Gipfel-Fiasko Obamas Taktik gefällt den Amerikanern

Der Klima-Flop von Kopenhagen sorgt weltweit für Wut und Frust. Doch US-Präsident Obama muss daheim keine Kritik für sein Vorgehen auf dem Gipfel fürchten: Denn die Amerikaner beschäftigen Gesundheitsreform und Wirtschaftskrise viel mehr als die Erderwärmung.
Obama nach seiner Rückkehr in die USA: Keine Häme für das Scheitern in Kopenhagen

Obama nach seiner Rückkehr in die USA: Keine Häme für das Scheitern in Kopenhagen

Foto: Mark Garten/ AP

Als Barack Obama in Washington landet, auf dem Rückweg vom Weltgipfel gegen die Erderwärmung, ist es bitterkalt und schneit. So heftig, dass die Wagen seiner Kolonne sich kaum an die Präsidentenmaschine "Air Force One" herankämpfen können. Die US-Hauptstadt ächzt unter einer der schlimmsten Schneelasten seit Jahrzehnten, deshalb musste Obama die Kopenhagen-Konferenz vorzeitig verlassen. Der Atem seiner Sicherheitsleute ist in der Luft zu sehen, sie grinsen grimmig in die klirrende Kälte, als wollten sie sagen: Gegen so ein bisschen Klimawandel hätten wir gerade gar nichts.

In Amerika ist Obama weit weg vom Frust der übrigen Welt über das Ergebnis des Gipfels in Kopenhagen. Denn die Schlagzeilen, die ihn erwarten, drehen sich nicht um die Aufheizung des Planeten - sondern um den örtlichen Schneesturm und den Endspurt zur Gesundheitsreform. Noch am Weihnachtstag will der US-Senat darüber abstimmen, jede Stimme wird derzeit fieberhaft gezählt. Die Reform könnte Obamas Vermächtnis werden.

In Kopenhagen hingegen stand der Präsident, den viele Konferenzteilnehmer wie einen Messias erwartet hatten, als der Entzauberte da. Als einer, der Bushs Klimapolitik doch nicht wirklich einem Wandel unterzogen hat. So groß ist der Frust über die "Kopenhagener Erklärung", das von Obama maßgeblich diktierte Drei-Seiten-Abschlussangebot 30 wichtiger Industrienationen. Sie sieht noch nicht einmal feste Schadstoff-Obergrenzen oder Pläne für ein bindendes globales Klima-Abkommen im kommenden Jahr vor.

Zwar haben mittlerweile die anderen Konferenznationen zugestimmt, die Erklärung wenigstens "zur Kenntnis zu nehmen". Doch der Zorn ist nicht verraucht. Ian Fry, Chefverhandler für den winzigen Inselstaat Tuvalu, schleudert dem abreisenden US-Präsidenten hinterher: "Es ist, als ob uns wie in der Bibel 30 Silberstücke für unsere Zukunft geboten würden. Mr. President, unsere Zukunft steht nicht zum Verkauf." EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagt enttäuscht: "Es war weniger Ehrgeiz da, als wir erhofft hatten." Kumi Naidoo, Chef von Greenpeace International, fordert im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE gar zum zivilen Widerstand gegen die Klima-Einigung auf . Die Absichtserklärung habe so große Löcher, "dass man mit der 'Air Force One' hindurchfliegen könnte".

Obama sprach viel kürzer als in Oslo

Bis zuletzt hatten viele Delegierte in Kopenhagen auf ein Einlenken Obamas gehofft, eine Nachbesserung des US-Angebots in letzter Minute - das zunächst nur magere Schadstoffkürzungen vorsah. Der Präsident blieb zwar über sechs Stunden länger in der dänischen Hauptstadt als geplant. Er platzte unangemeldet in ein Treffen mit chinesischen, indischen und brasilianischen Politikern. "Nun ist es Zeit zum Handeln, nicht zum Reden", ermahnte er sie. Obama blieb so lange, dass beim letzten Treffen mit der Presse seine Augen rot unterlaufen leuchteten.

Doch seine Rede an die Welt dauerte beim Klimagipfel bloß sieben Minuten - viel kürzer als etwa seine Ansprache bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises in Oslo vorige Woche. Auch hinter den Kulissen hatte er wenig Neues zu sagen.

