Griechischer Migrationsminister Flüchtlinge als Ausrede, um Europa zur Festung zu machen

Flüchtlinge in der Ägäis (Archivbild)
Foto: YANNIS BEHRAKIS/ REUTERS
Dimitris Vitsas, Jahrgang 1956, ist seit März 2018 griechischer Migrationsminister. Zuvor studierte er Jura an der Universität Athen und war später eines der Gründungsmitglieder von Synaspismos, der größten Partei der Koalition aus der das Regierungsbündnis Syriza hervorging.
SPIEGEL ONLINE: Herr Vitsas, will Griechenland "Tausende Flüchtlinge" aus Deutschland zurückzunehmen? Das verbreitet immerhin die griechische Boulevardpresse und bezieht sich dabei auf die Absprache zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Premier Alexis Tsipras.
Vitsas: Ganz sicher nicht. Wir haben ein Dreierabkommen zwischen Deutschland, Griechenland und Spanien. Wenn das unterschrieben ist, werden Menschen, die bei uns registriert sind, dann aber an der deutsch-österreichischen Grenze auftauchen, zurückgeschickt. Aber erst nach Absprache mit Athen.
SPIEGEL ONLINE: Von wie vielen Menschen reden wir?
Vitsas: Laut meinen Informationen hat Deutschland in den vergangenen sechs Monaten 1200 Anträge auf Rückführung nach den Dublin-Statuten gestellt. Aber das Abkommen hat noch eine zweite Komponente. Deutschland wird rund 2000 Familienzusammenführungen erlauben, die bisher ausgesetzt sind. So soll ein gewisses Gleichgewicht sichergestellt werden.
SPIEGEL ONLINE: Was genau beabsichtigt Horst Seehofer dann mit seinem harten Kurs, wenn wir von derart niedrigen Zahlen sprechen? Ist der CDU/CSU-Streit nur eine Shownummer, mit dem Flüchtlingsthema als vermeintlichem Auslöser?
Vitsas: Eine solch hitzige Debatte hätte ich 2015/2016 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise erwartet. Und nicht jetzt, wo rund 96 Prozent weniger Menschen kommen. Ich glaube, dahinter steckt eine Ausrede, um Europa immer mehr zur Festung und autoritärer zu machen. Das hängt auch mit dem Aufstieg rechter Kräfte in vielen Ländern Europas zusammen. Aber um ausländerfeindlichen Gruppen zu begegnen, darf man nicht deren Agenda übernehmen - sondern muss ihnen mit einer rationalen Agenda entgegentreten.

Minister Vitsas (r.), Christides
Foto: SPIEGEL ONLINESPIEGEL ONLINE: Sie treffen Seehofer diese Woche in Österreich. Was werden Sie besprechen?
Vitsas: Wir werden den Plan von Tsipras und Merkel präzisieren. Auf unserer Liste stehen fünf Punkte. Im Falle einer neuen Flüchtlingskrise müssen sofort vorher definierte Maßnahmen der EU greifen, die auf Solidarität und Lastenverteilung basieren. Erstaufnahmeländer erhalten mehr Unterstützung, sowohl was Geld als auch Personal angeht. Dabei reden wir vor allem von Asylbeamten und Grenzschützern. Wir brauchen mehr Unterstützung für die fünf griechischen Hotspot-Inseln. Die Details für die Rückführung von Menschen müssen ausgearbeitet werden, die in Griechenland registriert sind, aber in Deutschland aufgegriffen werden. Die Familienzusammenführung in Deutschland muss intensiviert werden.
SPIEGEL ONLINE: Der deutsch-griechische Deal soll ein Vorbild für andere bilaterale Abkommen werden. Wie soll er denn nun in der Praxis genau aussehen?
Vitsas: Die Details diskutieren wir jetzt auf höchster Ebene. Was ich schon verraten kann: Wenn jemand in Deutschland aufgegriffen wird, informieren die deutschen Behörden ihre griechischen Kollegen. Dann geht es für den Flüchtling per Flugzeug zurück. Jetzt muss ausgehandelt werden, wer das bezahlt. Das Ganze basiert auf den Dublin-Richtlinien, soll aber viel schneller gehen als bisher.
SPIEGEL ONLINE: Deutschland geht davon aus, dass bis zum Ende des Monats ein Deal steht. Ist das realistisch?
Vitsas: Vielleicht sogar schneller - solange guter Wille und Kooperation da sind. Unsere Expertenteams werde die Details in ein, zwei Treffen ausgearbeitet haben.
SPIEGEL ONLINE: Griechenlands Behörden klagen immer wieder über zu wenige Unterkünfte und zu wenig Ausrüstung. Wie wollen Sie zurückgesandte Menschen aus Deutschland versorgen?
Vitsas: Das Hauptproblem ist, dass die Verteilung in Europa nicht funktioniert. Solange sich das nicht bessert, kann der Druck auf die Erstankunftsländer nicht weichen. Es stimmt, derzeit haben wir hier nicht genug Unterbringungsmöglichkeiten. Aber die können wir schaffen.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt aber nicht so, als könnte der Deal kurzfristig umgesetzt werden.
Vitsas: Nein, so einfach, wie es klingt, wird es sicher nicht. Schauen Sie nur auf das Abkommen zwischen der EU und der Türkei. Erst dachten alle, Rückführungen wären ein Leichtes. Aber in der Realität kehren mehr Leute freiwillig zurück, als tatsächlich zurückgeschickt werden.
SPIEGEL ONLINE: Wird Griechenland sich - wie etwa Italien - irgendwann weigern, Bootsflüchtlinge aufzunehmen?
Vitsas: Nein. Jeder, der in griechischen Gewässern aufgegriffen wird, kommt auch auf griechischen Boden.