Griechisches Referendum Europa zittert vor dem Nein
Berlin - Alles oder nichts: Mit einem heiklen Manöver hat Georgios Papandreou seine Partner brüskiert, die Aktienmärkte schockiert - und ganz Europa irritiert. Der griechische Premier will sein Volk über den Rettungskurs für das hochverschuldete Euro-Land abstimmen lassen. Der Ausgang? Höchst ungewiss.
Noch in dieser Woche wird das Parlament in Athen über das Referendum beraten, am Donnerstag oder Freitag will Papandreou zudem die Vertrauensfrage stellen. Der Sozialist verknüpft sein politisches Schicksal mit dem Kampf gegen die Schuldenkrise. Einmal schon, vor rund vier Monaten, hat er eine Vertrauensfrage überstanden. Nun droht abermals eine Zitterpartie: Mittlerweile hat sich seine Parlamentsmehrheit auf nur noch zwei Stimmen reduziert.
Der Zeitpunkt des Referendums selbst ist noch unklar. Frühestens aber, so heißt es, könnten die Griechen im Januar 2012 abstimmen. Es wird eine Art Schicksalswahl, so viel ist jetzt schon klar. Entsprechend groß ist im Rest des Kontinents die Angst vor einem Nein.
Was passiert, wenn die Griechen den Euro-Rettern in Brüssel in die Parade fahren? Welche Folgen hätte das für den Euro? Oder liegt in Wahrheit sogar eine Chance in Papandreous Plan? Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Was steckt hinter dem Vorstoß von Papandreou?
Der sozialistische Premier steckt in einem Dilemma. Er muss seinem Land seit Monaten radikale Sparpakete verordnen, um den Weg freizumachen für die Milliardenhilfen der europäischen Partner. Gleichzeitig sieht er sich einer Bevölkerung gegenüber, die gegen die harten Maßnahmen immer stärker mobil macht. Auch die konservative Opposition in Athen fährt einen kompromisslosen Gegenkurs.
Georgios Papandreou, dessen Popularität im Zuge der Krise stark gelitten hat, sucht jetzt offenbar den Befreiungsschlag. Mit dem Vorstoß zur Volksabstimmung will er die Opposition auf Linie zwingen, die angesichts der dramatischen Folgen kaum an einem Scheitern des Referendums interessiert sein dürfte. Zudem will er sich des Rückhalts der Bevölkerung für seinen Rettungskurs versichern.
Es ist ein riskantes Spiel: Geht die Abstimmung gut aus, werden es seine Gegner schwerer haben, ihn anzugreifen. Geht es schief, dürfte das Referendum sein politisches Ende besiegeln - und womöglich die EU ins Chaos stürzen.
Worüber soll eigentlich abgestimmt werden?
Es ist die entscheidende Frage, aber die Details sind noch völlig unklar. Papandreou selbst hält sich bedeckt, was genau Inhalt des Referendums sein soll. Die in Brüssel beschlossenen Rettungsmaßnahmen? Möglich, aber die konkreten Modalitäten werden derzeit erst noch ausgehandelt. Die Sparpakete? Werden größtenteils bereits umgesetzt.
Klar ist: Es wird vor allem darauf ankommen, wie die Abstimmung von der griechischen Bevölkerung wahrgenommen wird. Entsteht der Eindruck, das Volk dürfe über die unpopulären Einschnitte abstimmen, droht Papandreou eine Niederlage. Präsentiert er die Abstimmung aber als Votum über den Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone, könnte es gut ausgehen.
Umfragen zeigen ein griechisches Paradoxon: Fast 60 Prozent der Bevölkerung sind mit den Gipfelbeschlüssen aus Brüssel unzufrieden und lehnen das harte Sparprogramm ab. Doch 70 Prozent der Griechen wollen, dass ihr Land in der Euro-Zone bleibt.
Was wären die Konsequenzen eines Neins für Griechenland?
Die Konsequenzen eines Neins wären für Griechenland gravierend, da sind sich die meisten Analysten einig. Schon jetzt hält sich das Land nur aufgrund der Zahlungen von EU und IWF über Wasser. Sollte Papandreou das Referendum verlieren, dürften die Geldspritzen von außen eingestellt werden, was Wirtschaft und Banken in Griechenland wohl zusammenbrechen lassen und das Land an den Abgrund bringen würde.
Um überhaupt die laufenden Ausgaben halbwegs stemmen zu können, müssten sie drastisch reduziert werden - durch womöglich noch härtere Sparmaßnahmen, als das schon jetzt der Fall ist.
Währungspolitisch stünde Athen dann vor der Wahl, in der Euro-Zone zu bleiben oder zur Drachme zurückzukehren.
