Gipfel in Washington Obama rüstet sich für die Gesundheitsschlacht

Sie treffen sich zu nichts weniger als einem Gipfel, auf der Tagesordnung steht die Gesundheit des Landes: Die wohl knapp 50 Teilnehmer - Spitzenvertreter der amerikanischen Demokraten und Republikaner - sollen agieren wie große Staatsmänner. Doch im Vorfeld des "Health Care Summit", des Gesundheitsgipfels von US-Präsident Barack Obama an diesem Donnerstag im Blair House schräg gegenüber des Weißen Hauses, belauern sich beide Seiten wie Kriegsparteien in Waffenstillstandsverhandlungen.
Darf der Verhandlungstisch für die Debatten über die Zukunft von Obamas blockierter Gesundheitsreform U-förmig sein oder nicht? Wer sitzt neben wem, wo steht welches Namensschild? Gebührt dem Präsidenten ein erhöhter Platz? So lauten die Fragen, seit Tagen. Nach letztem Stand wird der Tisch nicht U-förmig sein, jeder bekommt ein Namensschild, die Lehne des Präsidenten ist so hoch wie jede andere. Aber schon droht neues Ungemach: Sollen die TV-Kameras, die von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags live übertragen, während des Mittagessens laufen?
"Es geht zu wie bei den Vietnam-Friedensgesprächen", stöhnt Ann Compton, TV-Veteranin bei ABC News.
"Es ist in Ordnung, Nein zu sagen"
Schwer wiegen die Ängste: Die Republikaner fürchten, als Partei der Neinsager vorgeführt zu werden. Zwar haben sie den Präsidenten lange zu mehr Transparenz in der Gesundheitsdebatte gedrängt. Doch sie zögerten, die Einladung zur Diskussion vor Kameras anzunehmen - zu deren Beginn Obama die zentralen Punkte seines Kompromissvorschlags vortragen will, der seit Montag im Internet nachzulesen ist. Er basiert auf den Entwürfen, die Repräsentantenhaus und Senat Ende 2009 beschlossen haben, die es aber noch abzustimmen gilt. Republikaner und Demokraten sollen dem Präsidenten antworten, zu den Folgen für das Staatsbudget, zu Kostenfragen, der Versicherungspraxis, den Millionen Unversicherten.
Die Republikaner fürchten einen PR-Coup statt echter Debatten. "Der Präsident will wieder ein Gesetz vorlegen, das die amerikanischen Bürger eindeutig abgelehnt haben", sagt Eric Cantor, Nummer zwei der Konservativen im Repräsentantenhaus.
Dementsprechend gering scheint die Verhandlungsbereitschaft der Opposition. "Es ist in Ordnung, zu einer Regierungsübernahme des Gesundheitswesens Nein zu sagen", gibt Mitt Romney, ein denkbarer republikanischer Präsidentschaftskandidat, als Kurs vor.
Obama könnte störrische Republikaner ausbooten
Dem Präsidenten könnte eine solche Verweigerungshaltung gelegen kommen. Sicher, er will sich beim Gipfel als Moderator präsentieren, der auch dem politischen Gegner Gehör schenkt. Gerade nun, da die Republikaner im Senat seine umfassende Reform blockieren können. Obama dürfte Aufgeschlossenheit zu strengerer Kostenkontrolle im Gesundheitssektor oder einer Reform des Schadensersatzrechts für Ärzte signalisieren. Beide Anliegen sind der Opposition sehr wichtig.
Er will aber auch unbedingt eine Gesundheitsreform verabschieden. Geben die Republikaner sich weiter störrisch, könnte Obama dies als Argument für einen härteren Kurs nutzen - angefeuert von Parteifreunden, die den Dialog mit den Republikanern für Zeitverschwendung halten.
Zwar scheint ausgeschlossen, dass die Demokraten im Repräsentantenhaus einfach der Senatsfassung zustimmen, die der Präsident dann unterschreiben könnte. Zu groß sind die Bedenken linker Hausabgeordneter etwa über darin enthaltene Kostensenkungspläne bei der medizinischen Staatshilfe für Ältere oder Schranken für illegale Einwanderer.
Mit einem Trick das Gesetz durchboxen
Denkbar ist aber ein Versuch, Kompromisse im Gesetz einzubauen, diese im Repräsentantenhaus zu beschließen - und durch einen prozeduralen Trick doch noch durch den Senat zu boxen. Er heißt "reconciliation" ("Schlichtung/Ausgleich"), meint aber eigentlich das Gegenteil. Danach genügt eine einfache Mehrheit von 51 Senatoren, wenn es nur noch um Budgetauswirkungen eines Gesetzes geht. Um der Vorschrift zu genügen, müssten Teile des Gesundheitskonzepts geopfert werden. Aber die Republikaner könnten den Rest nicht mehr durch Endlosdebatten, den sogenannten Filibuster, blockieren.
Dieses Verfahren wird recht selten genutzt in der US-Politik, es ist umstritten. Doch Norman Ornstein, Kongressexperte beim American Enterprise Institute in Washington, sagt SPIEGEL ONLINE: "Der Gesundheitsgipfel kann dem Präsidenten eine gute Rechtfertigung für so eine Strategie geben. Wenn er republikanische Ideen aufgreift, sie aber dennoch weiter gegen seine Reform sind, steht ihm diese aggressive Option offen."
"Ein bisschen Härte würde mich nicht stören"
Lange hat Obama sich in Debatten zur Gesundheitsreform betont zurückgehalten, Demokraten im Kongress sollten den Kurs vorgeben. Obama wollte nicht den Fehler von Bill und Hillary Clinton wiederholen, die 1993 hinter verschlossenen Türen einen Plan austüftelten und so Parlamentarier vor den Kopf stießen.
Doch auch seine abwartende Strategie ging nicht auf. Nun will er die Debatte bestimmen. "Ein bisschen Härte würde mich nicht stören", sagt das demokratische Kongressmitglied Louise Slaughter der "New York Times".
Das Gipfeltreffen soll den Präsidenten wieder als Anwalt der vielen Amerikaner präsentieren, die unter den Schwächen des bestehenden Gesundheitssystems ächzen. Sie würden ihm wohl auch verzeihen, wenn er nur einen Teil der Reform durchsetzen kann. Treibende Kraft hinter Obamas neuer Strategie: Sein Stabschef , früher einflussreicher Kongressabgeordneter und im Weißen Haus zuständig fürs Grobe. Er trägt den Spitznamen "Rahmbo" mit Stolz. Emanuel will keine große Ideologie, er will Resultate.
Der einflussreiche "Washington Post"-Kolumnist Dana Milbank schreibt: "Obamas größter Fehler war, nicht auf Emanuel bei der Gesundheitsreform zu hören." Dieser habe lange für einen weniger ambitionierten Entwurf geworben, dem auch Republikaner zustimmen könnten. "Doch der Präsident", so Milbank, "verließ sich lieber auf linke Demokraten, die nur mit Stimmen ihrer Partei ein größeres Gesetz durch den Kongress bringen wollten. Das Resultat war ein Desaster".
Nun könnte Obama auf Emanuels Pragmatismus umschwenken. Er braucht dringend einen politischen Erfolg. Im November stehen Kongresswahlen an, zwei Jahre später schon der nächste Präsidentschaftswahlkampf.
Obama hat zwar gesagt, er präge lieber in einer Amtszeit das Land nachhaltig als zwei ohne große Wirkung zu absolvieren. Doch er will natürlich eine zweite Amtszeit. Am Mittwoch wurde vermeldet, dass private Planungen in Obamas Umfeld bereits begonnen haben - für seine Wiederwahlbewerbung 2012.