Athen und das Euro-Problem Hintergründe zur Griechenlandkrise - endlich verständlich

Hintergründe zur Griechenlandkrise - Endlich verständlich
Im April 2010 gab der damalige Premierminister Georgos Papandreou die Horrornachricht bekannt: Seinem Land drohe die Zahlungsunfähigkeit. Dass es so weit kommen konnte, hat mehrere Ursachen:
Unsolide Haushaltspolitik: Papandreou musste bereits kurz nach Amtsantritt 2009 einräumen, dass das Defizit nicht 6 Prozent betrage wie von der konservativen Vorgängerregierung mitgeteilt, sondern 13 Prozent. Es war nicht das erste Mal, dass die Griechen mit geschönten Zahlen und kreativer Buchführung ihre Zahlen frisierten. War die Staatsverschuldung in den Achtzigerjahren zunächst massiv angestiegen, schien sie in den Neunzigerjahren plötzlich zu schrumpfen. Bei der Aufnahme in die Eurozone im Jahr 2000 meldete Athen ein Defizit von unter zwei Prozent. Die Zweifel an der wundersamen Entwicklung waren groß in Europa, dennoch durfte Griechenland in die Währungsunion. Mit dem harten Euro aber wurde den Hellenen das Schuldenmachen erst richtig leicht gemacht. Der Staat musste für Kredite deutlich niedrigere Zinsen zahlen, denn die Investoren gingen nun davon aus, dass die Euro-Partner den Griechen bei Problemen mit der Zahlungsfähigkeit schon zur Seite springen würden – so kam es dann ja auch.
Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit: Die Lohnstückkosten, die beschreiben, wie viel Lohn ein Produkt kostet, und die als Gradmesser für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft gelten, waren bis zum Ausbruch der Krise viel zu hoch. Das heißt: Die Arbeit war im Verhältnis zur Produktivität zu teuer. Auch die Handelsbilanz, bei der Warenausfuhren und -einfuhren gegenüber gestellt werden, zeigt ein grundlegendes Problem: Griechenland hat zu wenig Produkte, die im Ausland begehrt sind. Jahrzehntelang wurde deswegen weit mehr importiert als exportiert. Um die Einfuhren zu bezahlen, musste das Land sich im Ausland immer mehr Geld leihen. Der Schuldenberg wuchs und wuchs, bis Zweifel an der Kreditwürdigkeit Griechenlands aufkamen. 2014 war die Leistungsbilanz erstmals seit 1948 wieder positiv. Das lag an einer guten Tourismussaison - aber auch an der Krise: Die Griechen haben weniger Geld zum Ausgeben, als Folge sinken die Importe.
Klientelismus und Vetternwirtschaft: Sozialistische wie konservative Regierungen machten sich über Jahrzehnte ihre Wähler und Parteigänger gewogen, zum Beispiel indem sie diese in großem Stil - kompetent oder nicht - mit Posten im öffentlichen Dienst versorgten und so den Staatsapparat aufblähten. Das ist nicht nur teuer, sondern auch ineffizient.
Korruption und Schattenwirtschaft: Der österreichische Ökonom Friedrich Schneider hat errechnet, dass dadurch fast ein Viertel der Wirtschaftsleistung am Fiskus vorbeiläuft. Im Korruptionsindex von Transparency International rangiert Griechenland auf dem drittletzten Platz. Immerhin überholte das Land inzwischen Rumänien und Italien, was Transparency auch auf die Reformen der jüngsten Zeit zurückführt.
Ineffiziente Finanz- und Steuerbehörden: Die Haushaltsdaten wurden in der Vergangenheit nie von unabhängiger Seite kontrolliert. Steuerhinterziehung ist in Griechenland ein Volkssport, auch weil sie bisher nicht angemessen verfolgt wird. Der inzwischen zurückgetretene Finanzminister Yanis Varoufakis hatte die Steuerschulden griechischer Bürger und Unternehmen Anfang 2015 auf 76 Milliarden Euro beziffert.
Folgen der Bankenrettung: Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers stützte Griechenland wie viele andere Länder seine Finanzinstitute mit umfassenden Garantien. Die damit übernommenen Risiken verschlechterten in den Augen von Investoren die Kreditwürdigkeit des griechischen Staates. Neue Kredite wurden für Athen immer teurer. Die Staatseinnahmen reichten bei Weitem nicht mehr, um die Staatsausgaben und Kredite zu decken.
Es gibt Leute, die halten Griechenland bereits seit Jahren für pleite. Denn das Land wurde seit 2010 nur noch durch die Hilfsprogramme der Eurostaaten über Wasser gehalten. Dank dieser Gelder konnte Griechenland auch stets seine Schulden zurückzahlen - bis zum 30. Juni 2015. An dem Tag schaffte es das Land erstmals nicht, eine Rate von 1,5 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu überweisen.
Damit war das Land de facto pleite. Der Euro-Rettungsfonds (EFSF) - selbst Gläubiger des Landes - hatte bereits die Insolvenz Griechenlands festgestellt. Konsequenzen hat das jedoch nicht. Denn der offizielle Bankrott kann hinausgezögert werden, wenn die Gläubiger ihre Zahlungsansprüche nicht unmittelbar geltend machen. Der Hauptgläubiger EFSF zeigte sich bislang kulant.
