Griechen-Krise Katerstimmung auf Kreta

Nach der Schuldenkrise die Tourismuskrise? Ausgerechnet der Wirtschaftsbereich, der für den griechischen Aufschwung garantieren soll, kommt jetzt ins Trudeln. Hunderte Hotels stehen zum Verkauf, die Urlauberzahlen brechen ein, ein Ausweg aus der Misere grenzt für Experten "an Zauberei" - eine Bestandsaufnahme auf Kreta.

Das Geschäftsjahr hat spät angefangen für Dimitris Fassoulakis. Es ist Mitte Mai, die Sonne brennt vom griechischen Himmel, Fassoulakis, 41, steht auf der verwaisten Terrasse seines Hotels in Matala an der Südküste von Kreta und hat nichts zu tun. Die Rezeption ist ausgestorben, der Speiseraum leer, der Pool plätschert träge vor sich hin, keine Menschenseele weit und breit. "Suchen Sie sich einen Platz aus", sagt der jugendliche Manager ironisch lächelnd und breitet die Arme aus.

Fassoulakis Bungalow-Hotel "Valley Village" im grünen Randstreifen der ehemaligen Hippie-Hochburg hat 70 Zimmer mit über 200 Betten, acht davon sind belegt, ein absoluter Minusrekord. Eigentlich beginnt die Urlaubssaison auf Kreta um Ostern herum, Anfang April, manchmal sogar schon Ende März, auch für ihn. Mangels Nachfrage hat der junge Hotelchef seine Türen dieses Jahr aber gerade erst geöffnet, 50 der 210 Tage langen Saison sind vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hat, Einnahmen? Null.

"Noch ist nicht alles verloren", sagt der ehemalige Schiffsingenieur, sein Lächeln soll Optimismus signalisieren, aber es hört sich an wie Pfeifen im Wald. Die Auslastung für die kurze Hochsaison liegt bislang bei 50 Prozent, das sind 30 Prozent weniger als in früheren Jahren, und das bei Zimmerpreisen von 30 bis 50 Euro.

"Ein Hotel zu haben, ist kein gutes Geschäft mehr", sagt der junge Mann. Wenn nicht auch noch die Familien von seinem alten Vater Manolis, der das Hotel gründete, und seinen zwei Brüdern mit von der Existenz des Betriebs abhängig wären, hätte er wohl längst verkauft.

Und wenn er noch mal vor die Wahl gestellt würde, die Nachfolge seines Vaters anzutreten? "Ich würde mich anders entscheiden", sagt er mit leiser Stimme, "ganz bestimmt".

Iris Andrianakis, 47, und ihr Mann Joannis, 55, keine 200 Meter weiter die Straße runter zum Strand haben ihre Entscheidung getroffen. Ihr Appartementhaus mit 11 Räumen und zwei Studios steht für 500.000 Euro zum Verkauf. Und auch ihr Hotel "Xenophon" mit 21 Zimmern und Swimmingpool nebenan ist zu haben, es soll 300.000 mehr bringen.

Ihr Entschluss ist schon länger gereift. Der zunehmende Konkurrenzdruck von Billiganbietern und Pauschalangeboten, die Rezession in Europa, die immerwährende Ausbeutung der eigenen Arbeitskraft in dem 35 Jahre alten Familienbetrieb, "es gibt einen Punkt, wo man ausgelaugt ist", sagt Iris Andrianakis.

"Man sieht die Krise und man hört sie"

Finanzkrise in Griechenland

Die hat ihnen sicher den Rest gegeben. Sie sagt es nicht so offen, aber man hört es beinahe hinter jedem Satz. Nur eines ihrer Apartments ist derzeit gebucht, von einem Dauermieter, im Hotel sind gerade fünf der 21 Zimmer mit Gästen belegt, bei Preisen von 30 Euro inklusive Frühstück, 30 Prozent günstiger als in früheren Jahren.

"Man sieht die Krise und man hört sie", sagt sie, "normalerweise knattert es um diese Zeit hier die Straße hoch und runter". Die aparte Blonde mit dem wuscheligen Lockenkopf hört überall im Ort von "reihenweise Stornierungen", "man muss die Zeichen erkennen", sagt sie.

Stell Dir vor, es ist Sommer in Griechenland und keiner will hin. Fassoulakis hat sich das lange nicht vorstellen können, er hat noch voriges Jahr mit umfangreichen Renovierungsarbeiten begonnen, um seine Anlage aufzuhübschen. Er hat Architekten zeichnen lassen und Genehmigungen eingeholt, mit Arbeiten begonnen für neue Kinderräume oder einen Basketballplatz, sein Internetauftritt ist zeitgemäß. Plötzlich flossen die Kredite nicht mehr. "Wie soll das weitergehen", fragt er, "die Antwort weiß keiner".

Griechen

Matala ist kein Einzelfall, Kreta steht symptomatische für das ehemalige Urlaubsparadies. Griechenland ein einzig Siechenland? Schuldenkrise und Kampf um europäische Finanzspritzen, Generalstreiks wie am vorigen Donnerstag wieder und Massendemonstrationen, Randale in den Straßen und brennende Banken mit Toten, der Ruf der mit ihrer gerühmten Gastfreundlichkeit wurde zuletzt nachhaltig ramponiert.

