Glaubensprozess in Afghanistan Alle wollen Abdul Rahman retten
Berlin/Kabul - Angela Merkel machte sich heute bei ihren Kollegen in Brüssel für Abdul Rahman stark. Im Kreise der Europäischen Union werde man deutlich machen, "dass Afghanistan seine internationalen Verpflichtungen einhalten muss", sagte sie anschließend. Zuvor hatte sie mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karzai telefoniert.
Das Gespräch habe ihr den Eindruck vermittelt, dass der feste Wille zur Einhaltung der internationalen Verpflichtungen bestehe, sagte Merkel anschließend. "Ich hoffe, dass wir zu einer Lösung kommen." Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat nach eigenen Angaben bereits am Dienstag mit seinem afghanischen Amtskollegen telefoniert und ihm "deutlich mitgeteilt, dass wir es nicht hinnehmen können, wenn der Staatsanwalt in so einem Fall die Todesstrafe fordert".
Steinmeier äußerte Verständnis dafür, dass in der deutschen Öffentlichkeit jetzt auch Fragen nach dem Verbleib der Bundeswehr in Afghanistan gestellt würden. Man müsse aber Kabul erst einmal die Chance geben, innerhalb des Verfahrens zu reagieren und nicht "jedes Geschütz schon zu dieser Zeit auffahren", fügte er hinzu.
CSU-Chef Edmund Stoiber sprach sich dafür aus, Afghanistan aus Europa klar zu signalisieren: "So geht es nicht." Es sei nicht zu vereinbaren, dass auf der einen Seite internationale Soldaten in Afghanistan Demokratie und Freiheit sicherten, das Land auf der anderen Seite aber mit der Todesstrafe drohe, sagte der bayerische Ministerpräsident. "Ein Wechsel des Glaubens ist zutiefst privat. Das geht den Staat nichts an."
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller setzte sich in einem Brief an den afghanischen Botschafter für die Freilassung Abdul Rahmans ein. "Mit diesem Prozess wird gegen die Menschenrechte und vor allem gegen die Religionsfreiheit verstoßen, die zu den zentralen Grundwerten freiheitlicher Gesellschaften zählen", schrieb der CDU-Politiker. Er forderte alle Saarländer auf, sich seinem Protest anzuschließen.
Auch US-Außenministerin Condoleezza Rice intervenierte in dem Fall. Sie protestierte gegenüber der afghanischen Regierung gegen die Verfolgung Rahmans - mit einem ungewöhnlichen Schritt: Sie rief Präsident Karzai an und bat ihn direkt um eine "gute Lösung" des Falles. Es sei wichtig für das afghanische Volk zu wissen, dass die Religionsfreiheit in ihrem Land überwacht werde, sagte sie laut ihrem Sprecher Sean McCormack dem afghanischen Präsidenten. Zuvor hatte sie dem Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, zufolge bereits mit ihrem afghanischen Amtskollegen Abdullah Abdullah in Washington gesprochen und ihr "Missfallen" zum Ausdruck gebracht.
Intervention Karszis erwartet
Ungeachtet der internationalen Proteste forderten führende afghanische Geistliche den Tod Abdul Rahmans. Der afghanische Wirtschaftsminister Amin Farhang rechnet jedoch mit einer Intervention Karzais. Er verwies zwar auf das Prinzip der Gewaltenteilung in Afghanistan, sagte aber auch, dass in der afghanischen Verfassung die Achtung der Menschenrechte festgeschrieben sei. "Es kann sein, dass zwischen den beiden Gewalten im Staate ein Konflikt entsteht", sagte Farhang. "Dann ist es die Aufgabe des Präsidenten, diesen Konflikt zu lösen."
Der Minister geht davon aus, dass Abdul Rahman in die Psychiatrie eingewiesen werde. Ein Richter habe festgestellt, dass der Angeklagte geistig nicht ganz in Ordnung sei, sagte Farhang dem "Kölner Stadtanzeiger". Abdul Rahman habe dem Richter zufolge "widersprüchliche Sachen" gesagt und seine gesamte Familie unter Druck gesetzt, dass auch sie zum Christentum konvertieren solle. Auch im Islam sei die Rechtslage so, dass ein Angeklagter im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte sein müsse, betonte Farhang. Das treffe auf Abdul Rahman aber nicht zu, deshalb müsse er psychiatrisch behandelt werden. "Ich hoffe und vermute, dass die Sache so ausgeht."
Führende afghanische Geistliche wiesen die Darstellung zurück. "Er ist nicht verrückt. Er ist vor die Medien getreten und hat bekannt, ein Christ zu sein", sagte etwa Hamidullah, der Chefprediger der Hadschi Jakob Moschee in Kabul. "Die Regierung fürchtet sich nur vor der internationalen Staatengemeinschaft. Aber die Bevölkerung wird Abdul Rahman töten, wenn er freigelassen wird."
Der 41-Jährige, der viele Jahre in Deutschland gelebt hat, war vor 16 Jahren vom Islam zum Christentum übergetreten. Im Februar wurde er festgenommen, nachdem ihm seine Familie den Glaubenswechsel vorgeworfen hatte. In Kabul wird ihm nun der Prozess gemacht.
ler/AP/AFP