Gescheiterte Richterkandidatin Miers Sieg des rechten Flügels

Herbe Niederlage für den US-Präsidenten Bush: Seine langjährige Vertraute Harriet Miers hat ihre Kandidatur für den Supreme Court zurückgezogen. Die Christlich-Konservativen triumphieren. Sie setzten darauf, dass Bush jetzt eine Richterin aus ihren Reihen nominiert.

New York - Vielen Republikanern war Harriet Miers suspekt: zu viele offene Fragen, zu wenig Bekenntnisse zu konservativen Positionen. Und dann war da noch die Sache mit dem Lotto. Ausgerechnet am Mittwoch kochte die hoch, als Harriet Miers in Washington einen neuerlichen, erschöpften Versuch machte, die republikanischen Senatoren im persönlichen Gespräch für sich als Kandidatin für den Supreme Court zu erwärmen. Stattdessen kamen Fragen auf: Ist es wahr, dass sie 1998, als Chefin der texanischen Lotteriekommission, einem alten Kumpel von George W. Bush einen lukrativen Lotto-Vertrag zugeschachert habe?

Donnerstag Morgen kam in aller Herrgottsfrühe noch eine weitere Hiobsbotschaft über die Nachrichtenticker: Concerned Women for America, die größte konservative Frauenvereinigung in den USA, forderte Miers Rückzug: "Wir glauben, dass viel besser qualifizierte Kandidaten übergangen wurden."

Da hatte Miers aber bereits aufgegeben und den Präsidenten informiert. Um 20.30 Uhr Mittwoch Abend war das, als die glücklose Kandidatin für den Obersten US-Gerichtshof in einem kurzen Telefonat mit Bush das Handtuch warf. Im Morgengrauen ließ sie ihr offizielles Verzichtschreiben direkt ins Oval Office übermitteln. Damit endete ein weiteres misslichstes Kapitel in Bushs krisengeschüttelter, zweiter Amtszeit.

Ein Kapitel, das ein grelles Schlaglicht auf die Probleme des Weißen Hauses wirft. Angesichts der erwarteten Anklagen im CIA-Skandal, der endlosen Pannen im Hurrikan-Katastrophenmanagement und der abgrundtief gesunkenen Popularitätsquoten scheint Bushs sonst so cleveres Strategenteam die Übersicht verloren zu haben. Ein Präsident, der seine Kandidatin nicht mal durch einen von den eigenen Leuten kontrollierten Senat bringen kann: Das ist ein Flop erster Güte - und ein klarer Sieg des rechten Parteiflügels. "Dies ist total daneben gegangen", wundert sich ein Washington-Insider. "Im West Wing herrscht Chaos. So was wäre früher nicht passiert."

Die Demokraten mussten dabei diesmal selbst keinen Finger rühren: Seelenruhig sahen sie mit an, wie die Nominierung der Bush-Freundin Miers zur US-Verfassungsrichterin auf den Abgrund zusteuerte - unterstützt durch kräftige Schubser der Republikaner.

"Ich bin sehr erfreut", triumphierte Senator Trent Lott, der frühere Mehrheitsführer der Republikaner und bis heute ein einflussreicher Strippenzieher hinter den Kulissen, Minuten nach Miers' Rückzieher. "Ich finde, sie hat die richtige Entscheidung getroffen."

Das war wohl das erste ernst gemeinte Lob, das Harriet Miers seit ihrer Benennung durch Bush vor etwas über drei Wochen zu hören bekommen hat. Noch am Tag ihrer Nominierung hatten die Proteste begonnen - und zwar an Bushs konservativer Parteibasis.

Miers - eine rundum uncharismatische, doch streng gläubige Anwältin aus Texas ohne jegliche Richtererfahrung - sei nicht qualifiziert für den Supreme Court, hieß es. Sie sei eine dieser typischen Bush-Seilschaften, die ihren Job nur einer langen Loyalität zum Präsidenten verdanken, kritisierten andere. Die schärfsten Einwände kamen von den fundamentalen Christen - jene bibelfeste Wählergruppe, die zwar keine Mehrheit hat in der Partei, aber trotzdem die lauteste Stimme.