Nach Oslo konnte Obama sich in Europa feiern lassen und musste daheim mit Häme und Ignoranz rechnen. Diesmal ist es wohl umgekehrt. Denn dass ihr Präsident kein bindendes Klima-Abkommen verhandelte, wird in den USA eher mit Erleichterung aufgenommen.

Seit Monaten sinkt die Bereitschaft der Amerikaner, mehr für den Klimaschutz zu tun. Laut einer Umfrage der Washington Post trauen 40 Prozent der US-Bürger den Vorhersagen der Wissenschaftler nicht mehr. Selbst Obamas demokratische Partei ist gespalten zwischen Abgeordneten aus modernen Regionen wie Kalifornien, die sich mehr grüne Technologien wünschen, - und denen aus ländlichen Regionen wie West Virginia, wo der Kohleabbau weiter viele Arbeitsplätze sichert. Die rasant gestiegene Arbeitslosigkeit vertieft diese Spaltung.

Ein Energiegesetz steckt daher im US-Senat fest - und ironischerweise könnte dabei das Kopenhagener Scheitern sogar helfen. Peter Goldmark, Klimachef der einflussreichen US-Umweltschutzorganisation Environmental Defense Fund in New York, sagt SPIEGEL ONLINE: "Egal, was für eine Einigung dort herausgekommen wäre, die Kongressabgeordneten hätten immer vor allem eine Frage gestellt: Wie stellen wir sicher, dass China seine Verpflichtungen einhält?"

Nun könnte bei den Abgeordneten die Sorge um Amerikas Wettbewerbsfähigkeit gesunken sein - weil Obama in Dänemark nicht im Alleingang bindenden amerikanischen Verpflichtungen zum Schadstoffabbau zustimmte und auf klaren Mechanismen zur Überprüfung von Versprechen zum Emissionsabbau bestand.

Hoffen auf ein Klimaschutzgesetz im Frühjahr

Die Mini-Einigung in Kopenhagen dürfte "die Bühne bereiten für ein US-Klimaschutzgesetz im Frühjahr", glaubt der demokratische Senator und Obama-Vertraute John Kerry, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.

Auch der linke Flügel der Demokraten, die den Präsidenten etwa zur Afghanistan-Politik scharf angegriffen haben, schweigt zum internationalen Klima-Stillstand. MoveOn.Org, das Online-Netzwerk mit über drei Millionen Mitgliedern, kümmert sich auf seiner Web-Seite lieber um die Gesundheitsreform.

Die blockiert derzeit den Kongress, das Weiße Haus, die demokratische Partei. Aber selbst wenn der Gesundheitskraftakt gelingt, könnte Obama nicht gleich zum nächsten Großeinsatz bereit sein - nach einem ersten Amtsjahr mit Finanzkrise, Wirtschaftskrise, zwei Kriegen.

Der wäre jedoch nötig. Zwar hat Obama bereits in seinem Konjunkturpaket viele Milliarden in grüne Industrien investiert, schärfere Abgasrichtlinien und Effizienzregeln sollen folgen. Auch die US-Umweltbehörde darf nun gegen CO2-Ausstoß durchgreifen, notfalls per Verordnung.

Doch er sagt selbst in Kopenhagen: "Wir sind schon weit gekommen, aber wir müssen noch viel weiter gehen." Amerikaner - die immer noch doppelt so viel Energie pro Kopf verbrauchen wie jeder andere Industriestaat - müssen ihre Lebensführung ändern. Schwört er sie darauf ein, könnte Obama ein transformative president werden. Ein Staatsmann also, der unbequeme Wahrheiten anspricht und zu Opfern aufruft. Ein großer Präsident statt nur ein groß geehrter.

Peter Goldmark von Environmental Defense Fund hält das nicht für ausgeschlossen: "Eins wurde ganz klar in Kopenhagen: Der Rest der Welt wartet auf die USA. Die Durchbrüche bei dieser Konferenz - etwa dass die Länder, die für rund 60 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind, sich auf einen Aktionsplan geeinigt haben - wurden durch ihr unschönes Ende verdeckt." Darauf könnte Obama aufbauen.

Oder, wie der Präsident selbst gern sagt: Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Immer noch.

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