Großbritannien Blair-Berater planen triumphalen Abschied des Premiers

Peinliche Panne für Tony Blair. Kurz vor dem Labour-Parteitag druckte der "Mirror" ein Papier aus Downing Street 10 ab - mit einem detaillierten Plan für den Abgang des Premiers. Der soll wochenlang zelebriert werden: Mit einer Städte-Tournee und Auftritten im Kinder-TV.
Von Sebastian Borger

London - Früher hat Tony Blair bei jeder Gelegenheit betont, er habe "keine Schwierigkeit mit dem Gedanken, die Politik von heute auf morgen" aufzugeben. Das wirkt längst unglaubwürdig - wie so vieles aus dem Mund des 53-Jährigen, der seit gut neun Jahren als Großbritanniens Premierminister amtiert. Neuerdings will Blair nur noch "seinen Job machen" und wimmelt Fragen nach seinem Rücktritt ab: "Ich habe alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt."

Ach wirklich? Diesen Eindruck teilen immer weniger in der britischen Öffentlichkeit sowie in Blairs Labour-Party, die in Umfragen von einem Tiefstwert zum nächsten rutscht. Seit Monaten fordern Partei-Linke, Enttäuschte und Übergangene einen Zeitplan für die Amtsübergabe an Blairs designierten Nachfolger, Schatzkanzler Gordon Brown. Drei Wochen vor dem Parteitag in Manchester bläst nun auch die Partei-Mitte zum Angriff: Heute wurde bekannt, dass 17 Abgeordnete, die 2001 erstmals ins Unterhaus gewählt worden waren, ihren Parteichef zu klaren Aussagen über seinen Abgang drängen. Die Initiatoren Sion Simon und Chris Bryant gelten als treue Anhänger von Blairs New Labour.

Ausgerechnet am gleichen Tag veröffentlichte der Labour-treue "Daily Mirror" ein Memorandum aus der Downing Street, das von einem Satiriker nicht besser hätte erdacht werden können. In der letzten Phase seiner Amtszeit müsse Blair "weit über die Ziellinie hinausschauen", heißt es da. "Er muss gehen, während die Leute nach Mehr schreien - wie ein Star, der die letzte Zugabe nicht mehr spielt."

Um den "Triumph des Blairismus" gebührend zu feiern, soll der Premier eine Art Abschieds-Tournee durch die sechs größten Städte Großbritanniens absolvieren, vor "Ikonen-haften neuen Gebäuden" wie Londons Tate Modern oder Daniel Libeskinds Salforder Kriegs-Museum posieren und sich "vom politischen Tagesgeschäft distanzieren".

Offiziell verweigert Blairs Sprecher eine Stellungnahme zu dem Strategiepapier, das zwar vom April stammt, offenbar aber nicht am 1. April verfasst wurde. Inoffiziell wird die lahme Ausrede kolportiert, der Premier habe das Papier nie gesehen. Schlimm genug, heißt es in der unruhigen Partei: Blairs engste Mitarbeiter sind mehr mit dem geregelten Abschied des Chefs beschäftigt als mit der Regierungspolitik.

Zum Vorschein kommt zum wiederholten Mal, was die Briten längst satt haben: die Konzentration des Blair-Zirkels aufs Image statt auf Inhalte. Detailliert werden die letzten Medien-Auftritte des Premiers geplant, von der Kindersendung "Blue Peter" bis zur Chart-Show des populären DJ Chris Evans. Der letzte Amtsmonat müsse "bis in die letzte Einzelheit geplant" werden. Fürwahr ein Triumph des Blairismus.

Dabei hat sich die Insel während der Regierungszeit des früheren Strahlemanns wirklich verändert, ist auf vielen Politikfeldern Blairs Politik zum Konsens geworden. Die "Dominanz von New-Labour-Ideen", von der das Memo schwärmt, ist keineswegs nur Wunschdenken. Der jugendliche Oppositionsführer David Cameron ist auch deshalb erfolgreich, weil er verlorene Schlachten der Vergangenheit nicht mehr schlägt. In der Schulpolitik, beim Nationalen Gesundheitssystem, in der Frage der Unabhängigkeit der Bank von England - überall akzeptiert Cameron die Labour-Reformen und verleiht damit indirekt Blairs Regierungshandeln nachträglich Legitimation. So wie die legendäre "Eiserne Lady" Margaret Thatcher noch mindestens zehn Jahre über das Ende ihrer Amtszeit hinaus das politische Klima prägte, so steht schon heute fest: Blairs Politik wird fortleben, auch nach seinem Auszug aus der Downing Street.

Nach der katastrophal verloren gegangenen Kommunalwahl im Mai und einer weitreichenden Regierungsumbildung schloss sich "für Blair ein Terminfenster", urteilt einer der besten Kenner der Londoner Polit-Szene gegenüber SPIEGEL ONLINE. Guardian-Kolumnist Martin Kettle ist überzeugt, dass der Premier lange Zeit wirklich "eine ganze Legislaturperiode" lang im Amt bleiben wollte, wie er es vor der Unterhauswahl im Mai 2005 angekündigt hatte. "Die Übergabe an Brown sollte im Lauf des Jahres 2008 erfolgen." Inzwischen zählt auch Kettle zur überwältigenden Mehrheit jener, die Blairs Abgang viel früher erwarten. In den Wettbüros gilt noch immer das Frühjahr 2007 als wahrscheinlich: Anfang Mai ist Blair zehn Jahre lang im Amt. Zudem wählen Waliser und Schotten dann ihren neuen Landtag. Wenn die Ergebnisse so schlecht ausfallen wie derzeit die Umfragen, würde Blair die Verantwortung dafür übernehmen und seinem Nachfolger Handlungsfreiheit gewähren.

Der Brief der 17 sowie ein ähnlicher Aufruf, den angeblich eine Gruppe der im Vorjahr gewählten Jung-Abgeordneten vorbereitet, könnte die Sache allerdings beschleunigen. Jedenfalls wird Blair nicht darum herumkommen, seiner Partei und der interessierten Öffentlichkeit noch vor dem Parteitag eine genauere Vorstellung davon zu geben, wann mit seinem Abschied zu rechnen sei. So sehr die andauernden Spekulationen Blair frustrieren mögen - seit diesem Dienstag ist die Option, nichts zu sagen, endgültig passé.

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