Entscheidend ist zudem das Urteil der großen Ratingagenturen. Sie haben Griechenland bisher nicht als bankrott bewertet, weil das Land bislang nur Schulden bei öffentlichen Gläubigern nicht zurückgezahlt hat. Die Ratingagenturen richten aber ihr Augenmerk auf die privaten Gläubiger, also etwa Banken. Erst wenn diese ihr Geld nicht mehr bekommen, tritt für Ratingagenturen wie Moody’s und Standard & Poor’s der Staatsbankrott ein.
Bei den Geldern, die bisher an Griechenland geflossen sind, handelt es sich um Kredite, nicht um Geschenke. Dennoch sind so viele Zahlungen an das Krisenland geleistet worden wie an kein weiteres innerhalb Europas. 246,2 Milliarden Euro gingen bisher an Athen. Und die Laufzeiten der Kredite betragen zum Teil mehr als 30 Jahre. Ob die Gläubiger angesichts der hohen Verschuldung Griechenlands und der langen Laufzeit der Kredite ihr gesamtes Geld wiederbekommen, ist höchst ungewiss. Bei einem Grexit würde die Wahrscheinlichkeit weiter sinken.
Drei Hilfspakete wurden für Griechenland bislang geschnürt: 2010 überwiesen die Europartner und der Internationale Währungsfonds (IWF) insgesamt 73 Milliarden Euro, davon 52,9 Milliarden Euro von den Europartnern und 20,1 Milliarden Euro vom IWF.
Beim zweiten Hilfspaket waren nicht die einzelnen Staaten der Eurozone beteiligt, sondern der inzwischen ins Leben gerufene Euro-Rettungsschirm EFSF. Dabei wurden 142,9 Milliarden Euro an Athen überwiesen: 130,9 Milliarden Euro durch den EFSF, 12 Milliarden Euro vom IWF.
In einem dritten Hilfspaket wurden Griechenland insgesamt 86 Milliarden Euro bewilligt. Eine erste Auszahlung soll 26 Milliarden Euro schwer sein. Es wird aus dem Rettungsschirm ESM finanziert. Der Finanzierungsanteil von Deutschland beträgt knapp 27 Prozent.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hält knapp 20 Milliarden Euro an griechischen Staatsanleihen selbst (Stand: Juni 2015). Sie hat die Anleihen im Rahmen eines Ankaufprogramms für europäische Staatsanleihen zwischen Mai 2010 und September 2012 erworben. Neben den Programmen der staatlichen Institutionen gab es aber auch Hilfe aus dem Privatsektor. Mehr als 100 Milliarden Euro erließen Banken oder Versicherungen dem griechischen Staat in einem Schuldenschnitt im März 2012.
Grexit und Graccident
Beide Wörter sind dem Englischen entlehnt und Kombinationen aus dem Wort für Griechenland Greece und dem für Austritt exit beziehungsweise Unfall accident. Grexit steht dabei im Allgemeinen für das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, darunter fallen sowohl ein in den EU-Verträgen nicht vorgesehener Ausschluss sowie ein freiwilliger Austritt. Graccident hingegen bezeichnet, sozusagen ein 'Herausfallen‘ Griechenlands aus dem Euro, ein Grexit, der sich aus Fehlentscheidungen ergibt, aber von keiner Seite bewusst gewählt ist.
Im Sommer 2015 brachte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen „Grexit auf Zeit“ ins Spiel: Griechenland sollte vorübergehend aus der Eurozone ausscheiden, um mit Hilfe einer flexiblen eigenen Währung wieder wettbewerbsfähig zu werden. Der Plan stieß jedoch sowohl im Ausland als auch beim Koalitionspartner SPD auf heftige Kritik und wurde nicht weiter verfolgt.
Ela - Emergency Liquidity Assistance
Bei dieser Notfall-Liquiditätshilfe handelt es sich um Kredite, die eine nationale Zentralbank, in diesem Fall die griechische, den heimischen Banken gewährt. Voraussetzung ist, dass das davon profitierende Geldinstitut zahlungsfähig ist und nur „vorrübergehende Liquiditätsprobleme“ hat. Die Banken müssen im Gegenzug Sicherheiten hinterlegen, das sind zum Beispiel Staatsanleihen oder andere Wertpapiere. Gedacht sind die Notfall-Kredite nur für eine vorübergehende Stabilisierung von Banken. Die Risiken trägt dabei die nationale Zentralbank. Es ist jedoch die Europäische Zentralbank, die die Obergrenze für die ELA festlegt. Im griechischen Fall sind das aktuell rund 72 Milliarden Euro.
Schuldenschnitt
Bei einem Schuldenschnitt wird einem Land ein Teil seiner Schulden erlassen. Die Gläubiger, also zum Beispiel Banken, Hedgefonds oder Staaten, verlieren damit einen Teil ihres Geldes. Ein Schuldenschnitt oder auch Haircut wird erwogen, wenn ein Staat seinen Haushalt nicht mit eigenen Mitteln konsolidieren kann, also so gut wie zahlungsunfähig ist. Man hofft, dass der Staat dadurch gerettet wird, denn der Schnitt senkt nicht nur die Schulden des Landes, sondern auch die dauerhafte Zinsbelastung. So kann das Land dann wenigstens einen Teil seiner Schulden zurückzahlen. Wie hoch ein Schuldenschnitt ausfällt, also wie viel Prozent der Schulden erlassen werden, müssen Gläubiger und der betroffene Staat verhandeln. In Griechenland gab es 2012 bereits einen Schuldenschnitt: Damals verzichteten die privaten Gläubiger auf über 50 Prozent ihres Geldes, insgesamt wurden Griechenland auf einen Schlag mehr als 100 Milliarden Euro erlassen. Neben der griechischen Regierung dringt mittlerweile auch der Internationale Währungsfonds auf einen erneuten Schuldenschnitt und hat diesen zur Bedingung für die Beteiligung an weiteren Finanzhilfen gemacht.