Tourismus

Dazu immer neue Geschichten von Korruption, Filz und Betrug, wie die von dem populären Schlagersänger Tolis Voskopoulos, der sich seit über 15 Jahren mit Tricks und Finten weigert, seine Steuerschuld von inzwischen 5,5 Millionen Euro zu zahlen. Seine Frau, die Vizeministerin für , Angela Gerekou, musste deswegen vorigen Montag die Regierung verlassen. Sie belastete das Bild des Saubermannes Georgios Papandreou.

Reisewarnungen für Athen

Die Auswirkungen der schlechten Nachrichten erreichen Hoteliers wie Judith Kessler-Ktistaki in Kalamaki im Tagestakt. In E-Mails fragen Kunden besorgt, "Oh Gott, oh Gott, was passiert bei Euch", oder "könnt Ihr die Buchungsbedingungen garantieren?". Wenn über 60 Prozent der Gäste wie bei ihr Stammkunden sind, klappt das noch mit der Beruhigung. In vielen Häusern sieht es anders aus.

Um etwa 30 Prozent sind die Buchungszahlen seit Beginn der ersten Krisenzeichen im vorigen Sommer im Landesschnitt gesunken, manche Experten gehen sogar von noch höheren Schrumpfungsraten aus. Allein in den ersten 24 Stunden nach den Toten am Rande des Generalstreiks Anfang Mai wurden in 28 Athener Hotels fast 5800 Übernachtungen storniert, meldete der Tourismusverband Sete.

Dutzende Kongresse und Großveranstaltungen wurden abgesagt, in Athen und Thessaloniki, aber auch in den Urlaubszentren auf Kreta und Chalkidiki. Mit mindestens "300.000 Deutschen weniger" rechnet der Verband. Manche Länder, wie zum Beispiel Rumänien, haben Reisewarnungen für Athen ausgegeben.

Über 400 Hotels mit einem Marktwert von 2,5 Milliarden Euro stehen derzeit offiziell bei Immobilienmaklern zum Verkauf, haben Experten ermittelt, 81 auf den Ionischen Inseln, 48 auf Rhodos, 50 auf den Kykladen, 44 auf Kreta. Paros, Naxos, Andros, Milos, Santorini, Korfu, Kos, der griechische Urlaubsatlas liest sich wie ein einziges Ramschangebot.

Die angesehene Athener Tageszeitung "Kathimerini" schätzt die Zahl der Verkaufsofferten sogar auf mindestens 900 Hotels zu einem Gesamtpreis von über fünf Milliarden Euro. Große Nobelherbergen gehören dazu wie die in Chania oder anderswo an der Nordküste, über deren Namen niemand offen reden mag. Oder mittlere wie das "Mary Helenn" bei Timbaki an der Südküste mit rund 70 Zimmern, dass als verwitterte Ruine mit verrammelten Fensterläden am Berg über der Küste hängt und vor sich hinrottet. Als einziger Gast ein stolzer Fasan mit buntem Federbusch.

Wer ein Schnäppchen machen will, hat gute Chancen

Einstmals pulsierende Urlaubszentren wie das frühere Fischerdorf Agia Galini, das über Jahre als Kultzentrum für erlebnishungrige Individualtouristen galt, präsentieren sich ihren Besucher jetzt in andächtiger Beschaulichkeit. Die Tavernen am Hafen sind leer, die Liegen am Strand ebenso.

Manche Cafes, Restaurants und Herbergen sind noch geschlossen, etliche Hotels stehen zum Verkauf. Wer ein Schnäppchen machen will und sich traut, hat gute Chancen. Das "Andromeda", 32 Zimmer, Swimmingpool auf dem Dach, Blick vom Hang über das Dorf, hat seine gute Zeiten längst hinter sich - Kaufangebot 800.000 Euro. Das "Hariklia", zehn Zimmer, mit Seeblick, kostet 550.000, nur wer will es haben?

Das "Ostria" verbirgt sich hinter leuchtenden Blumenblüten in einer ruhigen Seitenstraße und hat zu. Juniorchef Babis Papamatheakis, 39, will erst Ende des Monats aufmachen, vielleicht. Vielleicht aber auch erst am 6. Juni oder um den 10. Juni herum. "Wir haben keine Buchungen", sagt er, drei oder vier Reservierungsanfragen hatte er, zwei davon hat er zu anderen Hotels geschickt.

"Die Entwicklung geht immer weiter nach unten", sagt er, bei 25 bis 28 Euro pro Zimmer "ist es schwer Geld zu verdienen im Moment". Er will die Immobilie abstoßen, 700.000 bis 750.000 Euro, und sie ist weg.

