Gewalt in Syrien Assads Schergen sollen Kontrolleure in die falschen Dörfer führen

Beobachter der Liga bei Protesten in Idlib (Bild vom 30.12.): In falsche Städte geschickt?
Foto: AP/ Shaam News NetworkIstanbul - Die Protestbewegung in Syrien warnt vor immer umfangreicheren Täuschungsmanövern des Regimes. Ein Sprecher des sogenannten Revolutionskomitees sagte, die Sicherheitskräfte von Präsident Baschar al-Assad hätten Namen von Dörfern und Straßen geändert, um den Beobachtern vorzugaukeln, sie hätten die Hochburgen des Aufstandes besucht. Der Sprecher sagte: "Sie haben sie in ein Dorf geführt und gesagt, dies sei die Ortschaft Daria. Doch in Wirklichkeit haben sie ein Dorf in der Nähe von Daria gezeigt, in dem vor allem regimetreue Offiziere leben."
Die Angaben sind nicht zu überprüfen. Nach wie vor gibt es keine unabhängige Berichterstattung über die Lage in Syrien. Bereits in der vergangenen Woche hatten Menschenrechtler berichtet, dass das Regime Gefangene umverlegt und Panzer abzieht, sobald die Beobachter einen Ort erreichen - um ein falsches Bild der Lage zu vermitteln. Nach Angaben von Human Rights Watch soll die Regierung politische Gefangene zu Hunderten aus Haftanstalten in militärische Einrichtungen gebracht haben, zu denen die Experten der Beobachtermission keinen Zugang hätten.
Ein syrischer Sicherheitsoffizier schätzte die Zahl der umquartierten Gefangenen gegenüber Human Rights Watch auf mindestens 400 bis 600. Außerdem berichtet die Organisation, syrische Soldaten würden sich als Polizisten verkleiden. "Soldaten Polizeiuniformen anzuziehen, das erfüllt nicht die Forderung der Arabischen Liga, das Militär abzuziehen", sagte die Nahost-Beauftragte von Human Rights Watch, Sarah Leah Whitson. Die Organisation sei im Besitz von Dokumenten, die belegten, dass Personal vom Verteidigungs- zum Innenministerium verlegt worden sei.
Araber verlangen Ende der Beobachtermission
Seit Beginn der Proteste gegen Assad im März starben nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr als 5000 Menschen - die Brutalität ging in den vergangenen Tagen unvermindert weiter, viele Oppositionelle wurden von Regimekräften getötet. Nach Angaben von Aktivisten des Örtlichen Koordinationskomitees wurden am Samstag mindestens sechs Menschen erschossen, einer davon in der Hauptstadt Damaskus. Bereits am Freitag seien mindestens 27 Menschen getötet worden, hieß es.
Das an die Arabische Liga angeschlossene Arabische Parlament hat deshalb sogar das sofortige Ende der Beobachtermission verlangt. Der Präsident des Arabischen Parlaments, Salem al-Dikbassi, forderte den Chef der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, am Sonntag auf, "angesichts der andauernden Tötung unschuldiger Zivilisten in Syrien umgehend die arabischen Beobachter abzuziehen".
Die syrische Regierung verstoße klar gegen das Protokoll der Arabischen Liga zum Schutz der Bevölkerung. Das Arabische Parlament besteht aus 88 Mitgliedern aus jedem der Mitgliedstaaten der Arabischen Liga. Das Gremium sei sehr erzürnt darüber, dass die Tötungen in Syrien einfach fortgesetzt würden, während die Vertreter der Organisation im Land seien, hieß es.
Dikbassis Aufforderung erfolgte kurz vor der für Donnerstag vorgesehenen Entsendung weiterer Vertreter der Arabischen Liga nach Syrien. 20 Beobachter aus Saudi-Arabien, Bahrain und Tunesien würden in Damaskus erwartet, sagte der für Syrien zuständige Vertreter der Arabischen Liga, Adnan al-Chodeir.
Oppositionsgruppen erarbeiten Plan für die Zeit nach Assad
Seit Montag vergangener Woche befindet sich eine erste Gruppe von 50 Beobachtern der Arabischen Liga in Syrien, die auf 150 bis 200 Kontrolleure aufgestockt werden soll. Ihre Entsendung ist Teil eines Plans, dem Damaskus nach langem Zögern in einem Protokoll Anfang November zugestimmt hatte und der das Blutvergießen beenden soll. Der Plan sieht neben der Beobachtermission einen Rückzug der Armee aus syrischen Städten und die Freilassung von Gefangenen vor.
Unterdessen haben sich die größten syrischen Oppositionsgruppen offenbar enger zusammengeschlossen und einen Plan für die Zeit nach Präsident Assad ausgearbeitet. Wie die Führer der beiden wichtigsten regierungskritischen Bewegungen am Samstag mitteilten, wurde bei einem Treffen in Kairo am Vorabend ein Vertragsentwurf zur Einführung der Demokratie in dem seit März von gewaltsamen Unruhen geplagten Land unterzeichnet. Eine offizielle Kopie des Textes sollte noch am Sonntag dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, überreicht werden.
Vertreter des Syrischen Nationalrats (SNC) sowie des Nationalen Koordinierungsgremiums für demokratischen Wandel in Syrien (NCB) erklärten, sie seien sich einig, dass das Regime Assads verschwinden und durch ein demokratisches System ersetzt werden müsse. Sobald der Präsident zurücktrete, solle eine "Phase des Übergangs" beginnen, in der zunächst alle staatlichen Institutionen erhalten werden müssten. Im Anschluss sei eine neue Verfassung zu verabschieden, die ein "ziviles, pluralistisches, parlamentarisches und demokratisches System" garantiere. Erst danach solle ein Parlament sowie ein neuer Präsident gewählt werden.
In dem in Kairo unterzeichneten Entwurf wird zugleich festgehalten, dass alle syrischen Bürger gleichberechtigt sind und auch die kurdische Minderheit "fundamentaler und historischer" Bestandteil der nationalen Struktur ist. Außerdem ruft der Text dazu auf, "syrisches Territorium zu befreien", was offenbar auf die seit 1967 von Israel besetzten Golanhöhen anspielt.
Der SNC und das NCB hatten sich beide in Reaktion auf das zunehmend gewaltsame Vorgehen des Assad-Regimes gegen friedliche Demonstranten gebildet. Der Syrische Nationalrat war bisher vor allem im Ausland aktiv, während das NCB auch in Syrien selbst mehrfach Treffen von Regierungsgegnern organisiert hat.