Umschuldung
Anders als beim Schuldenschnitt haben Gläubiger bei einer Umschuldung die Aussicht, ihr Geld wiederzubekommen. Durch eine Umschuldung werden die Verbindlichkeiten eines Schuldners "umstrukturiert". Es werden etwa längere Rückzahlungsfristen, niedrigere Zinsen oder tilgungsfreie Zeiten vereinbart. Umschuldungen sind dann sinnvoll, wenn der Schuldner zwar aktuell in einer schwierigen Lage, aber eine Verbesserung abzusehen ist - ansonsten wird ein Schuldenschnitt nötig. Die griechischen Verbindlichkeiten wurden bereits mehrfach umgeschuldet. Ursprünglich sollten zum Beispiel die Kredite aus dem ersten Hilfspaket nach fünf Jahren zurückgezahlt werden, inzwischen ist die Frist auf 30 Jahre verlängert worden. Auch die Zinsen wurden erheblich gesenkt.
Kapitalverkehrskontrollen
Sie sollen verhindern, dass in großem Maße Geld von den Banken und aus dem Land abgezogen wird. Denn das gefährdet die heimischen Geldinstitute und damit die wirtschaftliche Stabilität, weil so nicht mehr genügend Kapital für lebenswichtige Investitionen zur Verfügung steht. Es gibt unterschiedliche Maßnahmen, um den Abfluss von Kapital zu beschränken: Der Staat kann größere Abhebungen an Geldautomaten und an Schaltern begrenzen beziehungsweise für eine gewisse Zeit ganz verbieten oder Bankschalter schließen. Weitere mögliche Maßnahmen sind verstärkte Grenzkontrollen, aber auch Steuern auf Kapitaltransaktionen.
In Griechenland wurden im Sommer 2015 kurzzeitig die Banken geschlossen. Am Automaten konnten die Bürger nur noch 60 Euro am Tag abheben, auch für Überweisungen ins Ausland galten Begrenzungen. Mittlerweile wurden die Kontrollen zwar gelockert, sie gelten aber grundsätzlich noch immer.
ESM – European Stability Mechanism
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) ist eine Finanzierungsinstitution mit Sitz in Luxemburg, die das Vertrauen in die Stabilität des Euro gewährleisten soll. Er wurde 2012 von den Eurostaaten eingerichtet und löste dauerhaft den befristeten europäischen Rettungsschirm EFSF ab. Der ESM soll angeschlagene Staaten oder Banken mit finanziellen Mitteln versorgen, die dafür im Gegenzug finanz- und wirtschaftspolitische Auflagen erfüllen müssen. Sein Kapitalstock beträgt insgesamt 705 Milliarden Euro. Deutschland garantiert dabei gemessen an seinem Anteil an der Europäischen Zentralbank (EZB) für insgesamt rund 190 Milliarden Euro. Verleihen kann der ESM damit bis zu 500 Milliarden Euro. Anfang Juli 2015 beantragte Finanzminister Euklides Tsakalotos Hilfen aus dem ESM für Griechenland.
Primärsaldo
Der Primärsaldo eines Staatshaushalts ergibt sich, wenn man von den Staatseinnahmen die primären Staatsausgaben abzieht, das sind die Ausgaben des Staates ohne Zinsen und Tilgungen. Nimmt der Staat demnach mehr ein, als er ausgibt, erzielt er einen Primärüberschuss, sonst ein Primärdefizit. Dieser Indikator ist wichtig, um die langfristige Schuldentragfähigkeit eines Staates zu beurteilen: Ein Primärdefizit zeigt, dass die Staatseinnahmen nicht mal ausreichen, um die staatlichen Kernaufgaben wie Sicherheit, Bildung, Soziales zu bezahlen. Allein dafür muss der Staat dann schon neue Schulden machen. Bei einem Primärüberschuss nimmt der Staat mehr ein, als er für die Erfüllung der Kernaufgaben braucht - und erst dann besteht die Chance, dass er Zinsen für seine Schulden überhaupt bezahlen kann. Deswegen spielt dieser Wert in den Verhandlungen der Troika mit Griechenland eine wichtige Rolle.
Der Vorwurf, dass Griechenland sich generell Reformen verweigere, ist Unsinn. Allerdings wurden die Forderungen der Gläubiger unterschiedlich konsequent umgesetzt. So wurde im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung massiver eingespart als in jedem anderen Euro-Land: Die Renten sanken zum Beispiel um durchschnittlich 45 Prozent. Die radikale Sparpolitik traf vor allem die ärmsten Haushalte, die laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fast 86 Prozent ihrer Einkommen verloren.
