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Griechenland: Das Flüchtlingsproblem

Foto: © Stringer . / Reuters/ REUTERS

Drohung aus Griechenland Zynisches Spiel mit Flüchtlingen

Griechische Politiker drohen, Flüchtlinge nach Deutschland zu schicken - so wollen sie in der Finanzkrise Geld erpressen. Was steckt dahinter?

Über Griechenland kommen Zehntausende Flüchtlinge nach Europa, viele von ihnen aus Syrien. Nun haben Politiker in Athen die Flüchtlingsfrage gezielt eingesetzt, um Druck auf die EU auszuüben.

Der parteilose Vizeinnenminister Giannis Panousis drohte damit, 300.000 Flüchtlingen Papiere zu geben, damit diese in andere europäische Länder reisen können. Der ebenfalls parteilose Außenminister Nikos Kotzias warnte, Griechenland könne zum Einfallstor für "Millionen Immigranten und Tausende Dschihadisten" werden, sollte das Land wirtschaftlich zusammenbrechen.

Noch schärfer äußerte sich am Wochenende der rechtspopulistische Verteidigungsminister Panos Kammenos. Wenn Europa Griechenland nicht ausreichend unterstütze, werde man die Flüchtlinge in Scharen weiterleiten. Und wenn unter den Flüchtlingen auch Mitglieder des "Islamischen Staates" (IS) sein sollten, sei Europa selbst schuld.

Wie sind diese Äußerungen zu verstehen? Wie groß ist das Flüchtlingsproblem in Griechenland wirklich? Die wichtigsten Fakten:

Wie viele Flüchtlinge kommen nach Griechenland?

Nach Angaben des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen UNHCR sind im vergangenen Jahr 43.500 Menschen über das Mittelmeer in das Zehn-Millionen-Einwohnerland gekommen, das ist ein Anstieg um 280 Prozent zum Vorjahr - 60 Prozent der Migranten sind Syrer. Zum Vergleich: Nach Deutschland kamen im Jahr 2014 mehr als 170.000 Flüchtlinge.

Die griechische Polizei beziffert die Zahl derer, die "illegal" nach Griechenland gekommen sind, für 2014 auf 77.163 Menschen. 4000 von ihnen seien festgenommen worden. Insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren der Flüchtlingsstrom nach Griechenland vom Land- auf den gefährlicheren Seeweg verlagert. Der Grund: Griechenland hat entlang des Evros, des Grenzflusses zur Türkei, einen Schutzzaun gebaut.

Griechische Minister drohen damit, bis zu 500.000 illegale Flüchtlinge in andere europäische Länder zu schicken. Was ist dran an dieser Drohung?

Belastbare Zahlen darüber, wie viele Flüchtlinge in Griechenland leben, gibt es nicht. Faktisch ist Griechenland schon jetzt für viele Migranten nur Durchgangsstation auf dem Weg in andere europäische Länder. "Jeder Flüchtling, der Geld hat und ohne Papiere in Griechenland ist, wird versuchen, mit Hilfe eines Schleppers in ein anderes Land zu kommen", sagt Karl Kopp, Griechenland-Experte von Pro Asyl. In den Internierungslagern sitzen nach offiziellen Angaben rund 4000 Menschen, die als "illegale Einwanderer" betrachtet werden. Viele andere schlagen sich als Obdachlose in den Städten durch.

Wenn Europa dem Land nicht helfe, werde man Flüchtlingen Papiere geben, damit sie nach Berlin reisen, heißt es in Athen. Geht das überhaupt?

Der Ausspruch stammt von dem rechtspopulistischen Verteidigungsminister Panos Kammenos. Hintergrund dieser Drohung könnte eine Praxis sein, die 2011 der damalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi benutzt hatte. Er hatte Tausende Migranten aus Tunesien mit begrenzt gültigen Passdokumenten versorgt und ihnen aus "humanitären Gründen" Aufenthaltsgenehmigungen erteilt, mit denen sie gemäß dem Schengen-Abkommen in andere EU-Länder reisen konnten.

Über einen solchen Schritt, der de facto einen Missbrauch des Schengen-Abkommens bedeuten würde, wird auch in der linken Regierungspartei Syriza diskutiert. Allerdings wäre wohl klar: Würde Griechenland diese Drohung wahr machen, hätte das umgekehrt Folgen, ein Ausschluss aus dem Schengen-Raum könnte drohen.

Vor allem aber ist es ziemlich unrealistisch, dass Griechenland überhaupt organisatorisch in der Lage dazu wäre, diese Drohung für die angeblich Hunderttausenden "Illegalen" wahr zu machen. Das griechische Asyl- und Einwanderungssystem ist de facto nicht funktionsfähig. Schon daran, Asylbewerbern für den Aufenthalt in Griechenland Papiere auszustellen, sind die griechischen Behörden in den vergangenen Jahren massenhaft gescheitert.

