Gewalt gegen Kopten "Das Massaker von Alexandria schweißt uns zusammen"

Butros Butros Ghali: "Ägypten wird niemals einen Bürgerkrieg erleben"
Foto: Axel KrauseSPIEGEL ONLINE: Haben sich die Beziehungen zwischen Kopten und Muslimen nach dem mörderischen Anschlag von Alexandria verschlechtert?
Butros Ghali: Nein. Unsere Beziehungen sind viel zu alt, um zerstört werden zu können. und leben in Ägypten seit 14 Jahrhunderten zusammen. Es gab in dieser Zeit immer Hochs und Tiefs zwischen den Religionsgruppen, aber nie einen kollektiven Hass aufeinander. Ich bin eigentlich eher überzeugt, dass uns das Massaker von Alexandria noch zusammenschweißt.
SPIEGEL ONLINE: Sie sehen tatsächlich keine religiösen Spannungen in Ägypten?
Butros Ghali: Es gibt Angst und Wut, aber die entlädt sich nicht gegen den Islam oder das . Im Gegenteil. In ganz Ägypten haben Kopten und Muslime gemeinsam gegen den Terrorismus demonstriert. Mich erinnert das an die großen Demonstrationen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Ägypter gemeinsam unter dem Banner von Kreuz und Halbmond gegen die britischen Besatzer auf die Straße gingen.
SPIEGEL ONLINE: Viele interpretieren den Anschlag als vorläufigen Höhepunkt einer neuen Christenverfolgung im Nahen Osten.
Butros Ghali: Das mag auf andere Länder zutreffen, nicht auf Ägypten. Der Nahe Osten ist ein Pulverfass, in dem unterschiedlichste Gruppen einander bekämpfen. Da geht es längst nicht nur um Christen und Muslime. Im Irak gehen Sunniten auf Schiiten los, zünden Häuser an und sprengen Moscheen. Aber Ägypten ist anders. Hier sind die beiden großen Volksgruppen viel zu fest verwurzelt und mit der Geschichte unseres Landes verbunden. Ägypten wird niemals einen Bürgerkrieg erleben.
SPIEGEL ONLINE: Die ägyptische Regierung, aber auch die Muslimbruderschaft vermuten ausländische Terroristen als Drahtzieher des Anschlags. Was denken Sie?
Butros Ghali: Wir wissen nicht, ob es ausländische oder ägyptische Terroristen waren. In beiden Fällen stellt es eine große Gefahr für Ägypten dar. Wenn die Täter Ägypter waren, bedeutet das, dass sich ein Teil der nationalen Islamistenszene wieder radikalisiert hat. Es könnte aber genauso gut sein, dass ausländische Dschihadisten unser Land ins Visier genommen haben. In jedem Fall war es nicht nur ein gezielter Akt gegen die Kopten, sondern auch gegen die ägyptische Regierung. Wenn wir jetzt von einem Religionskonflikt sprechen, haben die Terroristen schon erreicht, was sie erreichen wollten.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?
Butros Ghali: Der Anschlag von Alexandria soll Unruhe stiften. Er soll Ägypten destabilisieren. Wenn alle Welt von einem Konflikt zwischen und spricht, dividiert das unser Land auseinander. Das Image Ägyptens hat schon jetzt einen großen Schaden erlitten. Sollten die Touristen ausbleiben und die ausländischen Direktinvestitionen, lachen sich die Terroristen ins Fäustchen. Vergessen wir auch nicht, dass ein Anschlag in diesem Land Signalwirkung hat. An Selbstmordattentate aus Pakistan, Somalia oder dem Irak hat sich die Weltöffentlichkeit schon fast gewöhnt. Wenn aber in Ägypten, einem immer noch relativ stabilen Staat, eine Bombe hochgeht, schreckt das die Welt auf.
SPIEGEL ONLINE: Ist Ägypten wirklich noch so stabil? Es ist kaum zu übersehen, dass es in der Gesellschaft seit Jahren gärt und dass die Islamisierung immer weiter voranschreitet.
Butros Ghali: Das liegt vor allem an der demografischen Entwicklung. Weil die ägyptische Wirtschaft nicht im selben Maßstab wächst wie die Bevölkerung, gibt es Armut, Polarisierung, Frust. In diese Lücke sind die reichen arabischen Golfstaaten gestoßen, die nicht nur Geld spenden, sondern auch ihr ganz eigenes, fundamentalistisches Islammodell exportiert haben. Auf diese Weise sind bereits weite Teile der islamischen Welt umgekrempelt worden.
SPIEGEL ONLINE: Wenn das auch für Ägypten zutrifft, bedeutet das aber nichts Gutes für die Kopten.
Butros Ghali: Nein, natürlich nicht. Die Diskriminierung der Kopten, die es zu einem gewissen Grad immer gegeben hat, dürfte weiter zunehmen, wenn die Regierung nichts dagegen unternimmt. Die Regierung muss für echte Chancengleichheit sorgen, sie muss dafür sorgen, dass religiöse Vorurteile aus den Schulbüchern verschwinden, und dass keine Religionsgruppe beim Bau von Gotteshäusern benachteiligt wird. Sie muss aber auch der Politisierung des Islam Einhalt gebieten, die für die Christen in Ägypten eine Bedrohung darstellt.
SPIEGEL ONLINE: Für die größte Oppositionsbewegung, die , ist die Lösung aller Probleme ganz einfach. Sie sagt: "Der Islam ist die Lösung".
Butros Ghali: Nein, der Islam ist Privatsache. Er kann schon deswegen nicht die Lösung aller politischen Probleme sein, weil zehn Prozent der Ägypter Nicht-Muslime sind. Was wir brauchen, ist ein Gesetz für die tatsächliche Gleichstellung von Muslimen, Christen und aller anderen Religionsgruppen wie den Bahai. Die Muslimbruderschaft kann schon deswegen keine glaubwürdige demokratische Alternative sein, wenn sie die Nicht-Muslime als Bürger zweiter Klasse abstempelt. Die Muslimbruderschaft wird niemals am Aufbau einer echten demokratischen Gesellschaft teilnehmen. Das können die einfach nicht.
SPIEGEL ONLINE: Was raten Sie uns, dem Westen? Was ist Ihre Botschaft für Europa, für Deutschland? Wie sollen wir auf das Massaker von reagieren?
Butros Ghali: Europa sollte vor allem keinen Religionskrieg in Ägypten herbeibeschwören, sondern sich im Detail damit beschäftigen, was in unserem Land wirklich schiefläuft. Was wir brauchen, sind Konzepte gegen Armut, Überbevölkerung und Unterentwicklung. Was wir nicht brauchen, sind gutgemeinte, aber im Endeffekt kontraproduktive Worte, die unsere Gesellschaft auseinander dividieren.