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Kampf gegen Hamas: Netanjahus gefährliche Strategie

Foto: Oliver Weiken/ dpa

Krise in Nahost Raketen aus Gaza erreichen erstmals Tel Aviv

Luftalarm in Israels größter Metropole: Zwei Raketen wurden aus dem Gaza-Streifen auf Tel Aviv abgefeuert und verfehlten ihr Ziel nur knapp. Es ist das erste Mal seit zwanzig Jahren, dass Flugkörper die Stadt am Mittelmeer erreichten. 30.000 israelische Reservisten stehen vor der Einberufung.

Gaza/Tel Aviv - Erstmals seit 1991 wurde am Donnerstag Abend in Tel Aviv Luftalarm ausgelöst. Einwohner der Innenstadt hörten eine dumpfe Explosion. Im Fernsehen waren Menschen zu sehen, die sich auf Bürgersteigen und in Parks schutzsuchend flach auf den Boden legten.

Kurz vor dem Alarm war eine Rakete aus dem Gaza-Streifen etwa zwölf Kilometer südlich vom Zentrum der Mittelmeermetropole eingeschlagen. Ein Militärsprecher sagte jedoch, es habe keine Einschläge auf dem Boden und keine Opfer gegeben. Das israelische Fernsehen berichtete, zwei Geschosse seien auf freiem Feld neben der Stadt Rischon Lezion südlich von Tel Aviv niedergegangen. Nach Angaben des israelischen Militärs habe eine zweite Rakete Tel Aviv nicht erreicht, sondern sei ins Meer gefallen.

Der Einschlagsort der ersten Rakete lag etwa zwölf Kilometer vom Zentrum von Tel Aviv entfernt und rund 50 Kilometer nördlich des Gaza-Streifens. Das von militanten Palästinensern abgefeuerte Geschoss habe ein offenes Feld neben der Stadt Rischon Lezion südlich von Tel Aviv getroffen, bestätigte eine Sprecherin des israelischen Militärs. Damit schlug in den Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hamas erstmals seit rund 20 Jahren eine Rakete in der Nähe der Stadt ein. Ob eine zweite Rakete von der israelischen Raketenabwehr in der Luft zerstört wurde, konnte die Sprecherin zunächst nicht sagen.

Die gesamte Region ist sehr dicht besiedelt und südliche Vorstädte von Tel Aviv wie Holon liegen nur etwa drei Kilometer vom Einschlagsort entfernt. Über Raketentreffer derart weit nördlich vom Gaza-Streifen war bisher nichts bekannt geworden.

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak bezeichnete die Raketenattacken auf Tel Aviv als "Eskalation", für den die militanten Kräfte in Gaza einen "Preis" zu zahlen hätten. Zur Vorbereitung einer möglichen Bodenoffensive wurden am Abend bereits Truppen an die Grenze zum Gaza-Streifen geschickt.

Barak billigte zudem die Einberufung von bis zu 30.000 Reservisten. Die Einberufung könne jederzeit erfolgen, sagte ein Armeesprecher am Donnerstagabend. General Joaw Mordechai sagte dem Fernsehsender Channel 2, die Armee sei dabei, "die Kampagne auszuweiten". Ob die Obergrenze bei einer Einberufung voll ausgeschöpft werde, sei unklar. "Alle Optionen liegen auf dem Tisch."

Im Gaza-Streifen bekannte sich der bewaffnete Arm der Hamas, die Kassam-Brigaden, zu den Angriffen auf Tel Aviv. Zwei Raketen vom iranischen Typ Fadschr-5 seien bei Rischon Lezion und in Jaffa eingeschlagen, hieß es in einer Mitteilung der Organisation, deren Kommandeur Ahmed al-Dschabari am Donnerstag gezielt getötet worden war.

Seit Mittwochnachmittag hat Israels Luftwaffe nach eigenen Angaben rund 150 Angriffe auf den Gaza-Streifen geflogen. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben bis Donnerstagmittag mindestens 15 Palästinenser getötet, darunter zwei Kinder und eine schwangere Frau. Mindestens 150 Palästinenser wurden verletzt. Die israelische Armee habe seit Beginn der Offensive "Säule der Verteidigung" fast 230 Ziele aus der Luft und vom Meer aus angegriffen, teilte eine Sprecherin in Tel Aviv mit.

USA verurteilen Attacken der Hamas

Aber auch die Hamas setzte die Attacken fort: Die Radikalislamisten feuerten mindestens 245 Raketen auf Israel ab. Etwa ein Drittel der Geschosse wurde von der Raketenabwehr abgefangen. Dennoch kamen drei Menschen ums Leben.

Die USA bezeichneten die Raketenangriffe auf Israel als "feige Taten" der Hamas. Präsident Barack Obama verurteile die Angriffe, für die es keine Rechtfertigung gebe, sagte sein Sprecher Jay Carney am Donnerstag vor Reportern. Bereits am Vortag hatte Obama dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in einem Telefonat seine Unterstützung zugesichert.

In Gaza versammelten sich Tausende Palästinenser, um Dschabari das letzte Geleit zu geben. Bewaffnete Männer feuerten Salven in die Luft, Trauernde schworen Israel Rache, während sie Dschabaris Leiche durch die Straßen Gazas trugen. "Wir werden den Widerstand nicht aufgeben", gelobte Dschabaris 20 Jahre alter Sohn Muas. Der Tod seines Vaters werde die Kassam-Brigaden, den militärischen Arm der Hamas, nicht zerstören. "Wir werden weiter Gewehre tragen und seiner Botschaft folgen."

Die Kassam-Brigaden bezeichneten die gezielte Tötung Dschabaris als "Kriegserklärung" und kündigten massive Rache an. Die Hamas-Führung schloss eine Waffenstillstandsvereinbarung mit Israel zum momentanen Zeitpunkt aus. "Wir werden uns nicht weiteren Tricks der Besatzung aussetzen", sagte Sprecher Sami Abu Suhri bei einer Pressekonferenz in Gaza. "Wir betrachten Gespräche über eine Feuerpause derzeit als Versuch, mehr Deckung für die Fortsetzung der Eskalation im Gaza-Streifen zu erhalten." Suhri warf Israel vor, "einen offenen Krieg gegen unser Volk und unseren Widerstand im Gaza-Streifen" begonnen zu haben.

Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) bezeichnete die Luftangriffe Israels auf den Gaza-Streifen als "Angriff gegen die Gesamtheit der islamischen Nation" und rief Uno-Sicherheitsrat an. Der OIC-Außenministerrat verurteile "die gefährliche israelische Eskalation gegen Gaza scharf", hieß es am Donnerstag in einer Erklärung. Der "Versuch, erneut im Gaza-Streifen einzufallen", bringe die "Region an den Rand der Explosion". Den Sicherheitsrat forderte die OIC auf, "seiner Verantwortung nachzukommen und Frieden und internationale Sicherheit zu wahren".

Am Freitag will Ägyptens Ministerpräsident Hischam Kandil den Gaza-Streifen besuchen. Er wolle dabei den Palästinensern die Unterstützung Ägyptens übermitteln, sagte ein Sprecher von Präsident Mohammed Mursi im Staatsfernsehen.

als/dpa/AFP
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