Gewalt im Irak Großer Graben soll Bagdad befrieden

Im Irak droht der offene Bürgerkrieg. Für die USA hat Priorität, wenigstens die Hauptstadt einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Mit einem Graben um ganz Bagdad herum wollen die Sicherheitskräfte das erreichen.

Bagdag/Washington - In den letzten drei Tagen der vergangenen Woche sind in Bagdad die Leichen von mindestens 129 Menschen gefunden worden, viele von ihnen gefesselt und mit Kopfschüssen umgebracht. Am heutigen Samstag meldete die Polizei dann den Fund von 47 Leichen. Bei den meisten seien die Hände zusammengebunden gewesen. Einige wiesen Folterspuren auf. 26 Leichen seien im vorwiegend von Sunniten bewohnten Westen Bagdads gefunden worden, 21 Leichen im schiitisch dominierten Osten.

Nach Angaben des Bagdader Leichenschauhauses starben im August wenigstens 1535 Zivilisten einen gewaltsamen Tod in der Hauptstadt. Nur vom Vormonat Juli sei diese Zahl noch übertroffen worden. Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) werden im Irak täglich 100 Menschen getötet - eine grausige Statistik. Die US-Armee hatte zuletzt eingeräumt, dass die Mordrate in Bagdad einen neuen Höhepunkt erreicht hat.

Nun wollen irakische und US-amerikanische Sicherheitskräfte die von Gewalt erschütterte Stadt mit einer neuen Strategie befrieden: Bagdad soll durch einen riesigen ringförmigen Graben geschützt werden. Fast 100 Kilometer an Gräben sollen dazu ausgehoben werden, berichtete die Zeitung "New York Times". Sie beruft sich auf den Sprecher des irakischen Innenministeriums, den Brigadegeneral Abdul Karim Khalaf.

28 Kontrollpunkte für 7 Millionen Einwohner

Er sagte der Zeitung: "Wir werden einen Graben um Bagdad ziehen, so dass wir die Ein- und Ausgänge kontrollieren und die Leute richtig durchsuchen können." Der Verkehr solle durch 28 Kontrollpunkte über die Hauptzufahrtsstraßen gelenkt und kleinere Zufahrten geschlossen werden. US-Vertreter hätten den Plan gebilligt. Viele Gewalttäter sollen ihren Erkenntnissen zufolge zwischen der Hauptstadt und dem Umland pendeln.

Noch am gestrigen Freitag hatte US-Präsident George W. Bush bei einer Pressekonferenz davon gepsrochen, die Iraker "bauten einen Wall um die Stadt herum, um es den Leuten schwerer zu machen beispielsweise mit Sprengstoffen hereinzukommen." Solche Wälle existieren um die Städte Samarra und Rawah. Nach Informationen der "New York Times" haben die Militärs dies tatsächlich erwogen, sich dann aber für einen Grabenring entschieden.

Da Bagdad in der Nachbarschaft der unruhigen Provinz Anbar und des sogenannten sunnitischen Dreiecks - von den Amerikanern auch "Triangle of death" genannt - liegt, vesprechen sich die Sicherheitskräfte eine Beruhigung durch die Abschottung. In der Rebellenhochburg Falludscha ist eine solche Taktik bereits erprobt worden: Nach einer Großoffensive durch Marineinfanteristen im November vorletzten Jahres haben US-amerikanische und irakische Sicherheitskräfte die Stadt abgeschottet. Jeder, der sie betreten oder verlassen will, muss sich an Kontrollpunkten ausweisen. Die "New York Times" spricht von einem "Mini-Polizeistaat". Allerdings zählt Falludscha nur 300.000 Einwohner - in Bagdad hingegen wohnen sieben Millionen Menschen.

Ruhe in Bagdad oberste Priorität der USA

Wegen der zunehmenden Gewalt in Bagdad haben die USA jüngst ihre Truppen in der irakischen Hauptstadt mit Soldaten aus anderen Landesteilen verstärkt. "Bagdad ist momentan unsere Hauptanstrengung", sagte ein US-Militärsprecher. Die Gewalt zwischen den moslemischen Religionsgruppen in der irakischen Hauptstadt sei inzwischen eine größere Bedrohung als der Aufstand vor allem sunnitischer Rebellen gegen die ausländischen Truppen und die irakische Regierung. Seit Wochen nimmt die Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten im Land zu und droht den Irak in einen Bürgerkrieg zu treiben.

Seit Juni verfolgen US-amerikanische und irakische Sicherheitskräfte in den Stadtvierteln eine neue Strategie: Unruhige Gegenden werden zunächst mit großer Mannzahl durchkämmt. Danach werden dort kleinere Einheiten stationiert, die das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen sollen. Diese Offensive begann zunächst im Süden und Westen Bagdads - und bewegt sich nun in die östlichen Stadtviertel. Diese werden von der Mahdi-Armee kontrolliert, der Milizen des radikalen Schiitenführers Muktada al-Sadr.

Die nun geplanten Gräben und die dazugehörigen Straßensperren sollen wie auch das übrige Gelände von irakischen Sicherheitskräften kontrolliert werden. US-Truppen sollten die Iraker bei ihrer Aufgabe unterstützen, sagte US-Militärsprecher Oberstleutnant Barry Johnson der Zeitung "Washington Post". Über Kosten und Dauer der Maßnahme konnte Innenministeriumssprecher Khalaf keine Angaben machen.

stx/dpa/rtr

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