Weniger eindeutig ist die Bilanz hingegen bei den geforderten Strukturreformen, die zu neuem Wachstum führen sollten. Einerseits bescheinigen die OECD und das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft den Griechen, sie seien in den letzten Jahren bei Reformen führend gewesen. Unter anderem setzte Griechenland wiederholt das Rentenalter hoch, erleichterte Firmengründungen und vereinfachte den Zugang zu Berufen wie Apotheker oder Taxifahrer.
Andererseits sind viele beschlossene Änderungen nur teilweise oder noch gar nicht umgesetzt. Auch die Regierung von Premier Alexis Tsipras blieb bis Juli deutlich hinter ihren Versprechen zurück. Weder wurden die Reichen stärker an den Kosten der Krise beteiligt noch gelang der Kampf gegen den Steuerbetrug. Allerdings kämpft die Regierungspartei Syriza mit vielen Altlasten: So ist die weitgehende Steuerbefreiung von Reedern in der Verfassung festgeschrieben, Hinweise auf Steuersünder ignorierten die Vorgängerregierungen und die Steuerfahndung leidet unter Personalmangel.
Tsipras hielt lange Zeit daran fest, dass die strikten EU-Sparvorgaben gelockert werden müssen, und er forderte einen Schuldenschnitt für Griechenland. Seinen Landsleuten versprach er zudem, den Euro als Währung zu behalten.
Auf Einsparungen legte bislang besonders die Bundesregierung großen Wert. Viele prominente Ökonomen kritisieren die Einschnitte dagegen als zu hart, weil sie neues Wachstum verhinderten. Schließlich bedeuten massive Lohn- und Rentenkürzungen auch, dass die Bürger weniger Geld in die Geschäfte tragen können.
Die neue Vereinbarung mit Griechenlands Geldgebern vom 13. Juli 2015 enthält zwar zahlreiche Strukturreformen, unter anderem im Rentenbereich, Bankensektor, Arbeits- und Strommarkt. Zugleich sind aber weitere Belastungen für die Bürger absehbar, vor allem durch steigende Steuern und weitere Rentenkürzungen.
Wunder werden auch diese wohl nicht bewirken: Bis auf den Tourismus und die Schifffahrt hat das Land kaum wettbewerbsfähige Branchen, in denen kurzfristig neues Wachstum entstehen könnte.
Eigentlich hätte Griechenland nicht Mitglied der Eurozone werden dürfen. Denn das griechische Defizit für 1999 wurde mit 1,6 Prozent der Wirtschaftsleistung angegeben, tatsächlich waren es mehr als drei Prozent - ein Statistiktrick. Eigentlich hatten die Griechen mit mehr als drei Prozent ein zentrales Aufnahmekriterium verfehlt.
Die Aufnahme in den Euro war von Anfang an eine politische Entscheidung. Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ignorierte Warnungen aus Bundesbank und Finanzministerium vor einem Beitritt von Italien, sein Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) trieb trotz ähnlicher Bedenken von Experten später die Aufnahme Griechenlands voran.
Zudem nahmen es Deutschland und Frankreich mit anderen Euro-Kriterien selbst nicht so genau: Schon kurz nach der Euro-Einführung brachen sie erstmals die Dreiprozenthürde für die Neuverschuldung. Schröder begründete dies damit, er müsse die Lasten durch die Agenda-Reformen abfedern. In der Folge verstießen immer mehr Länder gegen die Auflagen, deren Überwachung erst im Zuge der Schuldenkrise verschärft wurde.
Und schließlich bekamen die Griechen bei ihrer Trickserei eifrige Unterstützung einer damals noch angesehenen US-Großbank: Goldman Sachs verkaufte dem Land sogenannte Währungs-Swaps, mit deren Hilfe die Schuldenlast auf dem Papier vorübergehend deutlich reduziert werden konnte.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin, und Wolfgang Schäuble, Finanzminister:
Keine Leistung ohne Gegenleistung, europäische Solidarität gegen griechische Anstrengung - das ist die Botschaft der Bundesregierung. Merkel, unangefochtene Anführerin des Sparkurs-Lagers, besteht auf der Einhaltung der bestehenden Verträge. Sie sagt, sie wolle Athen im Euro halten. Die Kanzlerin versucht sich mit ihren EU-Kollegen abzustimmen - vor allem mit dem französischen Präsidenten François Hollande, der sich kompromissbereiter zeigt.
Jeroen Dijsselbloem, Chef der Euro-Gruppe:
Der niederländische Finanzminister ist der offizielle Repräsentant der 19 EU-Länder, die die Gemeinschaftswährung Euro eingeführt haben. Dijsselbloem übernahm den schwierigen Job mitten in der Euroschuldenkrise 2013.
Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB):
Der italienische Wirtschaftswissenschaftler und Bankmanager Draghi ist als Präsident der EZB im Hintergrund einer der wichtigsten Akteure in der Griechenlandkrise. Er setzte eine Lockerung der Geldpolitik gegen den Widerstand aus Deutschland durch. Unter seiner Führung pumpte die Notenbank billiges Geld in das Bankensystem, schaffte die Zinsen im Euroraum quasi ab und schuf ein Kaufprogramm, um notfalls unbegrenzt Anleihen von Eurokrisenstaaten zu erwerben. Kritiker werfen ihm vor, die Befugnisse der Notenbank überschritten zu haben.
Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF):
Die französische Politikerin steht seit Juli 2011 an der Spitze des IWF. Während der Finanzmarkt- und Euro-Turbulenzen pochte die Juristin lange auf die fälligen Rückzahlungen Griechenlands. In diesem Punkt zeigte sie sich kompromisslos - bis zur Nacht des 30. Juni, als Athen die Frist zur Zahlung der letzten IWF-Rate verstreichen ließ, als erstes Industrieland überhaupt in der Geschichte. Lagarde fordert eine Umschuldung für Athen. Damit sind Maßnahmen wie die Verlängerung der Rückzahlungsfristen gemeint, oftmals einhergehend mit der Senkung von Zinsen.
Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission:
Juncker setzt sich dafür ein, dass Verträge eingehalten werden sollen. Schließlich bezeichnet sich die EU-Kommission als „Hüterin der Verträge“. Als früherer Euroretter und Euro-Gruppen-Chef gilt Juncker als einer der wenigen, die die Griechenlandkrise bis ins Detail verstehen. Er übernahm während der dramatischen Verhandlungen 2015 die Rolle eines Vermittlers.
"Merkel raus", lautet eine der harmloseren Parolen auf Plakaten, die immer wieder bei Demonstrationen in Griechenland zu sehen sind. Schärfer sind die Motive, die die Kanzlerin oder den Bundesfinanzminister in Nazi-Uniform zeigen. Sogar die Syriza-Parteizeitung verunglimpfte Wolfgang Schäuble als Wehrmachtsoffizier, auch vor dem Referendum über die Reformauflagen der Gläubiger heizte die Regierung in Athen die Stimmung mit Anti-Schäuble-Plakaten an.
Merkel und Schäuble haben solche Anfeindungen schon in Spanien, Portugal oder Zypern erlebt. In den Augen vieler Menschen in den Krisenstaaten sind die beiden hauptverantwortlich für Belastungen wie Rentenkürzungen oder Steuererhöhungen. Die beiden Deutschen sind das personifizierte Spardiktat, auf sie projizieren viele vom sozialen Abstieg betroffene Griechen ihren Unmut.
Tatsächlich hat die Bundesregierung als führendes Euroland die Konsolidierungspolitik in den überschuldeten Euroländern maßgeblich geprägt. Keine Hilfe ohne Gegenleistung, lautet das Credo Berlins. Was aber oftmals ausgeblendet wird: Auch wenn etwa Frankreich oder Italien bei den Sparauflagen einen nachsichtigeren Kurs fahren, tragen alle Eurostaaten das Prinzip konditionierter Hilfsprogramme mit. Viele kleinere Länder verstecken sich aber gern hinter dem mächtigen Deutschland.
Die Bundesregierung verweist zudem immer wieder darauf, dass sie nicht für die Schuldenmisere in Griechenland verantwortlich sei und sich im Rahmen der Hilfsprogramme bereits sehr großzügig gezeigt habe. Dem lässt sich aus Sicht der Krisenländer entgegenhalten, dass Deutschland als Exportland über Jahrzehnte ordentlich am schuldenfinanzierten Konsum der Südeuropäer verdient hat. Und die besonders von den Einschnitten betroffenen jungen Griechen können nicht für die politischen Sünden der Vergangenheit verantwortlich gemacht werden.
Zur Wahrheit gehört auch, dass diejenigen, die sich hierzulande besonders laut über Nazi-Vergleiche von griechischer Seite erregen, selbst nicht gerade zur Deeskalation beitragen: Das Klischee vom gierigen und faulen Griechen gehört leider zum festen Repertoire mancher Politiker und Boulevardmedien.
Grundsätzlich ist in sämtlichen EU-Regularien ein Ausschluss eines Mitgliedstaates aus der Eurozone, aber auch aus der gesamten Union nicht vorgesehen. Ein solches Szenario hat es noch nie gegeben, selbst Staatsrechtler sind sich über die juristischen Folgen eines Grexits unsicher. Denkbar wären zwei Szenarien:
Szenario 1: Griechenland beruft sich auf Artikel 50, Paragraf 1 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), der Teil des Lissabonner Vertrags ist. Dort heißt es: "Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten."
Griechenland würde mit diesem Schritt freiwillig die EU und damit den Euro verlassen. Allerdings nicht sofort, denn es würde sich ein Ausschlussprozess mit weiteren Verhandlungen anschließen - den Euro behielte das Land so lange weiter.
Dieser Prozess, an dem am Ende die Rückkehr zur Drachme oder eine andere von Griechenland eingeführte Währung stünde, könnte bis zu zwei Jahren dauern. Ein Präzedenzfall für die Euro-Gruppe, der für Griechenland ein weiteres Risiko bedeuten würde: Die Wirtschaft des Landes wäre durch weitere Kapitalflucht gefährdet.
Szenario 2: Da es keine vertraglichen Vorgaben für den Ausschluss oder Austritt eines Mitgliedstaates gibt, müssen diese neu geschaffen werden oder die Vorgaben der bestehenden Verträge außer Kraft gesetzt werden. Dies könnten die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat beschließen. Die Hürden aber sind hoch, eine Entscheidung muss einstimmig fallen - dabei müssen die Vorschriften zur Ratifizierung, die in den einzelnen Ländern gelten, eingehalten werden.
Dazu heißt es im EUV Artikel 48, Paragraf 4: "Die Änderungen treten in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind." Das heißt, auch Griechenland mit seiner Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras müsste dem Austritt oder der Aussetzung der Verträge zustimmen, dies aber hat Tsipras bisher ausgeschlossen.
