Griechenland in der Flüchtlingskrise "EU hält nicht, was sie verspricht"

Rückführung von Flüchtlingen auf Lesbos
Foto: Mert Cakir/ dpa
Panagiotis Kouroumblis, 64, wurde im September vergangenen Jahres von Premier Alexis Tsipras zum neuen griechischen Innenminister ernannt. Zuvor war er Gesundheitsminister. Er ist der erste blinde Minister Griechenlands.
Griechenland hat am Freitag die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei fortgesetzt. Zwei Schiffe brachten insgesamt 124 Migranten von den griechischen Ägäisinseln in die westtürkische Hafenstadt Dikili.
Die Abschiebungen im Rahmen des umstrittenen Abkommens zwischen der EU und der Regierung in Ankara hatten zwar am Montag begonnen, waren dann aber gestoppt worden. Offenbar gab es Probleme: Ein Großteil der Migranten und Flüchtlinge, die für die Rückführung ausgewählt wurden, hatte inzwischen einen Asylantrag gestellt, der dann erst geprüft werden musste - oder die Migranten waren auf den Abschiebelisten nicht mehr auffindbar. Vor allem fehlt es offenbar an Personal für die Bearbeitung der Anträge.
SPIEGEL ONLINE sprach mit dem griechischen Innenminister Panagiotis Kouroumblis über die Probleme.
SPIEGEL ONLINE: Hat die EU ihre Verpflichtungen eingehalten?
Panagiotis Kouroumblis: Wir sollten die Dinge beim Namen nennen. Die EU muss zu ihren Zusagen stehen. Uns wurden 60 Schiffe versprochen, geschickt wurden nur acht. Mein deutscher Kollege Thomas de Maizière hat zwei weitere versprochen, wir warten noch. 1600 Frontex-Mitarbeiter waren versprochen, 800 sind erst hier. 60.000 Migranten sollten aus Griechenland umverteilt werden. Bislang ist das nur mit 400 tatsächlich geschehen. 700 Millionen Euro wurden uns versprochen, aber wegen der bürokratischen EU-Mechanismen kamen bislang weniger als 40 Millionen Euro an.

Flüchtlingslager Idomeni: Symbol für Europas Versagen
SPIEGEL ONLINE: Sie sagen, die Türkei ist weder reif noch glaubwürdig genug für einen EU-Beitritt. Wie können Sie einem solchen Land vertrauen, ob es die Rechte der zurückgeschickten Flüchtlinge achten wird?
Kouroumblis: Wie Sie wissen, ist das kein bilaterales Abkommen zwischen uns und der Türkei, sondern eines, das alle EU-Staaten unterschrieben haben. Griechenland hat zuletzt ein Gesetz erlassen, das klar definiert, unter welchen Kriterien wir in ein sicheres Drittland abschieben. Die Türkei muss diese Kriterien erfüllen, um ihre Chancen auf einen EU-Beitritt wiederzubeleben.
SPIEGEL ONLINE: In dem Hunderte Seiten langen neuen Gesetz wird die Türkei mit keinen Wort erwähnt. Trotzdem geht Griechenland offenbar davon aus, die Türkei sei sicher.
Kouroubmlis: Es gibt keine Anerkennung in dem Gesetz, sondern nur unsere Kriterien.
SPIEGEL ONLINE: Wird Griechenland mit Abschiebungen aufhören, wenn die Türkei, trotz der EU-Türkei-Vereinbarung, die Kriterien nicht erfüllt?
Kouroumblis: Natürlich. Wenn wir feststellen müssen, dass Flüchtlinge dort nicht sicher sind und dass ihre Rechte nicht respektiert werden, schicken wir keine mehr zurück. Die Beweislast liegt bei Europa, beim zivilisierten Europa. Das ist kein bilateraler Deal.
SPIEGEL ONLINE: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International berichtet, die Türkei schiebe zurück nach Syrien ab.
Kouroumblis: Die Vorwürfe sind bekannt, aber wir hoffen, dass die Türkei ihren Teil der Vereinbarung einhält. Aber um das klarzustellen: Die EU erlaubt, dass die Nordgrenze Griechenlands geschlossen wird. Europa hält sich nicht an die Umsiedlung innerhalb der EU. Auch beim Personal, bei den Schiffen hält die EU bislang nicht, was sie verspricht. Was soll Griechenland also tun? Wir tragen die größte Last in der Krise und werden obendrein beschuldigt, die Probleme schlecht zu verwalten. Die EU hat 580 Millionen Einwohner und es soll so schwer sein, 1,5 Millionen Menschen unterzubringen? Ist das das Europa, an das wir glauben, ein Europa der geschlossenen Grenzen? Ein Europa, das sich dem neuen Nationalismus ergibt, wie ihn ausgerechnet die neuen EU-Staaten zur Schau stellen, die auch dank Griechenlands Unterstützung in die EU gekommen sind? In Europa wurde schon viel Blut wegen aufkeimendem Nationalismus vergossen.