Dem "Petra" um die Ecke geht es scheinbar vergleichsweise besser. Eine Handvoll Gäste sonnt sich am Pool auf der Dachterrasse, im Ofen hinter der Bar dampft das Pizzablech. 70 Prozent Auslastung, freut sich Besitzer Evangelis Markakis, 71. Das scheint ein wenig geschönt, auf jeden Fall rechnet es sich ganz offenkundig nicht. "Jetzt ist genug, jetzt mach ich mal Ferien", sagt er und preist das "Petra" zum Verkauf, für 970.000 Euro.

"Tourismus ist unsere Schwerindustrie"

Der Einbruch im Fremdenverkehr kommt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. 18 Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet Griechenland durch den Tourismus, jeder fünfte Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt vom Fremdenverkehr ab. "Tourismus ist unsere Schwerindustrie", sagt Andreas Metaxas, 49. Neben Landwirtschaft und Schifffahrt, die schon lange unter der globalen Krise leidet, hat Griechenland keinen nennenswerten Wirtschaftszweig, der im Zeichen der Krise für neues Wachstum und mehr Einnahmen sorgen könnte.

Der Hotelchef mit dem beziehungsreichen Namen sitzt im Garten seines schnieken Fünf-Sterne-Hotels "Candia Maris" bei Heraklion mit 285 Zimmern. "Wir sind halbvoll, nicht halbleer", sagt er und betont das mit Nachdruck, in den letzten Jahren waren es deutlich mehr: "Die Stornierungen klingen wie ein ewiges Alarmsignal, besucht nicht Griechenland."

Metaxas ist Vizepräsident des griechischen Hotelverbandes. Während in den Großstädten die Gewerkschaften zum nächsten Generalstreik mobilisieren, spricht er offen von den Problemen seiner Branche. Von den Fluglotsen, die immer wieder den Luftverkehr lahmlegen; von der Gewerkschaft der Seeleute, die zum Beispiel am 1. Mai den Fährverkehr auf die Inseln bestreikten; von den protestierenden Seeleuten, die Ende April rund 1000 Passagieren eines Kreuzfahrtschiffes im Hafen von Piräus nicht an Bord ihres Cruiseliners ließen.

"Wir stecken in der schwierigsten Situation überhaupt", sagt Metaxas. 2,5 Millionen Euro hat er im letzten Winter in seine schmucke Anlage investiert, fünf Millionen im Winter zuvor, für neue Badezimmer, neuen Swimmingpool, mehr Grün, besser Freizeitangebote. "Du brauchst Geld, um Qualität und Angebot zu sichern, gleichzeitig musst Du Kosten reduzieren und Preise senken, um alte Kunden zu halten und neue zu gewinnen", sagt er: "Das ist Zauberei".

Stete Suche nach neuen Angeboten als Antwort auf die Krise

Wenn die nicht gelingt, hat die Krise ihren Höhepunkt auf Kreta noch nicht erreicht. 43 Prozent des lokalen Bruttoinlandsprodukts sind auf der Insel vom Tourismus abhängig. Kaum auszudenken, wenn der Abwärtstrend anhält. Wo sollen dann die dringend benötigten Einnahmezuwächse für den defizitären griechischen Haushalt herkommen?

Die familiären Pensionen und Zimmervermieter wie in Kalamaki mit ihrer berühmten Gastlichkeit, die sich als vergleichsweise krisenfest erweist, können das allein nicht schaffen. Sie haben die Klasse, bringen aber nicht die Masse.

27 Zimmer und Studios mit knapp hundert Betten hat Judith Kessler-Ktistakis in verschiedenen kleinen Häusern in Kalamaki und Kamilari, dazu 120 Mietwagen, das Geschäft läuft, als hätte es nie eine Krise gegeben. Eine Auslastung von durchschnittlich 65 Prozent über sieben Monate kann sich sehen lassen, "wir gehören zu den wenigen Glücklichen", sagt die Ex-Hamburgerin, die seit 20 Jahren hier lebt, nicht ohne Stolz.

Individuelle Betreuung bis hin zum Familienanschluss, zwei Drittel Stammkunden und stete Suche nach neuen Angeboten, vom Bio-Olivenöl bis zum Yoga-Raum, sind ihre "Antwort auf die Krise". Das reicht für ein gutes Auskommen ihrer Familie, vielleicht noch als Vorbild für ähnliche Anbieter entlang des kilometerlangen Sandstrandes im Naturschutzgebiet der Komos-Bucht in Kretas Süden. Aber eben nicht als Krisenrezept für den Großteil der Branche.

Die hofft auf Hilfe von der überforderten Regierung. Und auf neue Konzepte der staatlichen Fremdenverkehrsorganisation EOT, die eigens einen Krisenstab eingerichtet hat. Eine Imagekampagne im Ausland könnte so etwas sein, die das andere Griechenland präsentiert, das ehrliche, gastfreundliche Heimatland von Sirtaki und Tsatsiki. Das gibt es noch, Krise hin oder her.

So eine Werbeoffensive kostet allerdings Geld, das im Moment nicht da ist. Für die letzten Anzeigenkampagnen schuldet die EOT den griechischen und ausländischen Medien bis heute Geld, rund 100 Millionen Euro.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten