Geteiltes Zypern Mambo im "Club der Verräter"
Nikosia - Andreas Paralikis, 50, hat es schon wieder getan. Der schnurrbärtige Zyperngrieche hat freiwillig Feindesboden betreten. Er hat die Wachtürme passiert, den Stacheldraht und die Sandsäcke. Jetzt sitzt er im sandsteinigen Innenhof des "Büyük Han" der "Großen Herberge" und blinzelt versonnen. Es ist Samstagmittag und Paralikis lässt sich freundlich von drei gestandenen Herren beschimpfen, Zyperntürken allesamt. "Warum sollte ich Griechisch lernen?" ruft ihm einer zu, Hasan Chirakli, ein Geschäftsmann im weißen Sweater. "Ist doch ne Mistsprache!" Paralikis legt ihm die Hand auf die Schulter. "Damit du weiterhin deine griechischen Kunden betrügen kannst." Raues Gelächter. Schulterklopfen.
Im "Büyük Han" haben sich soeben die "Verräter" zusammengefunden. Einmal wöchentlich treffen sie sich in der ehemaligen osmanischen Karawanserei zum Stammtisch, Männer aus dem türkischen und aus dem griechischen Teil der Inselhauptstadt, sie beraten, wie sie zusammen die Teilung Zyperns überwinden können. Die "Green Line", jene Uno-Grenze, die sich quer durch die Altstadt zieht und Nikosia von Lefkosa trennt, ist in ihrer Sichtweite.
Galgenhumor, Toleranz und Selbstironie
"Wir sind Verräter, weil wir Freunde sind", sagt Süleyman Ergüclü, der Chefredakteur einer türkischen Zeitung im Norden, "und weil wir das gleiche altmodische Ziel verfolgen: die Wiedervereinigung."
Ein Traum, so fern, dass der "Traitors Club" seinen Mitgliedern ein paar Regeln zur Bewältigung der Wirklichkeit mit auf den Weg gibt. "Galgenhumor, Toleranz und Selbstironie", das ist wichtig", sagt Hasip Erel, ein Unternehmer im Holzgeschäft. "Wir müssen über uns selber lachen können."
Ergüclü gründete den Stammtisch im Schicksalsjahr 2004, als der letzte Uno-Friedensplan für Zypern am überwältigenden Nein der griechischen Bevölkerung scheiterte. Bis dahin wuchs Hoffnung. Ausgerechnet Rauf Denktasch, der als unversöhnlich geltende Ex-Präsident der nur von Ankara anerkannten "türkischen Republik Nordzypern", hatte die Schlagbäume seines Paria-Staates geöffnet. Tausende waren über die Grenze geströmt, die einen mit Blaumann in den Süden, die anderen mit Einkaufstüte in den Norden.
Doch dem Wiedervereinigungsplan der Vereinten Nationen stimmten nur die Zyperntürken zu, sie wollten sich endlich aus der wirtschaftlichen Isolation ihres Landesteils befreien. Die Zyperngriechen lehnten den Plan mehrheitlich ab, sie fürchteten um den "hellenistischen Charakter" der Insel. Also blieb die Einheit aus, und ein geteiltes Zypern trat am 1. Mai 2004 der EU bei.
"Diese Insel ist zu klein"
Eine Riesenenttäuschung für Ergüclü: Er hatte als Neunjähriger den Bürgerkrieg erlebt, hatte mit ansehen müssen, wie Frauen und Kinder beider Volksgruppen abgeschlachtet wurden, das war 1963. Elf Jahre später schloss er sich dem Militär an und tötete selber, bevor die Türkei neben Großbritannien und Griechenland eine der drei Schutzmächte Zyperns 35.000 Soldaten schickte, ein Drittel der Insel besetzte und damit die Teilung Zyperns manifestierte.
"Ich will nicht, dass meine Kinder all das noch einmal erleben", sagt Ergüclü. "Diese Insel ist zu klein. Wir müssen eine Art der Koexistenz finden, um hier beide glücklich zu sein." Um ihre kostbare Freundschaft nicht zu strapazieren, hat der "Club der Verräter" sich noch eine andere Regel einfallen lassen: Zuviel Geschichte, zuviel Politik ist tabu! Spricht jemand länger als 15 Sekunden über allzu ernsthafte Themen, stimmt Ergüclü ein Lied an. Mambo! Das bedeutet: Themenwechsel! Politik habe die Herzen der Zyprioten vergiftet, glaubt Erel, vielmehr komme man sich über Begegnungen näher, über persönliche Kontakte.
"Ist ja auch gar nicht so einfach, befeindet zu sein, wenn man sich mag", sagt Chirakli. Dass sein wehrpflichtiger Sohn Mustafa bald im Norden den zweijährigen Kriegsdienst antreten muss, und dabei lernt, theoretisch Griechen abzuschießen, kommentiert Paralikis mit einem Achselzucken.
Theoretisch Türken töten zu können ist ja auch ein Ausbildungsziel seines Sohn Dimitris, der gerade in der Süd-Armee dient. Doch wenn der Zyperngrieche süffisant kommentiert, dass seinesgleichen bald zur Minderheit werde, weil man in der Türkei offenbar die Demographie der Insel verändern wolle und täglich neue Festlandtürken die Zypern überfluten würden, stimmen ihm seine Tischnachbarn sogar zu.
Ergüclü sagt, er halte wenig von seinen strenggläubigen Brüdern aus Anatolien, die den eher liberalen Islam der Zyperntürken verachteten. Hier nehme man die Glaubensregeln nicht ganz so ernst. Doch noch immer hängt Nordzypern am Tropf der Schutzmacht, 350 Millionen Dollar überweist Ankara im Jahr.
Weil das Handelsembargo der EU fortbesteht, können türkische Zyprioten nur über die Türkei Geschäfte machen. Ob sich daran etwas ändern werde, sobald die Türkei wie angekündigt einen Hafen für griechische Zyprioten öffnet? Sollte im Gegenzug die Isolation Nordzyperns aufgehoben werden? "Das Wichtigste ist ein Mentalitätenwechsel. Jeder hier muss kapieren, dass Griechen und Türken gleichberechtigt sind", sagt Chirakli. Und dann legt Paralikis sein Handy auf den Tisch. Buzuki-Klänge ertönen, dazu eine schluchzende Frauenstimme, sie singt auf Griechisch. "Das Lied heißt Agonia, dazu haben wir früher getanzt. Auf der ganzen Insel."