Westerwelle in Athen Der Mutmach-Minister

"Solidarität", "Ermutigung", "Silberstreif": Außenminister Westerwelle beschwört bei seinem Athen-Besuch den Durchhaltewillen einer ganzen Nation - trotz Rekordarbeitslosigkeit, trotz des maroden Gesundheitssystems. Viele Griechen hoffen auf einen zweiten Schuldenschnitt, doch Berlin winkt ab.
Amtskollegen Westerwelle, Venizelos: "Solidarität und Ermutigung"

Amtskollegen Westerwelle, Venizelos: "Solidarität und Ermutigung"

Foto: LOUISA GOULIAMAKI/ AFP

Guido Westerwelle hat sich beeilt. Er ist der erste Außenminister, der nach der Kabinettsumbildung in Athen seinen griechischen Amtskollegen Evangelos Venizelos besucht, eine Kurzvisite im sommerlich aufgeheizten Athen. Am Donnerstagmorgen empfängt ihn Ministerpräsident Antonis Samaras. In der Runde in dessen Amtssitz sind Wirtschaftsminister und Finanzminister mit dabei, auch Venizelos kommt dazu. "Es bewegt sich etwas", stellt Westerwelle danach fest.

Westerwelles Mission folgt einem Muster: das Bild des anteilnehmenden Deutschen zu übermitteln. In einem Land, in dem die Kanzlerin auf Demonstrationen mit Hitler verglichen wird, in dem das Misstrauen gegenüber Deutschland weit verbreitet ist, will der Liberale ein Zeichen setzen. Ein Signal der "Solidarität und Ermutigung" sei sein Besuch, die Deutschen stünden "an der Seite Griechenlands". Man sehe sich in einer "Kultur- und Schicksalsgemeinschaft". Und: "Wir wissen, was das griechische Volk derzeit trägt."

Venizelos, ein erfahrener Politiker, der schon mehrere Ministerämter bekleidet hat und zuletzt Finanzminister war, hatte die Pressekonferenz am Mittwochabend nach der Ankunft seines deutschen Kollegen so gelegt, dass sie rechtzeitig vor den TV-Hauptnachrichten berücksichtigt wird. Er pries die Reformen, man habe eine "solide und wunderbare Grundlage geschaffen für die griechische Wirtschaft". So kommen die schönen Botschaften der Eintracht in die griechischen Wohnstuben. Der bullige Sozialist neben dem eher schmalen Westerwelle - ein scheinbar ungleiches Bild. Doch Westerwelle ist der Mann aus dem mächtigen Norden und Venizelos mit seinem ganzen Gewicht der Vertreter eines immer noch am Boden liegenden Landes. Es geht vor allem um Bilder und Botschaften bei diesem Besuch. Beide sind Juristen von Beruf und streichen heraus, dass auch Venizelos bei Westerwelles Doktorvater Dimitris Tsatsos studiert hat.

Westerwelles Besuch fällt in eine turbulente Zeit. Die Dreierkoalition aus Konservativen, Sozialisten und Demokratischer Linke ist kürzlich zerbrochen - die Demokratische Linke verließ die Regierung im Streit über die Schließung des staatlichen TV- und Radiosender ERT. Griechenland ist seit Tagen wieder in den Schlagzeilen, auch in Deutschland. Die Troika aus Europäischer Union (EU), Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) streitet in diesen Tagen mit der Regierung über den Fortgang der Sparbemühungen. Bis zum Ende dieses Jahres sollen 4000 Staatsbedienstete entlassen werden, weiteren 12.500 Stellen im Öffentlichen Dienst droht die Streichung. Die Vertreter der Troika, gerade vor Ort, machen Druck - sonst könnte die nächste Hilfstranche in Höhe von 8,1 Milliarden nicht fließen.

"Griechenland kann es packen"

Die Aussichten für das Land sind trübe, auch wenn die deutsche Seite auf steigende Touristenzahlen, auch aus Deutschland, geringere Lohnstückkosten und wachsende Exporte in Länder außerhalb der EU hinweist. "Zum ersten Mal ist ein vorsichtiger Silberstreif am Horizont zu sehen. In der Politik gibt es auch ein psychologisches Momentum", wehrt sich Westerwelle gegen, wie er es sagt, "Untergangsszenarien". Griechenland, sagt der Liberale auf die Frage eines zweifelnden griechischen Reporters, der die Lage seines Landes mit jener kurz vor der Machtübernahme Hitlers 1933 vergleicht, "kann es packen, davon bin ich fest überzeugt".

Venizelos spricht über das "niedrigste strukturelle Defizit", das Griechenland in der Euro-Zone habe, man stehe "kurz vor einem Primärüberschuss", seine Schulden bediene sein Land "auf absolute sichere Weise". Aber er sagt auch: "Wir können keine weiteren Austeritätsmaßnahmen auf uns nehmen."

Jenseits der Beschwörungen steht eine andere Realität. Allein im griechischen Gesundheitssystem fehlt rund eine Milliarde Euro in den Kassen der Versicherungen, Rechnungen an Krankenhäuser werden nicht mehr bezahlt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 60 Prozent, im Lande ist sie im Durchschnitt bei 27 Prozent. Junge, gut ausgebildete Menschen wandern aus - nach Deutschland. In diesen Tagen sorgte eine junge Frau für Schlagzeilen - die beste Abiturientin des Landes will ausgerechnet in Deutschland studieren.

In Athen machen sich Hoffnungen breit, im Herbst Erleichterungen von Seiten der Troika zu erhalten. Offenbar dann, wenn in Deutschland gewählt worden ist. Zumindest ließen sich die Worte des Wirtschaftsministers Kostis Chatzikadis interpretieren, der erklärte, wenn "wir zuverlässig und positiv überraschen, bin ich mir sicher, dass unsere Partner ihre Solidarität mit Griechenland zeigen werden".

Westerwelle lehnt zweiten Schuldenschnitt ab

So steht die Frage im Raum: Kommt es im Herbst zu einem zweiten Schuldenschnitt? Der erste im Frühjahr 2012 hatte eine Verringerung des Schuldenstands für Griechenland von rund 100 Milliarden Euro erbracht, allen voran durch den Verzicht von Banken und Versicherungen. Ein weiterer Schuldenschnitt käme diesmal teuer für den Steuerzahler, weil die mit öffentlichen Geldern abgesicherten Hilfskredite betroffen wären. Kanzlerin Angela Merkel hatte vor Westerwelles Flug nach Athen auf die Frage nach einem zweiten Schuldenschnitt erklärt: "Ich sehe das nicht."

Auch Westerwelle wird in Athen danach gefragt. "Es steht kein weiterer Schuldenschnitt auf der Tagesordnung", lautet seine Antwort. Es gehe darum, dass das, was vereinbart worden sei, nun auch umgesetzt werde. Nur mit Reformen und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit kämen Investitionen in Land. Er wünsche sich, dass der "Reformelan nicht nachlässt".

Westerwelle in Athen - der deutsche Außenminister betätigt sich in der Rolle des Mutmachers. "Wenn Sie diesen Reformkurs durchhalten", sagt er in die griechischen TV-Kameras, "wird das die Geburtsstunde eines neuen Aufschwungs sein."

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