dschihadistengruppe. Von Sinan Krause fehlt seit etlichen Monaten jedes Lebenszeichen. Nach Informationen des SPIEGEL gehen die deutschen Sicherheitsbehörden davon aus, dass er nicht mehr am Leben ist.

Geiselnahmen sind im Irak seit 2004 an der Tagesordnung. Den Anfang machten dschihadistische Gruppen, die westliche Geiseln verschleppten und vor laufender Kamera grausam ermordeten. Doch schon bald gerieten auch Iraker ins Zielspektrum, denen man Abfall vom Glauben oder Verrat vorwarf. Zugleich begannen kriminelle Netzwerke mit massenhaften Geiselnahmen. Sie waren zuvorderst an Geld interessiert: Schulkinder, Bischöfe, alte Frauen - in manchen Monaten gab es im Irak Dutzende Entführungen. Wie viele tödlich endeten, ist vollkommen unklar, vor allem wenn Iraker die Opfer waren. Nur wenige Geiselnahmen zogen sich indes über mehr als einige Wochen oder Monate hin.

Die letzte Spur führt zum Wasserbohrloch

Mitte Dezember 2007 wurde der deutsche Schreinermeister Harald Kleber in der afghanischen Provinz Herat von Unbekannten aus seinem Auto heraus verschleppt. Aus der afghanischen Regierung verlautete später, die Entführung habe rein kriminelle Hintergründe - es seien zunächst 100.000, dann 50.000 Dollar gefordert worden. Kleber lebte seit 2003 in Afghanistan. In den Jahren 2004 und 2005 war Kleber unter anderem für die Hilfsorganisation "Grünhelme" tätig gewesen. Allerdings hatte der zum Islam konvertierte Mann, der sich Abdul Rahman nannte und eine Afghanin geheiratet hatte, immer wieder auch wegen Betrügereien Probleme mit der Justiz gehabt. Der Krisenstab der Bundesregierung glaubt denn auch, dass Kleber entführt worden sein könnte, weil es in seiner afghanischen Familie Streit um sein Geld gab.

Mittlerweile gehen deutsche Behörden nach Informationen des SPIEGEL davon aus, dass Kleber nicht mehr am Leben ist. Der 42-Jährige sei vermutlich entweder Anfang 2008 während eines massiven Kälteeinbruchs in der Geiselhaft erfroren oder habe die Strapazen der Geiselnahme an sich nicht überlebt. Auf eine Ermordung des Ambergers weise allerdings bislang nichts hin. Ein letztes unbestätigtes Lebenszeichen hatten die deutschen Behörden Anfang Februar über Mittelsleute erhalten. Mit Hilfe des afghanischen Geheimdienstes konnten sie nun sogar den mutmaßlichen Fundort der Leiche lokalisieren, die in einem Wasserbohrloch versteckt sein soll. Die Bundeswehr hat die Stelle mit "Tornado"-Flugzeugen schon vor Wochen überflogen und fotografiert.

Ob Klebers Leiche wirklich dort liegt, konnten die Bilder nicht klären. Sicherheitsbedenken hindern bisher sowohl die afghanische Armee als auch die internationale Schutztruppe Isaf, die Leiche aus dem Versteck zu bergen, in dem noch ein gutes Dutzend Tote aus anderen Entführungen vermutet werden. Den deutschen Behörden fehlt deshalb die Möglichkeit, Klebers Tod offiziell zu bestätigen.

Verschleppt, angekettet, in Einzelhaft

Mehr als sechseinhalb Jahre war der US-Journalist Terry A. Anderson in der Gefangenschaft pro-iranischer Schiiten im Libanon. Er wurde im März 1985 auf offener Straße in Beirut verschleppt und kam erst im Dezember 1991 wieder frei.

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Mehr als drei Jahre hielt der libanesische Hamadi-Clan zwei Mitarbeiter einer deutschen Hilfsorganisation meist aneinander gekettet versteckt. Die Männer waren im Mai 1989 in der Stadt Sidon überwältigt worden, um ein Familienmitglied aus deutscher Haft freizupressen. Im Juni 1992 kamen die beiden frei - wahrscheinlich gegen Zahlung eines hohen Lösegeldes.

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Vier Jahre und zehn Monate wartete der Sonderbeauftragte der Anglikanischen Kirche, Terry Waite, im Libanon auf seine Freiheit.

Nachdem er mit dem Islamischen Heiligen Krieg über die Freilassung von Geiseln verhandelt hatte, wurde der Brite im Januar 1987 selbst gekidnappt. Seine Peiniger hielten ihn zumeist in Einzelhaft. Im November 1991 kam er frei.

mit Material von dpa

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