
Türkische Soldaten in Griechenland Wenn Erdogans Gunst wichtiger ist als das Menschenrecht

Ozkaynakci (Mitte) und weitere türkische Soldaten
Foto: Alkis Konstantinidis/ REUTERS
Nachdem er 18 Monate lang von der Polizei festgehalten wurde, ohne jemals angeklagt zu werden, dachte Suleyman Ozkaynakci, dass er endlich frei sei. Am Morgen des 29. Dezember kamen griechische Asylbeamte zu seiner Zelle, um ihm die gute Nachricht zu überbringen: Griechenland werde ihm Asyl gewähren.
Die Entscheidung hatte eine unabhängige Asylbehörde getroffen. Sie sah nicht genug Beweise dafür erbracht, dass Ozkaynakci 2016 tatsächlich an dem vereitelten Putsch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beteiligt war. Zudem drohe ihm in seiner Heimat die politische Verfolgung.
Ozkaynakci (Mitte) und weitere türkische Soldaten
Foto: Alkis Konstantinidis/ REUTERSOzkaynakci, der im Juli 2016 mit sieben weiteren Soldaten nach Griechenland geflohen war, war überglücklich - und erstmals frei. Aber seine Freude hielt nicht lange an. Völlig unerwartet wies die griechische Regierung das Gericht an, seine Asyl-Entscheidung zu revidieren, um die türkisch-griechischen Beziehungen nicht zu belasten. Am Montag gewann die Regierung die erste Verhandlung. Ein Gericht in Athen setzte das Asyl für Ozkaynakci wegen "öffentlichen Interesses" aus; am 15. Februar soll es eine formale Anhörung dazu geben. Ozkaynakci ist nun zurück in seiner alten Zelle, mitten in einem Athener Polizeibezirk.
Erdogan wettert, Tsipras folgt
Der Fall der acht geflohenen türkischen Soldaten ist eine klaffende Wunde in den türkisch-griechischen Beziehungen. Ankara verlangte mehrfach von Athen, die Soldaten an die Türkei auszuliefern. Erdogan verunglimpfte die Männer als Verräter und Putschisten, sie müssten Verantwortung für die Konsequenzen der Aufstände mit mehr als 250 Toten übernehmen.
Griechenland sicherte der türkischen Regierung zu, in dem Fall kooperieren zu wollen. Athen ist auf Ankara als verlässlichen Partner angewiesen, vor allem angesichts der Flüchtlingskrise und dem Versuch, die Ägäis ruhig zu halten. Der griechische Premier Alexis Tsipras ließ wissen, dass türkische Putschisten in seinem Land nicht willkommen seien. Nun, angesichts der vorerst zurückgenommenen Asylentscheidung, scheint die griechische Regierung ihre juristischen Möglichkeiten, ihnen das Bleiberecht zu verweigern, bis aufs Letzte ausreizen zu wollen.
Es sieht sogar danach aus, als habe Athen die Vorwürfe der türkischen Autoritäten gegen "die acht" übernommen. In der Begründung für die Asyl-Verweigerung wird der Putschisten-Vorwurf aus Ankara wiederholt - und es werden die vermeintlichen Beweise dafür angeführt, die das Oberste Gericht zuvor als nicht ausreichend eingestuft hatte. "Wir haben starke Hinweise darauf, dass sie Putschisten sind", sagte Migrationsminister Ioannis Mouzalas am Dienstagabend in einem Fernsehinterview. "Das macht es zu einem Problem mit unserem Nachbar. Ich und die Regierung wollen sicher sein, dass unser Land Putschisten kein Asyl gewährt."
Plötzlich scheint die griechische Regierung auch Willens, dem Versprechen Erdogans Glauben zu schenken, dass den Soldaten in der Türkei ein fairer Prozess gemacht würde - obwohl das Oberste Gericht in Athen zu entgegengesetzter Auffassung gekommen war.
Die Handhabe des Falls sorgt für einen Aufschrei unter Anwälten, Menschenrechtsaktivisten, Intellektuellen und Oppositionellen. Nikos Alivizatos, einer der bekanntesten Verfassungsrechtler Griechenlands, schrieb in einem Artikel für "Kathimerini", dass die Entscheidung der Asylbehörde die "Würde des griechischen Rechtssystems" gerettet habe; der Regierung warf er hingegen "schockierende moralische Inkonsequenz" vor. Die Opposition ist der gleichen Ansicht. "Die Einzigen, die die Entscheidung bejubeln, sind die türkischen Medien. Die Regierung muss endlich verstehen, dass Griechenland ein Rechtsstaat und ein Mitglied der Europäischen Union ist", heißt es in einer Stellungnahme der konservativen Partei Nea Dimokratia.
"Die griechische Regierung wird von Ankara gemobbt"
Die Anwälte der Soldaten fürchten, dass die Rechte der Türken geopfert werden, um Erdogans Zorn in Schach zu halten. "Die griechische Regierung wird von Ankara gemobbt", sagt einer der Anwälte, Omiros Zelios, SPIEGEL ONLINE. Zelios geht von einem langen Rechtsstreit um das Schicksal der Soldaten aus. Er fürchtet, dass sein Mandant im Streit zwischen Diplomaten und Juristen zwischen die Fronten geraten könnte und befürwortet deshalb eine Einmischung der EU in den Fall. Er prüfe alle Optionen, so Zelios - auch die, für seine Mandanten in einem anderen EU-Mitgliedstaat Asyl zu beantragen.