Es gab allerdings bereits Überlegungen, welche Wege es noch geben könnte. Bereits 2011 hatte Kanzlerin Angela Merkel den Vorschlag gemacht, dass Staaten, die dauerhaft und schwerwiegend die Regeln des Maastrichter Vertrags verletzen und damit die gesamte Währungsunion in Gefahr bringen, mit dem Entzug des Stimmrechts bestraft werden. Merkel konnte sich damals nicht durchsetzen.
Artikel 352 des Reformvertrags von Lissabon könnte einen Ausweg aus dem Griechenland-Dilemma bieten. Der Artikel erlaubt es der EU, ihre Kompetenzen zu erweitern. Die Union könnte demnach eine besondere Griechenland-Regelung beschließen. Ergebnis könnte sein, dass das Land vorübergehend von der Eurozone suspendiert wird. Aber auch dies muss der Europäische Rat einstimmig entscheiden. Und ein entsprechender Vorschlag von Bundesfinanzminister Schäuble wurde 2015 klar zurückgewiesen (siehe Frage 5).
Die Szenen während der Bankenschließung im Sommer 2015 lassen ahnen, welch chaotische Zustände Griechenland bei einem Euroaustritt drohen. Die Banken würden nach und nach komplett von der Geldversorgung durch die Europäische Zentralbank abgeschnitten. Um einen kompletten Zusammenbruch zu verhindern, könnten Konten vorübergehend gesperrt und die Guthaben wohlhabenderer Kunden sogar zwangsweise in Anteile an kriselnden Bankhäusern umgewandelt werden - so war es 2013 bereits auf Zypern.
Zunächst könnte die griechische Regierung anstelle von Euros Schuldscheine ausgeben. Früher oder später dürfte Griechenland dann eine neue Währung einführen, etwa die bereits früher gebräuchliche Drachme. Der ehemalige Finanzminister Gianis Varoufakis hat mittlerweile eingeräumt, dass es 2015 bereits konkrete Pläne für eine Währungsumstellung gab.
Bei einem Euro-Austritt würden Bankguthaben wohl zwangsweise in die neue Einheit umgewandelt. Eine solche neue Währung wäre aller Voraussicht nicht annähernd so stabil wie der Euro, hinter dem große Volkswirtschaften wie Deutschland und Frankreich stehen. Ihr Kurs zum Euro würde stark fallen, die Sparguthaben entsprechend an Wert verlieren. Die Menschen wären ärmer.
Zugleich würde es deutlich schwerer, Kredite abzuzahlen, die noch in Euro aufgenommen wurden. Das gilt für Privatleute, griechische Unternehmer, die häufig auf ausländische Zulieferer angewiesen sind, und auch für den Staat. Denn selbst bei einem Euroaustritt würde die Regierung den Schuldendienst voraussichtlich nur teilweise einstellen, um das Vertrauen der Finanzmärkte nicht vollständig zu verlieren.
Die abgewertete Drachme hätte aber auch einen großen Vorteil: Griechenland würde damit wettbewerbsfähiger: Touristen könnten sich mit ihren Euros eher den derzeit vergleichsweise teuren Urlaub in Hellas leisten, ausländische Unternehmer hätten durch sinkende Lohnkosten einen größeren Anreiz im Land zu investieren. Die griechische Zentralbank könnte diesen Prozess durch gezielte Abwertungen steuern - ein Mittel, das Länder wie Griechenland oder Italien bis zum Eurobeitritt regelmäßig nutzten.
Darüber gehen die Meinungen auseinander. Manche meinen, dass die Eurozone ohne Griechenland am Ende sogar besser dastünde. Sie gehen zwar durchaus von zunächst heftigen Reaktionen der Finanzmärkte aus. Doch die Anhänger dieser Theorie erwarten, dass die Investoren schnell wieder Vertrauen fassen werden. Schließlich harmoniere die Leistungsfähigkeit der übrigen Mitgliedstaaten ohne Griechenland besser, glauben sie. Und es seien weniger Konflikte in Sachen Haushaltspolitik zu erwarten.
Andere sehen dagegen bei einem Austritt Griechenlands ein großes Risiko, das die Finanzmärkte anschließend die Leistungsfähigkeit der anderen Problemkandidaten auf die Probe stellen könnte. Wenn Italien, Spanien und Portugal plötzlich hohe Risikoaufschläge für Kredite bezahlen müssten, käme die Gemeinschaft schnell an ihre Grenzen. Diese Länder auch noch zu finanzieren, wäre kaum zu leisten.
Die Vertreter dieser Theorie halten es deshalb für zwingend geboten, Griechenland im Euro zu halten - und das hat nichts mit europäischer Solidarität zu tun.
Notfalls würden sie weitere Zugeständnisse in Kauf nehmen, etwa den Verzicht auf einen Teil der Schulden.
Die Verfechter eines harten Kurses gegenüber Athen sehen gerade in diesem Ansatz eine viel größere Sprengkraft für die Währungsgemeinschaft. Denn, so ihr Argument, das Beispiel könnte Schule machen. In Ländern wie Spanien oder Portugal, die immer noch mit den Folgen der Rosskur der vergangenen Jahre zu kämpfen haben, bekämen politische Gruppen Auftrieb, die genau wie Syriza gegen die ungeliebte Haushaltsdisziplin sind. Auch diese Länder müssten dann unter Umständen mit zusätzlichen Milliarden aus den "reicheren" Staaten gestützt werden - was etwa in Deutschland oder in den Niederlanden kaum politisch vermittelbar wäre. In Spanien wurde das mit Syriza verbündete Linksbündnis Podemos bei der Parlamentswahl bereits zur drittstärksten Kraft.
