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Gewalt in Syrien Video dokumentiert Brutalität des Assad-Regimes

Es ist blutiger Alltag in Syrien, dass Sicherheitskräfte Demonstranten misshandeln - aber nur selten lassen sich die Vorfälle belegen. Nun kursiert ein Video von einer brutalen Attacke mitten in Damaskus. SPIEGEL ONLINE sprach mit einem Augenzeugen.
Von Yassin Musharbash und Christoph Sydow

Berlin - Die Knüppel sind kurz und hart, die Männer, die sie benutzen, haben offensichtlich jegliche Hemmung abgelegt: Im Sekundentakt lassen sie die Schlagwerkzeuge auf die Köpfe und Körper ihrer Opfer krachen, es dauert nicht lange, da sind die Gesichter der Angegriffenen blutüberströmt, ihre Schritte werden unsicher, sie sind benommen, wahrscheinlich nahe an der Grenze zur Ohnmacht.

Mitten in Damaskus spielt diese Szene, am vergangen Freitag, im Stadtteil Kafr Susa. Die Angreifer sind syrische Regimeloyalisten, die Opfer tatsächliche oder mutmaßliche Regimegegner. Die Prügelorgie von Kafr Susa ist brutal und abstoßend - aber zugleich ist sie nur ein winziger Ausschnitt der täglichen Gewalt in Syrien, wo nach Schätzungen der Uno und internationaler Beobachter seit Anfang 2011 mindestens 6000 Menschen getötet worden sind, die meisten von ihnen Zivilisten.

Was die Attacke aber besonders macht: Sie ist eine der wenigen dieser Art, die von unabhängigen Beobachtern verifiziert und rekonstruiert werden kann. Denn zum einen existiert von dem Vorfall ein rund viereinhalb Minuten langes Video; es sind Bilder von einer Qualität, wie sie es selten aus Syrien herausschaffen: unverwackelt, in hoher Auflösung. Und zum anderen gibt es einen Augenzeugen, der bereit war, das Risiko einzugehen, von Syrien aus über den Angriff zu sprechen.

Prügel im Anschluss ans Gebet

Dem Augenzeugen zufolge ereignete sich die Szene im Anschluss an das Freitagsgebet in der Rifai-Moschee. Die Schläger warteten auf die Betenden, denn diese hatten eine Demonstration abhalten wollen. Doch so weit kam es nicht: Fast alle der etwa 120 Betenden wurden demnach verhaftet. Ein knappes Dutzend, heißt es aus syrischen Oppositionskreisen, sei zwar mittlerweile wieder freigelassen worden, zum Teil freilich nach Krankenhausaufenthalten. Die übrigen befinden sich jedoch mutmaßlich in der Gewalt der zahllosen Geheim- und Sicherheitsdienste des Landes.

Der Augenzeuge, der namentlich nicht genannt werden möchte, aber SPIEGEL ONLINE durch andere vertrauenswürdige Personen als ebenfalls vertrauenswürdig bekannt ist, berichtet, dass die Schläger sowohl aus den Reihen des Allgemeinen Sicherheitsdienstes als auch aus den Reihen der - Geister-Milizen genannten - regimenahen Schlägertruppen stammten. "Ich selbst kenne fünf Personen, die an diesem Tag verprügelt oder festgenommen wurden", sagt er. Einer habe eine Gehirnerschütterung davongetragen, dem zweiten seien beide Hände gebrochen worden. Beide hätten Blutergüsse am gesamten Körper gehabt.

Das deckt sich mit den Aufnahmen aus dem Video: Nicht nur sind blutüberströmte Gesichter zu erkennen. Es ist auch zu sehen, wie die Schläger auf am Boden liegende Personen eintreten. Mehrere Personen werden an Beinen oder Armen über die Straße geschleift und anschließend weiter misshandelt. Mindestens sechs Personen werden mit Schlägen und Tritten in einen weißen Transporter befördert, der dann abfährt. Die ganze Zeit über laufen uniformierte Polizisten durchs Bild, die tatenlos zusehen - oder sogar mitprügeln.