Aus Sicht von Thanos Dokos, Direktor des Thinktanks Eliamep, versucht Athen mit seiner unbeholfenen Reaktion auf die Asylentscheidung einen Fehler mit einem neuen Fehler zu korrigieren. "Wenn die Regierung so besorgt ist über die Auswirkungen auf die griechisch-türkischen Beziehungen und die Flüchtlingskrise, dann hätte sie die acht Männer Stunden nach ihrer Ankunft in Griechenland wieder zurückschicken sollen - unbemerkt von der Öffentlichkeit." Laut Dokos profitiert nun niemand mehr von den Zugeständnissen, die offenbar ein Ergebnis des türkischen Drucks sind.
Andere meinen, Tsipras handle nur so, um Erdogan am Ende sagen zu können, dass er alles versucht habe - zumindest alles, was im Rahmen der Gewaltenteilung möglich sei. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass Erdogan sich wohl kaum mit dem Argument einer unabhängigen Justiz zufriedengeben wird. Vor seinem letzten Athen-Besuch im Dezember vergangenen Jahres hatte der türkische Präsident in einem Interview mit SKAI TV gesagt, dass der Fall von der Exekutive hätte geklärt werden sollen - und nicht der langsamen Judikative. Eine Ansicht, die sein Stellvertreter am Montag noch einmal wiederholte: Ankara erwarte weiterhin, dass die acht Männer "so schnell wie möglich" ausgeliefert würden - als ob die griechische Regierung die Entscheidung des Obersten Gerichts ignorieren könnte.
Wenn die Auslieferung der Türken der einzige Weg ist, Erdogan zu besänftigen, dann könnten die Bemühungen der griechischen Regierung am Ende nicht nur politisch, juristisch und moralisch fragwürdig sein, sondern auch vergebens.
Zusammengefasst: Nach dem gescheiterten Putschversuch gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan flüchteten acht türkische Soldaten nach Griechenland und beantragten Asyl. Aus Sicht einer unabhängigen Asylbehörde zu recht - es gebe nicht genügend Beweise, dass "die acht" Putschisten seien, in der Türkei drohe ihnen die politische Verfolgung. Doch nun mischt sich die Regierung um Alexis Tsipras ein, um ein "Problem mit dem Nachbarn" Türkei zu verhindern und Erdogan zu besänftigen. Das gehe zu Lasten der Menschenrechte, kritisieren Anwälte und Oppositionelle.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Alexis Tsipras empfängt Recep Tayyip Erdogan in Athen: Beim ersten Besuch eines türkischen Präsidenten im Nachbarland seit 65 Jahren bemühen sich beide um Normalität. Die Länder sind aufeinander angewiesen - doch zuletzt war die Beziehung extrem belastet.
Das liegt auch an diesen acht Männern: Sie waren nach dem gescheiterten Putschversuch gegen Erdogan im Juli 2015 aus der Türkei nach Griechenland geflohen und hatten dort Asyl beantragt - der türkische Präsident wirft ihnen vor, Putschisten zu sein. Der Fall ist auch von symbolischer Bedeutung, weil die Männer ausgerechnet in das Land seines ältesten Gegners Griechenland flohen.
Suleyman Ozkaynakci: Noch im Dezember sah es so aus, als ob der türkische Soldat in Griechenland Asyl gewährt bekomme. Eine unabhängige Asylbehörde war zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht genug Beweise für die Beteiligung am Putsch gebe. Außerdem drohe Ozkaynakci politische Verfolgung in seinem Heimatland. Zuvor hatte bereits der Oberste Gerichtshof eine Auslieferung an die Türkei abgelehnt.
Nun scheint die griechische Regierung jedoch Willens, den Vorwürfen der türkischen Regierung gegen "die acht" Glauben zu schenken: Der Soldat solle sein Asyl verlieren, mischte sich Migrationsminister Ioannis Mouzalas kurz nach der Entscheidung ein.
Soldaten und Bürger am Abend des Putschversuchs in Istanbul: "Wir haben starke Hinweise darauf, dass sie Putschisten sind", sagte Migrationsminister Ioannis Mouzalas nun in einem Fernsehinterview.
Das Militär hatte am 16. Juli 2015 versucht, Erdogan zu entmachten. Der Putsch scheiterte, seitdem ist die Lage in der Türkei für Oppositionelle ernst.
Die Entwicklung in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 ist bedenklich: Fast unmittelbar nach dem Putsch hörte die Türkei auf, sich an die Europäische Konvention der Menschenrechte zu halten.
Zehntausende Angestellte des öffentlichen Dienstes, Akademiker, Mitarbeiter des Justizwesens, des Bildungsbereichs und Militärs wurden in den vergangenen anderthalb Jahren von ihren Posten entfernt. Mehr als 10.000 Menschen wurden verhaftet.
Erdogan fordert nach wie vor, dass die acht Ex-Soldaten von Athen an die Türkei ausgeliefert werden - er verspricht dort einen fairen Prozess. Doch ihre Anwälte, Oppositionelle und Menschenrechtler haben daran große Zweifel.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden