Klima-Aktivistin Thunberg in Brüssel Greta redet, Juncker antwortet nicht

Greta Thunberg trifft auf Jean-Claude Juncker - doch die junge Klimaschutzaktivistin und der EU-Kommissionspräsident haben sich wenig zu sagen. Die Episode zeigt, wie unbeholfen die Politik auf Proteste von Schülern reagiert.
Jean-Claude Juncker, Greta Thunberg

Jean-Claude Juncker, Greta Thunberg

Foto: YVES HERMAN/ REUTERS

Es gibt nicht viele Menschen, die bei einem Kongress des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses den Saal füllen, bis er kurz vor dem Bersten steht. Am Mittwoch aber ist Greta Thunberg im Charlemagne-Gebäude der EU-Kommission in Brüssel. Und wo die junge schwedische Klimaschutzaktivistin dieser Tage ist, drängen sich meist auch Ansammlungen von Politikern, Funktionären, Lobbyisten und Journalisten.

Auch Jean-Claude Juncker ist da. Weit hatte er es nicht, das Berlaymont - die mächtige Zentrale der Kommission - steht gleich auf der anderen Straßenseite. Kaum hat der Kommissionspräsident den Saal betreten, schüttelt er Hände und verteilt Wangenküsse, sein Markenzeichen. Greta Thunberg bekommt einen Handkuss. Als Juncker seinen Platz auf dem Podium erreicht, hat sich Thunberg schon an einem Stehpult vor der Bühne in Position gebracht.

"Ich bin Greta Thunberg, ich bin eine Klima-Aktivistin aus Schweden", sagt die Schülerin mit leiser Stimme ins Publikum, ganz so, als ob sie sich noch vorstellen müsste. Sie ist 16, wirkt aber um Jahre jünger. Einige ihrer Mitstreiter, die während ihrer Rede hinter ihr stehen, überragen sie um Kopfeslänge. Hinter einer Wand aus Fotografen ist die Schwedin in ihrem hellen Hemd zeitweise kaum noch zu sehen. In der Totalen des mächtigen Saals wirkt sie winzig.

Ratlosigkeit, Unbeholfenheit, Herablassung

Dann sagt Greta Thunberg, was Greta Thunberg schon oft gesagt hat. "Wir können nicht mehr warten, bis wir erwachsen sind und das Sagen haben." Es müsse etwas geschehen, und zwar jetzt. "Wir wissen, dass die meisten Politiker nicht mit uns reden wollen. Gut. Wir wollen auch nicht mit ihnen reden", sagt Thunberg. Es gibt einige Lacher und Applaus. "Wir wollen, dass sie stattdessen mit den Wissenschaftlern reden und ihnen zuhören."

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Politiker müssten darüber eigentlich erleichtert sein. Denn wenn Thunbergs Auftritt in Brüssel eines erneut zeigt, dann dies: Protestierende Schüler sind der Politik zutiefst unheimlich. Niemand scheint so recht zu wissen, was man mit ihnen anfangen soll. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Ratlosigkeit, Unbeholfenheit und einer Portion gönnerhafter Herablassung.

Das beginnt schon mit der Frage, wie ernst man die Bewegung nehmen soll. Wissen Jugendliche überhaupt, wovon sie reden, wenn sie auf Plakaten strengere CO2-Vorgaben fordern? Oder sind die Proteste für sie nur eine Gelegenheit, auf der Straße Spaß zu haben, statt zur Schule zu gehen? Ist Greta Thunberg am Ende nur eine Marionette von PR-Strategen, wie ihre Gegner behaupten ? Selbst Kanzlerin Angela Merkel gab derartigen Gerüchten Nahrung, als sie die Schülerproteste in einen Zusammenhang mit Desinformationskampagnen der russischen Regierung stellte.

Juncker muss sich von Theresa May erholen

Während Thunberg also in Brüssel über negative Emissionen, Treibhausgasreduktionsziele und das 1,5-Grad-Ziel referiert , schaut Juncker mal auf den Rücken der jungen Schwedin, mal auf den Boden, mal schweift sein Blick in die Ferne. "Wie immer kehren sie ihren Mist unter den Teppich und überlassen das Aufräumen unserer Generation", sagt Thunberg. Sie spricht nicht aus, wer "sie" sind. Junckers Blick wandert von einem Punkt irgendwo im Saal auf die Tischplatte vor ihm.

Nach neun Minuten ist die Rede vorbei. Applaus kommt auf, Juncker rührt keine Hand. Dann klatscht er doch noch, genau viermal. Er pausiert. Als der Applaus der anderen anhält, klatscht er zwei weitere Male. "Danke, Greta!", ruft die Moderatorin Thunberg hinterher, die sich bereits auf den Weg nach draußen gemacht hat. "Viele, viele Erwachsene in diesem Raum sind bewegt und gerührt von deiner leidenschaftlichen Rede!"

Juncker, das zumindest vermittelt seine Körpersprache, gehört nicht dazu. Vielleicht aber war er auch einfach nicht ganz bei der Sache. Er müsse sich erst noch vom Gespräch mit der britischen Premierministerin Theresa May am Abend vorher erholen, sagt Juncker. "Insofern muss ich mich wirklich darauf konzentrieren, was heute Morgen hier stattfindet." Er finde es gut, dass junge Menschen sich für Veränderungen einsetzen. Er selbst habe das als Jugendlicher auch getan. "Ich habe allerdings immer samstagnachmittags demonstriert und nicht während der Schulzeit", meint Juncker. "Das ist der Unterschied zu heute."

Video: Greta Thunberg im Porträt

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Es folgt eine Rede , in der Juncker auf den Klimaschutz, auf Afrika, die Schönheit Europas, die Aggressionen Russlands, die Finanzprobleme Griechenlands und US-Präsident Donald Trump zu sprechen kommt. Zwischendurch geht es um Verordnungen für Toilettenspülungen und den Schutz der Bienen  - alles in weniger als 15 Minuten.

Am Ende wirkt seine Rede eher wie eine Erfolgsbilanz Junckers über seine zur Neige gehende Amtszeit. Und weniger als eine Reaktion auf die Worte einer schwedischen Schülerin, deren Namen Juncker nach seinen Begrüßungsworten nicht mehr in den Mund nimmt.

Luca Jahier, Präsident des EU-Wirtschafts- und Sozialausschusses und damit Gastgeber beim Kongress, nutzt die eigentlich für Fragen und Antworten vorgesehenen Minuten nach Junckers Rede für ein Loblied auf den Kommissionspräsidenten. Er sei kein Historiker, sagt Jahier. "Aber du und deine Kommission haben viel für Europa getan." Außerdem gebe es ohne Bienen keinen Honig, weshalb man Bienen schützen müsse.

"Ich habe es für dich getan", gibt Juncker zurück, dem die Sache jetzt sichtlich unangenehm wird. Er wendet sich ans Publikum. "Es hat mich ein Vermögen gekostet, ihn dazu zu bringen, das alles über mich zu sagen."

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