
Gabriel auf Distanz zu Tsipras Frechheit, Schlichtheit, Vetternwirtschaft

Regierungschef Tsipras: Die Vetternwirtschaft blüht auf allen Ebenen
Foto: YVES HERMAN/ REUTERSWer Vetternwirtschaft, Rückwärtsgewandtheit und Arroganz für Wesensmerkmale linker Politik hält, darf Alexis Tsipras und seine Koalition gerne weiter eine "linke" Regierung nennen. Wer hingegen auch nur einen Funken Respekt vor der europäischen Sozialdemokratie hat, sollte es vermeiden, Griechenlands Freibiersozialisten auf eine Stufe mit verantwortungsvollen Linken wie Italiens Matteo Renzi oder Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem aus den Niederlanden zu stellen. Bei Tsipras und seinen Leuten ist allenfalls die Fahne rot. Ihr Verhalten in der Eurokrise ist eine Beleidigung linker Werte wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit und Brüderlichkeit.
Es ist deshalb richtig, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel die griechische Regierung derzeit sehr scharf angeht, sogar schärfer, als es die Bundeskanzlerin tut. Gerade wer aus einer linken Perspektive auf die griechische Regierung blickt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Die Steuerprivilegien der Oberschicht tastet Tsipras nicht an. Die Steuern auf Immobilienbesitz hat er sogar gesenkt. Seine Verhandlungen mit der Schweiz, wo etwa 15 Milliarden Euro griechisches Schwarzgeld versteckt sind, hat er nicht weiterverfolgt. Und was ist sozial daran, dass betuchte Touristen und Geschäftsreisende in Athen seit zehn Tagen umsonst Bus und U-Bahn fahren dürfen - wohingegen sich viele Einheimische fragen, warum sie ein Monatsabo für den öffentlichen Nahverkehr bezahlt haben?
"So ist eben das System"
Tsipras hatte versprochen, mit dem Klientelismus zu brechen. Er wolle es anders machen als seine Vorgänger, die den öffentlichen Dienst und das Militär dazu missbrauchten, Günstlinge mit Jobs zu versorgen. Doch auch hier passierte das Gegenteil; die Vetternwirtschaft blüht unter Tsipras' Regierung auf allen Ebenen. Tourismusministerin Elena Kountoura stellte ihren Bruder als Berater ein, Kulturminister Nikos Xydakis machte den Bruder einer ranghohen Parteifreundin zu seinem Büroleiter, und Alexis Tsipras selbst konnte seinen Cousin Giorgos Tsipras beglückwünschen: Er arbeitet jetzt als Generalsekretär für internationale Wirtschaft im Außenministerium. So sei eben das System, bekannte die Tsipras-Vertraute und Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, 39, als bekannt wurde, dass ihre Mutter noch bis 2013 Kindergeld für sie kassiert hatte.
Und schließlich: Man stelle sich vor, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen würde sich öffentlich so zu Wort melden: "Das Militär stellt die Stabilität im Land sicher." Die Kanzlerin, und nicht nur die, stünde Kopf. Und zwar zu Recht. Griechenlands Verteidigungsminister Panos Kammenos hingegen redet genauso irre daher - und es ist nicht überliefert, dass ihn Regierungschef Tsipras gerügt hätte.
Die SPD-Jugendorganisation wirft ihrem Parteichef Gabriel vor, seine Kritik an der griechischen Regierung sei falsch. Er verhalte sich "unsolidarisch" und sogar "anti-europäisch". Doch aus dieser Kritik spricht die Realitätsferne von Soziologie-Studenten, die zum Schichtwechsel vor dem Fabriktor herumstehen, um Flugblätter mit Marx-Zitaten zu verteilen. Gabriel tut gut daran, sie zu ignorieren.