
Trauersites: Letzter Tribut für die Terror-Fürsten
Getötete Terrorführer Iraks al-Qaida vor dem Untergang
Berlin - Bis zuletzt hatten sie gehofft, es sei alles nur eine weitere "Lüge der Kreuzfahrer". Doch am Sonntag mussten die Anhänger von al-Qaida einsehen, dass die Führungsspitze der irakischen Filiale des Terrornetzwerks tatsächlich tot ist. Die Terrortruppe selbst bestätigte sechs Tage nach den entsprechenden Meldungen der irakischen und der US-amerikanischen Regierung, dass Abu Ajjub al-Masri und Abu Omar al-Baghdadi Anfang der Woche in der Provinz Anbar getötet wurden.
Die Trauer und die Verzweiflung der Anhänger al-Qaidas über diesen herben Doppelschlag brach sich unmittelbar nach dieser offiziellen Bestätigung tausendfach Bahn. Die Internetforen, in denen Cyber-Dschihadisten aus aller Welt sich austauschen, waren innerhalb von Minuten überschwemmt mit Beileidsbekundungen, Durchhalteparolen und Nachrufen.
"Es ist eine Gnade Gottes, dass sie als Märtyrer starben und nicht eingekerkert wurden", schrieb ein Sympathisant. "Ich weine, während ich dies schreibe, aber der Dschihad wird weitergehen bis zum Tag der Auferstehung", ein zweiter. "Die beiden haben alles erreicht, was man erreichen kann, nämlich den Märtyrertod", befand ein dritter.
Sogar Gedichte posteten einige Sympathisanten, in denen vom "Löwen Abu Omar" oder vom "schwertschwingenden Abu Ajjub" die Rede war. Abu Omar al-Baghdadi, dessen Klarname nach wie vor unbekannt ist, war der "Amir" des "Islamischen Staates Irak", einem von al-Qaida im Irak vor über drei Jahren ins Leben gerufenen Phantasiegebilde. Al-Masri war der offizielle Anführer von al-Qaidas Irak-Filiale und zugleich "Kriegsminister" unter Abu Omar. Gemeinsam waren sie nach dem Tod des Gründers der Filiale, Abu Mussab al-Sarkawi, 2006 auf den Schild gehoben worden. Zusammen brachten sie tausendfachen Tod über die Zivilbevölkerung des Irak.
"Beeilung, ein neuer Amir!"
Zwischen den Trauerbekundungen finden sich allerdings auch nüchternere Einträge. "Schnell, Beeilung bei der Ernennung eines neues Amirs!", mahnte ein Diskutant an. Andere argumentierten ähnlich: Es dürfe jetzt kein Vakuum geben.
Genau diese Frage dürfte derzeit auch das Terrornetzwerk selbst umtreiben. Wer soll nun an die Spitze rücken und an Stelle von Abu Ajjub und Abu Omar in hysterischen Audiobotschaften verkünden, dass der Zusammenbruch des neuen irakischen Staates nahe ist, dass die Schiiten Verräter sind und dass die Befreiung Jerusalems bevorsteht?
Die Terrortruppe, einst die gefährlichste aller Qaida-Filialen, verfügt über keine bekannten Kader mehr. Dass noch einer unter ihnen ist, der das Potential hat, neue Anhänger an sich zu binden, ist unwahrscheinlich. Diese Personalschwäche ist Ausdruck eines allgemeinen Niedergangs von al-Qaida im Irak, der seit etwa drei Jahren zu beobachten ist und für den es gleich mehrere Gründe gibt. Da ist zum einen der Umstand, dass viele einflussreiche Stämme sich gegen al-Qaida gestellt haben; hinzu kommt eine ineffektive Organisation al-Qaidas im Inneren und ständiger Streit. Der reichte so weit, dass nicht wenige freiwillige Kämpfer aus dem Ausland der Truppe den Rücken kehrten - enttäuscht und desillusioniert.
Tod durch eigene Fehler
Zwar mag al-Qaida noch immer imstande sein, hundertfachen Tod durch gut geplante Bombenserien über den Irak zu bringen, wie zuletzt im Monatsrhythmus in Bagdad.
Aber gut organisiert ist die Filiale nicht mehr. Der Tod von Abu Ajjub und Abu Omar ist Beleg genug dafür. Zum einen reichte den Sicherheitsbehörden die Festnahme eines einzigen Qaida-Kaders Mitte März aus, um in Erfahrung zu bringen, wo die sicheren Häuser al-Qaidas sind. Zum zweiten wurden diese, was höchst unprofessionell ist, nach der Festnahme eines Mitwissers nicht gewechselt. Und zum dritten tauchten Masri und Baghdadi zur selben Zeit am selben Ort auf, auch das wäre vermeidbar gewesen. Es hätte eigentlich nie passieren dürfen.
Es gibt für die Getöteten keinen natürlichen Nachfolger. Bisher in Erscheinung getreten ist allein Abu al-Walid al-Maschhadani, der "Minister der Scharia-Abteilung", der am Sonntag den Tod der Doppelspitze verkündete. Auch er ist jenseits seines Namens, der 2007 zum ersten Mal genannt wurde, so gut wie unbekannt.
Möglich scheint, dass al-Qaida im Irak sogar ganz darauf verzichten wird, einen neuen Amir zu benennen. In Maschhadanis seltsam verschwurbelten Kommuniqué findet sich ein Satz, der diesen Schluss zulässt. Die Führung der Truppe, schrieb er, sei in sicheren Händen. Vielleicht will sich niemand der Führungskader exponieren. Auch das wäre letztlich ein Eingeständnis der Sorge um das eigene Überleben.
Schleichender Niedergang
Al-Qaida im Irak wird unterdessen wohl kaum von einem Tag auf den anderen verschwinden. Aber dass das Netzwerk ernsthaft ins Wanken geraten ist, kann als gesichert gelten. Es habe noch Dutzende weitere Festnahmen gegeben, heißt es in Bagdad frohlockend. Die Überlebenden und noch auf freiem Fuß befindlichen seien dabei, außer Landes zu fliehen.
Die Erfahrung zeigt, dass der Verlust eines charismatischen und kompetenten Anführers einen schleichenden Niedergang auslöst (oder verstärkt). So war es etwa bei al-Qaidas Filiale in Saudi-Arabien nach dem Tod von Abd al-Asis al-Mukrin. Die Gruppe wurde anfällig für Infiltration, sie konnte ihre Sicherheitsstandards nicht mehr einhalten und wurde allmählich aufgerollt. Erst der Sprung über die Grenze in den Jemen revitalisierte sie.
Eine solche Option steht al-Qaida im Irak nicht offen. Wahrscheinlicher ist, dass eine Anzahl Verängstigter nun die Waffen klammheimlich niederlegen und nach Hause gehen wird. Ein harter Kern wird weitermachen wie bisher. Es wird weitere Anschläge geben. Und neue vollmundige Erklärungen. Ganz gewiss wird al-Qaida sich im Irak nicht auflösen.
Aber das Ende ist wahrscheinlich ein gutes Stück näher gekommen. Unter Sarkawi war al-Qaida im Irak zeitweise eine ernsthafte Bedrohung - für jeden Einzelnen und für den Bestand des Staates insgesamt. Unter Masri und Baghdadi schrumpfte sie zu einem massiven Sicherheitsproblem. Jetzt, nach dem Tod der beiden, wird al-Qaida im Irak wahrscheinlich dauerhaft geschwächt bleiben.