Druck auf Deutschland Griechenland könnte noch mehr Reparationen verlangen

Genau 278,7 Milliarden Euro Reparationen soll Deutschland an Griechenland zahlen. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE könnten diese Forderungen sogar noch steigen. Wie rechnen die Griechen?
Kriegsdenkmal in Griechenland: Nationalbank musste deutsche Besatzung finanzieren

Kriegsdenkmal in Griechenland: Nationalbank musste deutsche Besatzung finanzieren

Foto: © John Kolesidis / Reuters/ REUTERS

Es sind genau 278,7 Milliarden Euro. Die griechische Regierung hat erstmals eine genaue Summe genannt, die sie von der Bundesrepublik als Wiedergutmachung für den Zweiten Weltkrieg fordert.

"Nach unseren Berechnungen betragen die Reparationszahlungen Deutschlands 278,7 Milliarden Euro", eröffnete Vize-Finanzminister Dimitris Mardas am Dienstag dem Parlament in Athen. Der Betrag beinhalte rund 10,3 Milliarden Euro für eine Zwangsanleihe sowie Reparationszahlungen an Einzelpersonen und Zahlungen für zerstörte Infrastruktur.

Wie ist Mardas auf diese Zahl gekommen?

Nach Angaben seines Sprechers stammt die Summe aus einem vertraulichen Bericht des Obersten Rechnungshofs von 2013, der 2014 noch einmal aktualisiert worden ist. Ein Vertreter des Finanzministeriums betont, die Berechnungen seien rechtmäßig und entsprächen internationalen Standards.

Zwei unterschiedliche Schätzungen

Was steht in dem Bericht? SPIEGEL ONLINE konnte ihn einsehen. Der aktualisierte 160-Seiten-Report beinhaltet zwei unterschiedliche Schätzungen.

Eine basiert auf den Forderungen, die Griechenland auf der Pariser Reparationskonferenz im Jahre 1946 erhoben hat. Aus ihr ergeben sich Forderungen von heutzutage mehr als 332 Milliarden Euro. Diese Summe enthält noch keine Einzelentschädigungen.

Griechenland forderte damals rund 7,2 Milliarden US-Dollar (auf dem Preisniveau von 1938). Die Entschädigung, die Athen dann tatsächlich bekam, lag bei lediglich 25 Millionen US-Dollar.

Die Berechnungsgrundlagen dafür werden heute als ungenau angesehen. Sie werden aufgeführt, um zu zeigen, dass Griechenland nicht erst seit der Schuldenkrise Forderungen stellt. Wichtiger ist nun allerdings eine zweite Erhebung.

Für diese hat ein Expertenteam des Rechnungshofs Archive und andere Originalquellen untersucht, etwa Verlustmeldungen von Bürgern aus der Nachkriegszeit. Die Rede ist von 50.000 Dokumenten. So kommen sie auf eine Summe von 269,5 Milliarden Euro (auch diese ist unabhängig von Einzelentschädigungen für Gräueltaten).

Addiert man dazu weitere 9,2 Milliarden Euro, die Griechenland für den Ersten Weltkrieg fordert, landet man bei den 278,7 Milliarden Euro, die Anfang der Woche präsentiert wurden.

Diese Summe enthält für den Zeitraum 1940 bis 1944 unter anderem:

  • 53,9 Milliarden Euro für Verluste in der Wirtschaftsleistung
  • 12,5 Milliarden Euro für versenkte Handelsschiffe
  • 235,4 Millionen Euro für geplünderte private Goldvorräte

So wurden die Summen errechnet

Die Schätzungen böten ein "komplettes Bild des wirtschaftlichen Schadens und der Verluste, die das Land hinnehmen musste", schreiben die Verfasser der Studie. Griechenland habe während der Besatzung 10 Prozent der industriellen sowie 25 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion verloren, unter anderem 30 Prozent seines Viehbestands. 23 Prozent der Häuser und Wohnungen seien zerstört worden sowie 60 bis 90 Prozent der Infrastruktur.

Wie wurden die Summen errechnet? Die griechischen Experten haben den aktuellen Zeitwert der Zerstörungen geschätzt. Zuerst rechneten sie die Inflation, die in den Kriegsjahren dramatisch stieg, heraus - dadurch wurden die Summen kleiner. Diese Forderungen behandelten sie als Quasikredite, die niemals von Deutschland zurückgezahlt worden seien.

Diese wurden verzinst. Die Höhe der Zinsen wurde auf Grundlage von zehnjährigen US-Staatsanleihen berechnet - mit einem Aufschlag von 0,5 Prozent, weil der "Kredit" Deutschlands bereits über 70 Jahre läuft, seit 1945.

Mit dieser Formel wurde auch die Zwangsanleihe, die Deutschland 1942 der griechischen Nationalbank abpresste, umgerechnet. So wurde aus der damaligen Kreditsumme von 476 Millionen Reichsmark nun ein Betrag von mehr als 10 Milliarden Euro, genau gesagt: 10.344.859.092 Euro.

Weitere Ansprüche könnten folgen

Und die griechischen Reparationsforderungen könnten noch weiter anwachsen. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE ordnete ein parlamentarischer Ausschuss jüngst eine Untersuchung zur Frage der Reparationen an. Gemeinden und regionale Behörden im ganzen Land wurden aufgefordert, Beweise für Zerstörungen und Verwüstungen vorzulegen.

Das Ziel ist, einen noch umfassenderen Bericht vorzulegen, der griechische Ansprüche an Deutschland auflistet und auch Forderungen für zerstörte und geraubte archäologische Schätze beinhaltet. Die Gesamtsumme dürfte noch einmal steigen.

"Der Expertenbericht von 2013 ist wichtig, allerdings basiert unsere Untersuchung damit lediglich auf einer Quelle. Unser Bericht dagegen wird endgültig und umfassend sein", sagte ein Mitglied des Parlamentsausschusses SPIEGEL ONLINE.

"Wenn wir unsere Arbeit abgeschlossen haben, wollen wir unsere Ergebnisse der Regierung aushändigen. Dann kann diese mehr Druck in der Angelegenheit auf Deutschland ausüben."


Zusammengefasst: Die 278,7 Milliarden Euro Reparationszahlungen, die Griechenland von Deutschland fordert, wurden von einem Expertenteam anhand von Archivmaterial berechnet. Die Summe könnte sogar noch steigen: Athen will erneute Untersuchungen anstellen, um einen umfassenderen Bericht vorzulegen.

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