Opfer von US-Waffengewalt Herz gebrochen, Faust gereckt

Nardyne Jefferies mit einem Foto ihrer Tochter Brishell
Foto: Bebeto Matthews/ APNardyne Jefferies trägt zwei große Fotos ihrer Tochter Brishell mit sich. Auf dem einen lächelt die 16-Jährige in die Kamera, sie trägt eine weiße Seidenbluse und eine dezente Halskette. Auf dem anderen liegt sie auf einem Obduktionstisch, ihr Nacken und ihr linkes Ohr blutverkrustet, der Hals vom Gerichtsmediziner aufgeschnitten.
"So sieht es aus, wenn Metall und Fleisch aufeinandertreffen", sagt Jefferies.
Brishell starb am 30. März 2010. Sie wurde zufällig Opfer einer Gang-Fehde in Washington, in die Stirn getroffen von einer Kugel aus einer halbautomatischen AK-47. "Ich habe es nie akzeptiert", sagt Nardyne Jefferies. "Aber ich habe ihr versprochen, dass ihr Tod nicht umsonst sein würde."
Und deshalb ist sie mehr als fünf Jahre später in die Mount Ararat Baptist Church gekommen, eine Kirche im tiefsten, ärmsten Brooklyn, inmitten freudloser Sozialbauten. In die Glasfenster sind die Namen afroamerikanischer Helden eingeschweißt: Gospelsängerin Mahalia Jackson, Supreme-Court-Richter Thurgood Marshall, Sklavenbefreierin Harriet Tubman, Freiheitskämpfer Frederick Douglass.
Hier treffen sich an diesem Nachmittag die tragischen Heldinnen von heute: Jefferies und vier weitere Frauen, allesamt schwarze Mütter, die ihre Kinder durch Polizeigewalt oder bei Schießereien verloren haben.

Waffengewalt: Der Schmerz der Mütter
Pam Bosleys Sohn Terell wurde in Chicago von einer Kugel getroffen, Annette Nance-Holts Sohn Blair ebenfalls. Gwen Carrs Sohn Eric Garner erstickte im Würgegriff eines Cops im New Yorker Stadtteil Staten Island. Die wohl Prominenteste in der Runde ist Sybrina Fulton aus Florida: Der Tod ihres Sohnes Trayvon Martin wurde weltweit zum Symbol für Amerikas tödlichen Rassismus. Zuletzt tauchte sie sogar im gefeierten "Lemonade"-Film von US-Sängern Beyoncé auf, hielt ein Bild ihres toten Sohnes in die Kamera.
Sie kannten sich vorher nicht, doch ihr Leid führte sie zusammen: Mehr als ein Dutzend Mütter haben sich verbündet und reisen nun durch die USA, um ihre Geschichten zu erzählen. Sie hoffen, dass ihre persönlichen Tragödien zu Lehrstücken werden und womöglich zum Anstoß für politische Reformen. Mothers of the Movement nennen sie sich - ähnlich den argentinischen Madres de Plaza de Mayo, deren Protestmärsche den Wandel dort forciert haben, nachdem die Militärdiktatur ihre Kinder ermordet hatte.
"Wir können unsere Kinder nicht zurückbringen", sagt Jefferies, "aber wir können Amerika besser machen."
In den Brooklyner Kirchenbänken sitzen meist schwarze Frauen mit ihren Teenagern, dazwischen nur wenige Männer. Die Mount Ararat Church liegt an der Grenze von Crown Heights und Brownsville, zwei der berüchtigtsten Bezirke mit den höchsten Mordraten in New York. Gangs sind hier ebenso gefürchtet wie Cops. "Eurem Schmerz", versichert Pastor Steven Carter den fünf Ehrengästen, "fühlen wir uns verpflichtet."
"Unsere Vorfahren starben, damit wir wählen können"
Der Schmerz bleibt. "Ich schlafe nicht", sagt Jefferies. "Ich habe kein neues Leben gefunden." Selbst Sybrina Fulton, die mit ihren TV-Auftritten nach dem Tod Trayvon Martins zum Inbegriff würdevoller Fassung wurde, beginnt am Ende zu weinen. "Alle halten mich für so stark. Mein gebrochenes Herz sieht niemand."
Die Mütterinitiative zusammengebracht hat eigentlich Hillary Clinton, die demokratische Präsidentschaftskandidatin, die für Waffenkontrolle und gegen Polizeigewalt kämpft. Clinton schickte ihnen handgeschriebene Kondolenzkarten und traf eine erste Gruppe im November. "Sie fragte, was sie für uns tun könnte", erinnert sich Gwen Carr. "Sie schrieb alles penibel auf, in einen kleinen Block."
Seither machen viele der Mütter für sie Wahlkampf, und auch in der Mount Ararat Church hängen ein paar dezente Clinton-Poster. Kritiker sehen darin eine zynische Masche der Politikerin, um schwarze Wähler zu ködern.
Die Mütter sehen das anders: "Keiner sonst kümmert sich um uns", sagt Nance-Holt.
So geht es ihnen auch weniger um Politik als darum, die Menschen zu überzeugen, sich nicht lethargisch ihrem Schicksal zu ergeben. Stattdessen sollen sie sich engagieren, protestieren und vor allem wählen gehen. Egal, wen. "Wenn ihr jemanden seht, der an der Ecke herumlungert, nehmt ihn an der Hand und führt ihn ins Wahllokal", ruft Annette Nance-Holt ihren Mitstreiterinnen zu: "Unsere Vorfahren starben, damit wir wählen können."
Dass ihre Kinder für irgendeinen höheren Zweck starben, das zu sagen, geht ihr aber zu weit. Nur eines steht fest: "Wer weiß", sagt Gwen Carr und blickt über die Gemeinde, "wann ihr euch uns anschließen müsst."