Sollte sich Athen für Letzteres entscheiden, wäre eine massive Abwertung wahrscheinlich. Weil die Schulden größtenteils in Euro aufgenommen wurden, müsste die Regierung in Athen immer mehr Drachmen aufwenden, um die Löcher zu stopfen. Ein Bankrott wäre wohl unausweichlich.
Und was wären die Folgen für Europa?
Schon die bloße Ankündigung eines griechischen Referendums ließ die Märkte einbrechen, europaweit purzeln die Aktienkurse. Sollten die Griechen in einem Votum die europäische Antikrisenpolitik tatsächlich abschmettern, könnten die Finanzmärkte außer Kontrolle geraten.
Eines der Szenarien bei einem griechischen Nein ist, dass das Land in eine ungeordnete Insolvenz rauscht. Von dieser Staatspleite wären viele europäische Banken unmittelbar betroffen. Viele Geldhäuser verfügen nicht über genug Eigenkapital, um einen Ausfall Griechenlands abzupuffern. Anleihegläubiger auf der ganzen Welt müssten den Großteil ihrer Forderungen von über 200 Milliarden Euro abschreiben.
Private Investoren könnten abgeschreckt werden, Gelder in den Euro-Raum zu pumpen - doch genau darauf ist der Rettungsschirm EFSF angewiesen, um seine Hebelwirkung zu entfalten. Zudem würde ein Griechen-Nein das weltweite Vertrauen in den kompletten Währungsraum erschüttern. Die ohnehin lahmende Weltwirtschaft könnte zusätzlich belastet werden.
Könnte Papandreous Plan auch aufgehen?
Papandreous Manöver könnte in der aufgeheizten Stimmung in Griechenland wie Balsam wirken, das Selbstbewusstsein der vom radikalen Sparkurs gebeutelten Griechen stärken. Gelingt es dem griechischen Premier, einen Großteil der Bevölkerung für sich zu gewinnen, könnte das die entscheidende Befreiung im Euro-Krisenpoker sein. Denn steht ein Großteil der Griechen hinter Papandreou, hätte die griechische Regierung den Beweis per Volksabstimmung erbracht, dass sie das Richtige tut. Dann gäbe es keinen Raum mehr für Zweifel am Sparwillen der Griechen.
Hochsensible Märkte, zögernde Investoren und nicht zuletzt die Proteste auf den Straßen haben gezeigt, dass alle Gipfelbeschlüsse bislang kaum Vertrauen darin aufbauten, dass Griechenland garantiert gerettet werden könnte. Vielleicht kann es die Stimme des Volkes, hoffen Befürworter eines Referendums. Ein klares Bekenntnis zur Europa-Treue in harten Zeiten könnte auch die Stimmung in anderen Krisenstaaten wie Spanien oder Italien beflügeln und damit die gesamte Euro-Zone festigen.
Immerhin hätte Papandreou, sollte die Volksabstimmung wie geplant im Januar 2012 stattfinden, mehr als zwei Monate Zeit, um für den Volksentscheid zu werben. Seine Erfolgschancen steigen, wenn er das Referendum als Abstimmung über den Verbleib in der Euro-Zone präsentiert.
Was bedeutet der Vorstoß für die deutsche Debatte?
Die Euro-Skeptiker an den Parteibasen und im Parlament dürften in diesen Stunden überbordende Genugtuung empfinden. Denn Papandreou gibt ihnen ein Totschlagargument an die Hand: Warum jemandem mit Milliarden und Abermilliarden helfen, der im letzten Moment ausschert und sein eigenes Ding durchzieht?
Bei den jüngsten Abstimmungen zum erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF wurde die Kanzlermehrheit beide Male erreicht. Aber es ist unklar, wie sich Griechenlands Alleingang auf künftige Abstimmungen im Bundestag auswirkt. Möglicherweise lassen sich Hin- und Hergerissene beim nächsten Mal noch schwerer vom Sinn der Hilfen überzeugen.
Freilich feuern die Euro-Skeptiker jetzt aus allen Rohren, das Wort "Staatsbankrott" hat wieder Hochkonjunktur. Der FDP-Politiker Frank Schäffler, der in seiner Partei einen Mitgliederentscheid gegen die Euro-Hilfen initiierte, forderte am Dienstag den sofortigen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone und geißelte das Versagen der "Schuldenschirmpolitik". Eine Reihe von Unionspolitikern zweifelt das zweite Hilfspaket für Athen offen an.
Andere warnen vor einer Kettenreaktion: Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber etwa befürwortet nach Papandreous Vorstoß schnelle Schutzmaßnahmen für andere Krisenländer. Notfalls müsse die Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm ESM vorgezogen werden.