Verteidigungsminister Kammenos drohte auch damit, dass unter den Flüchtlingen, die Griechenland nach Europa schicken würde, IS-Terroristen sein könnten. Wie ist diese Aussage zu werten?

Zwar hat der "Islamische Staat" (IS) damit gedroht, über das Asylsystem Terroristen nach Europa zu schleusen. Aber bisher gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass unter den Syrienflüchtlingen etwa in Deutschland IS-Anhänger sind. Insofern ist die Aussage von Kammenos besonders perfide: Er versucht nicht nur, Europa zu erpressen, er stellt auch die traumatisierten Syrer, die ja vor dem IS geflohen sind, unter Generalverdacht.

Wieso instrumentalisiert Griechenland die Flüchtlingsfrage?

Griechenland fordert seit Jahren eine gerechtere Verteilung der Migranten und damit eine Neuregelung der EU-Flüchtlingspolitik. Die sogenannte Dublin-Verordnung besagt nämlich, dass dasjenige Land ein Asylgesuch bearbeiten muss, in dem der Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat. Naturgemäß sind das insbesondere die Mittelmeeranrainer Italien und Griechenland. Folge ist: Vor allem Italien lässt viele Flüchtlinge unregistriert weiter nach Norden ziehen. Für Griechenland gibt es seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sowieso eine Sonderregelung. Flüchtlinge, die nachweislich in Griechenland angekommen sind, aber nun in einem anderen EU-Land Schutz suchen, müssen nicht mehr zurück. Der Grund: Die Bedingungen für Flüchtlinge in Griechenland sind katastrophal.

Das Problem: Im Kalkül griechischer Politiker - und das trifft für die an der Regierung Alexis Tsipras beteiligten Rechtspopulisten zu - hätte eine Verbesserung der Lage der Flüchtlinge in Griechenland gar keinen Vorteil. "Die Flüchtlingsfrage als Druckmittel zu instrumentalisieren, ist zynisch. Aber: Wenn Griechenland alles richtig machen würde und die Menschenrechte einhalten würde, werden noch mehr Flüchtlinge kommen - im Gegenzug müssen die EU-Länder dann bereit sein, Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen", sagt Kopp von Pro Asyl.

Wie viele Flüchtlinge kommen über Griechenland nach Deutschland?

Auch hier wird es wohl eine deutlich höhere Dunkelziffer geben. Offiziell waren es im Jahr 2013 nach Angaben der Bundesregierung 3879 Flüchtlinge, 2014 lediglich 1519.

Was sind die größten Probleme in der griechischen Flüchtlingspolitik?

Der UNHCR kritisiert mehrere Punkte - Reformen der vergangenen Monate haben demnach die Lage nicht entscheidend verbessert. Es scheitert schon an Grundlegendem: Noch immer sei nicht gewährleistet, dass Flüchtlinge überhaupt flächendeckend die Möglichkeit haben, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Amnesty International dokumentierte zum Beispiel für das Jahr 2012, dass es in Athen nur an einem Vormittag am Wochenende die Möglichkeit gebe, seine Papiere zu beantragen, wöchentlich könnten deshalb nur rund 20 Menschen ihr Asylgesuch stellen.

Migranten drohen noch immer willkürliche Verhaftungen. Bis sie als Asylbewerber oder Flüchtlinge registriert sind, sitzen sie in Internierungslagern, bis zu 18 Monate lang. Die Zustände dort bezeichnet der Pro-Asyl-Experte Kopp als "nahezu menschenrechtsfreie Zonen". Efi Telli, Anwältin aus Thessaloniki berichtet, die Flüchtlinge dürften nicht ins Freie gehen, die hygienischen und medizinischen Zustände seien katastrophal. Reguläre Flüchtlingsunterkünfte hingegen gibt es fast gar nicht. "Im ganzen Land gibt es nur etwas mehr als tausend Plätze", so Experte Kopp. Die ehemalige Regierung unter dem konservativen Premier Samaras hatte die Internierungslager aus dem Boden gestampft. Syriza hat jetzt versprochen, die dort Inhaftierten unter bestimmten Bedingungen freizulassen.

Wer als Flüchtling oder Asylbewerber anerkannt ist, hat dennoch kaum eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben, es gibt kein Geld, keine Wohnungen - wer Glück hat, bekommt Essen an einer Suppenküche. Hinzu kommen rassistische Übergriffe auf Flüchtlinge - auf der Straße, auch von Seiten der Behörden. Flüchtlinge berichten von Misshandlungen durch Offiziere der Küstenwache. Der UNHCR beklagt, dass an den Grenzen weiterhin Schutzsuchende zurückgewiesen werden.

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