In den sogenannten Geberländern wiederum könnten Bewegungen Zulauf bekommen, die aggressiv ein Ende der Transferpolitik fordern - der Front National in Frankreich, AfD in Deutschland oder die Freiheitspartei in den Niederlanden. Damit aber wäre das Ende der gemeinsamen Währung eingeläutet. Womöglich würden dann die Geberländer das Experiment Euro für beendet erklären.
Griechenland steht zwar vor einem gewaltigen Schuldenberg von rund 340 Milliarden Euro, doch zugleich hat das Land bereits einige Erleichterungen bekommen. So gab es bereits 2012 einen Schuldenschnitt, bei dem private Gläubiger auf insgesamt rund 100 Milliarden Euro verzichten mussten.
Hinzu kommt: Die Schulden beim Euro-Rettungsfonds EFSF – von dem der größte Teil der Kredite kommt – muss Griechenland erst sehr spät zurückzahlen. Der EFSF will sein Geld erst ab 2022 zurück. Die letzte Rate wird sogar erst 2054 fällig.
Deutlich schneller wollen jedoch die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) ihr Geld wiedersehen. Beide sind keinesfalls bereit nachzugeben: Der IWF will seinen Nimbus als weltweiter Notfall-Kreditgeber behalten. Würde er Griechenland nun Schulden erlassen, könnte sich auch die Zahlungsmoral anderer Staaten verschlechtern – und der IWF würde arge Probleme bekommen. Wegen dieser harten Haltung dringt Premier Tsipras auch auf ein Ausscheiden des IWF, das aber nicht zuletzt Deutschland bislang klar ablehnt.
Tsipras war im Januar 2015 als Regierungschef mit dem Versprechen angetreten, dass die Griechen in absehbarer Zeit der Kontrolle der Geldgeber entkommen können. Dieses Versprechen funktioniert aber nur, wenn die Schulden sinken. Derzeit sieht die Zukunftsperspektive der Griechen so aus, dass sie durch die hohen Schulden über Jahre hinweg nur von den Europartnern Geld geliehen bekommen – und zugleich von deren Bedingungen abhängig sind. Tsipras argumentiert: Mit dieser Last lässt sich kein Wiederaufbau stemmen.
Doch wer hat nun recht? Auch viele Ökonomen sehen die Sparauflagen für Griechenland inzwischen als zu hart an.
Die Alternative: Griechenland wird ein Teil der Schulden ganz erlassen oder es gibt eine Umschuldung (siehe Frage 5). Letzteres hieße, die Zahlungen würden gestreckt und wohl auch die Zinsen weiter gesenkt. Dabei könnte Griechenland auch von der Inflation profitieren, indem die Geldentwertung die Rückzahlungen nochmals mindert. Auch im Falle einer Umschuldung würden die Geldgeber unterm Strich Geld verlieren.
Sogar der IWF plädiert offiziell für eine Umschuldung – zumindest wenn es um das Geld der Europartner geht. Das Argument: Je früher Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt, desto mehr profitieren auch die Europartner davon. Und sie haben eine realistischere Chance, auch wirklich etwas von ihrem Geld wiederzusehen.
86 Milliarden Euro bekommt Griechenland bis 2018. Die Eurostaaten wollen dem Land neue Kredite geben, verlangen im Gegenzug aber schnelle und weitreichende Reformen. Trotz heftiger Widerstände und einer Spaltung der Regierungspartei Syriza verpflichtete sich Griechenland unter anderem zu folgenden Reformen:
Das Mehrwertsteuersystem soll gestrafft, mehrere bisher verminderte Sätze sollen angehoben werden.
Das Rentensystem muss tragfähiger werden, die Bezüge vieler Ruheständler sinken dadurch weiter.
Vorschläge der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu Produktmarktreformen sollen umgesetzt werden. Dazu gehören die Einführung von verkaufsoffenen Sonntagen und Schlussverkäufen sowie die Öffnung bestimmter Berufe wie etwa beim Fährbetrieb.
Das Parlament soll eine Zivilprozessordnung verabschieden, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen und die Kosten dafür erheblich zu senken.
Die Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken soll umgesetzt werden.
Das griechische statistische Amt Elstat soll rechtlich voll unabhängig werden.
Die Regeln des Fiskalpakts sollen komplett umgesetzt werden.
Der Erdgasmarkt wird liberalisiert.
Der Arbeitsmarkt soll modernisiert werden, etwa bei den Verfahren für Tarifverhandlungen, Arbeitskampfmaßnahmen, Massenentlassungen.
Der Finanzsektor soll gestärkt werden, zum Beispiel durch stärkere Durchgriffsmöglichkeiten des griechischen Bankenrettungsfonds und durch die Beseitigung sämtlicher Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme.
Die griechische Verwaltung soll modernisiert und ihre Kosten gesenkt werden.