Die Christlich-Konservativen hatten Bush seit seiner Wiederwahl im vergangenen November - die angeblich von keuschen, moralbewussten "Wertewählern" entschieden wurde - gedrängt, Richter an den Supreme Court zu nominieren, die das US-Abtreibungsrecht von 1973 wieder rückgängig machen würden. Dafür hatte Miers nicht die erforderlichen "credentials": Weder zeigte ihr magerer Lebenslauf - abgesehen von ihrer Mitgliedschaft in einer abtreibungsfeindlichen Splitterkirche, wo sie Betgruppen leitete - den gewünschten Rechtsdrall. Noch wollte sich Miers dazu in ihren Vorstellungsgesprächen mit den Senatoren seither sonderlich auslassen.

Bush hat die enorme Macht seiner Bibelbasis unterschätzt. Die triumphiert jetzt, wie sie auch nach der Präsidentschaftswahl schon triumphierte. Mit Abermillionen Dollar an Spenden im Rücken und von einem tiefen Missionarsdrang befeuert, haben die Christrepublikaner eine einmalige Gegenkampagne mobilisiert, um Miers' Aufstieg an den Gerichtshof zu verhindern und sie durch einen verlässlicheren Jünger zu ersetzen: Fernsehspots, Zeitungsanzeigen, Gastkommentare, Mundpropaganda. Es wirkte: Ein Dominostein nach dem anderen kippte um.

Miers sei für die von Bush sowieso tief enttäuschten Konservativen "der letzte Strohhalm", donnerte Robert Bork, dessen eigene Supreme-Court-Kandidatur 1987 im Sperrfeuer der Demokraten verendete. Dies, drohte Mathew Straver, der Präsident der konservativen Juristengruppe Liberty Counsel, werde die Partei "auf lange Zeit verfolgen".

Miers sägte auch selbst kräftig an ihrem Höckerchen. Den obligatorischen Fragebogen, den sie im Vorfeld ihrer Senatsanhörung ausfüllen musste, schickten ihr die Politiker indigniert zurück, so als sei sie eine mittelmäßige Schülerin: Ihre Antworten, schrieben sie in einer dramatischen, öffentlichen Züchtigung, seien "unangemessen", "ungenügend", sogar "beleidigend". So hatte Miers "vergessen", dass ihre Anwaltszulassung einmal drei Wochen lang suspendiert war, wegen rückständiger Mitgliedsbeiträge in der Berufsgenossenschaft.

Senator Arlen Spector, der Vorsitzende des zuständigen Justizausschusses, gab Miers eine Woche, den Fragebogen zu "überarbeiten". Die Frist verstrich gestern - ungenutzt. Die Forderung der Senatoren ans Weiße Haus, interne Arbeitsunterlagen über Miers' Zeit als Chefjustitiarin dort herauszugeben, lehnte Bush unterdessen ab. Miers' Schicksal war besiegelt.

Was nun? Das Personalkarussell dreht sich schon wieder - und: Bush kann sich keinen neuen Schnitzer leisten. Der nächste Kandidat wird ein garantierter Abtreibungsgegner. Ganz oben auf der Liste stehen die schwarze Bundesrichterin Janice Rogers Brown, für ihre erzkonservativen Urteile berüchtigt, sowie "die zwei Ediths": die Richterinnen Edith Clement und Edith Jones. "Ich freue mich voller Erwartung darauf", schmunzelte Bill Frist, Chef der Republikaner im Senat, heute Vormittag, "dass der Präsident den nächsten Kandidaten schnell nominiert."

Denn die nächste Krise kommt bestimmt: Patrick Fitzgerald, der Sonderermittler zur CIA-Plauderaffäre, hat angedeutet, dass er seine möglichen Anklagen gegen den innersten Machtzirkel im Weißen Haus spätestens morgen bekannt geben könnte.

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