"Ich blieb in meinem Versteck, bis sie abzogen"

"Ich bin weggerannt, als es losging", berichtet der Augenzeuge über Skype. "Ich rannte in ein Haus, in dem es Regimegegner gab. Dort versteckte ich mich. Die Sicherheitskräfte hatten alle Wege von und zur Rifai-Moschee abgesperrt. Ich blieb in meinem Versteck, bis sie wieder abzogen."

Die Rifai-Moschee in Kafr Susa gilt als wichtiger Treffpunkt für Regimegegner in Damaskus. In den vergangenen Monaten versammelten sich hier nach den Freitagsgebeten immer wieder Oppositionelle zu kleineren Kundgebungen. Im August vergangenen Jahres stürmten Sicherheitskräfte die Moschee. Dutzende Assad-Gegner wurden damals verhaftet, der 80 Jahre alte Imam der Moschee, Osama al-Rifai, nach Oppositionsangaben krankenhausreif geprügelt. Seitdem waren die von dort ausgehenden Demonstrationen seltener geworden; jetzt sollte es wieder losgehen - doch die Sicherheitskräfte waren anscheinend bestens informiert.

In Kafr Susa, einer der besseren Gegenden von Damaskus, verläuft eine der Frontlinien im innersyrischen Machtkampf. Hier haben Assads Geheim- und Sicherheitsdienste ihren Hauptsitz, gleichzeitig ist das Viertel aber eine der Hochburgen der Opposition. "Eine der Sicherheitsdienst-Zentralen ist gerade mal 150 Meter von der Moschee entfernt", sagt der Augenzeuge. "Ich denke nicht, dass demnächst wieder Demonstrationen an der Moschee beginnen werden. Wohl aber von anderen Moscheen in Kafr Susa aus. Wir machen auf jeden Fall weiter."

300 Paten für syrische Revolutionskomitees

Ein Sprecher der syrischen Opposition in Deutschland bestätigte viele der Angaben des Augenzeugen durch seine eigenen, aus Syrien stammenden Informationen. Auch er möchte seinen Klarnamen nicht nennen, um seine Familie in Syrien zu schützen. Nach seiner Kenntnis haben die Sicherheitskräfte mindestens all jene vor der Moschee verhaftet, bei denen keine lokale Adresse in den Ausweisdokumenten stand - in der Annahme, es müsse sich um Demonstrationsteilnehmer handeln. Er berichtet, dass es zudem mindestens ein Gewaltopfer gab, dem in den Kopf geschossen wurde.

Die Organisatoren des angegriffenen Protestzugs gehören zu jenen lokalen Revolutionskomitees in Syrien, die von der kürzlich in Deutschland gegründeten Initiative "Adopt a Revolution"  unterstützt werden. Die Idee des Projekts besteht darin, dass Privatpersonen von hier aus "Patenschaften" für solche Komitees in Syrien übernehmen können und Geld spenden - der Verein wiederum verspricht, das Geld direkt an die Oppositionellen zu bringen, um deren Aktivitäten wie Medienarbeit oder Geheimlazarette zu ermöglichen. Die ausgewählten Partner, so die Initiatoren, seien allesamt für friedliche Proteste, nicht für Gewalt. Nach Auskunft des Mitgründers Elias Perabo sind allein seit der vergangenen Woche 300 Personen eine solche "Revolutionspatenschaft" eingegangen.

Das Video des Vorfalls hat auf YouTube bereits etliche Reaktionen hervorgerufen. "Ich bin gegen die Militarisierung der Revolution", kommentiert User "NidalSyria15" die Szene, "aber nachdem ich mir dieses Video angeschaut habe, wünschte ich mir, dass diese Leute Waffen gehabt hätten, mit denen sie sich vor diesen Hunden hätten verteidigen können."

"idlbyh76" schreibt erschüttert: "Leute in meinem Land werden abtransportiert wie Schafe ins Schlachthaus." Nur einen einzigen Wunsch hat User "MrNcea83": "Gott schütze die Leute in diesem Video!"

Die "Koordinationsgruppe der Syrischen Revolution in Kafr Susa" schreibt zu dem Video: "Eine friedliche Revolution bedeutet auf keinen Fall, dass wir einfach vor den Killern kapitulieren." Jeder, der für die Verhaftungen von Oppositionellen und Schüsse auf Demonstranten verantwortlich sei, solle verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden.

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