Privatisierungsfonds
Die Regierung in Athen soll mehr und schneller privatisieren. Dafür ist der Transfer von griechischem Staatsbesitz an einen unabhängigen Fonds vorgesehen, der das staatliche Vermögen zu Geld macht. Der Fonds wird von den griechischen Behörden unter Aufsicht der europäischen Einrichtungen verwaltet.
So sollen auf lange Sicht etwa 50 Milliarden Euro Einnahmen zusammenkommen. Die Hälfte davon würde zur Rückzahlung jener 25 Milliarden Euro verwendet, die aus Hilfsgeldern in die Bankenrettung fließen sollen. Weitere 12,5 Milliarden Euro sollen anderweitig zur Schuldentilgung verwendet werden. Die letzten 12,5 Milliarden Euro sind für Investitionen in Griechenland vorgesehen.
Schuldenerleichterung
Abgesehen von neuen Krediten erhielt die griechische Regierung bislang lediglich die vage Aussicht auf weitere Schuldenerleichterungen. Sollte sich bei der ersten umfassenden Überprüfung des griechischen Reformprogramms herausstellen, dass die Regierung die Vorgaben umgesetzt hat, wollen die Geldgeber weitere Schritte erwägen - etwa längere Rückzahlungsfristen für die gewährten Kredite.
Griechenlands Premier Alexis Tsipras hatte lange lockerere EU-Sparvorgaben und einen neuen Schuldenschnitt für Griechenland gefordert – obwohl das Land als einziges von den Krisenländern bereits einen erhalten hat. Während die Wirtschaft in den anderen Euro-Krisenstaaten langsam wieder wächst, geht es in Griechenland weiter bergab. Deshalb verfolgen auch die einstigen Sorgenkinder Athens Forderungen skeptisch.
Spanien wurde 2008 sehr unsanft aus einem Wirtschaftswundertraum geweckt: Im Zuge der Finanzkrise platzte eine Immobilienblase, die durch niedrige Zinsen angeheizt worden war. Hunderttausende Spanier verloren ihre Häuser und mehr als eine Million ihre Jobs. Dann erlahmte auch der Tourismus, das Land rutschte in eine schwere Rezession. Mittlerweile wächst die spanische Wirtschaft wieder, die Arbeitslosigkeit geht langsam zurück.
Portugal hatte ein massives Strukturproblem: Noch in den Neunzigerjahren gab es eine florierende Textilindustrie. Von 2004 an verlor Portugal Investoren an die neuen EU-Mitgliedstaaten in Osteuropa, die mit geringen Löhnen punkteten. Auch wuchsen die Textilexporte aus China rasant. Entsprechend schrumpfte der industrielle Sektor, die Arbeitslosigkeit stieg. Im April 2011 schlüpfte Portugal unter den europäischen Rettungsschirm und wurde mit insgesamt 78 Milliarden Euro des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europartner vor der Pleite bewahrt. Nach der erfolgreichen Rückkehr an die Finanzmärkte verließ Portugal Mitte 2015 das Hilfsprogramm.
Irlands Regierung hatte mit, Steuervergünstigungen und laxen Bankenregeln in den 90er Jahren den Immobilienmarkt angeheizt. Die Häuserpreise vervierfachten sich innerhalb eines Jahrzehnts. Als der irische Immobilienmarkt dann zusammenbrach, verloren auch die Hypothekenpapiere der heimischen Banken massiv an Wert, im Herbst 2008 drohte den Instituten der Zusammenbruch. Die Regierung übernahm Schrottanleihen und pumpte Kapital in die Geldhäuser - bis der Staat selbst zum Pflegefall wurde. Dann bat Irland seine Europartner und den IWF um Geld. Mittlerweile werden die Iren dafür gelobt, dass sie die Finanzkrise vergleichsweise gut gemeistert haben. Allerdings ist die Staatsverschuldung infolge der Bankenrettung immer noch sehr hoch.
Griechenland hingegen war das erste EU-Land, das infolge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ins Straucheln geriet und mit einem milliardenschweren Rettungsschirm gestützt werden musste. Auslöser war die gigantische Staatsverschuldung, die mit rund 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts europaweit die höchste ist. Das Land verlor das Vertrauen von Anlegern und konnte sich schließlich nur noch zu horrenden Zinsen Geld leihen.
Hinter der Verschuldung stecken tiefe strukturelle Probleme. Während Irland ausländische Konzerne anlockte und Spanien einheimische Großunternehmen hat, die stark im Ausland sind, war die griechische Exportwirtschaft nie sonderlich leistungsfähig. Dennoch wurde es für den Staat mit dem Eurobeitritt billiger, sich Geld zu leihen, günstige Privatkredite heizten den Konsum an. Weil Griechenland zugleich zu wenige Waren exportierte, entstand ein gewaltiges Leistungsbilanzdefizit. Die Staatsschulden sind also nicht nur infolge von Bankenrettungen wie etwa in Irland explodiert, sie reichen weit in die Vergangenheit.
Dazu kommt das Problem des tief verwurzelten Klientelismus und der Vetternwirtschaft - das nicht nur teuer, sondern auch ineffizient ist - sowie Korruption, Schattenwirtschaft und ineffiziente Behörden (siehe Frage 1).
Kritik kommt deshalb auch von den baltischen Euroländern Litauen, Lettland, Estland, aus der Slowakei und Slowenien. Sie haben im letzten Vierteljahrhundert gleich zwei Mal schmerzhafte Reformprozesse absolviert - und verlangen dasselbe von Griechenland.