Ausstiegsszenarien Britischer Bericht hält EU-Austritt für machbar

Großbritannien sollte die EU besser verlassen, als unter den derzeitigen Bedingungen Mitglied zu bleiben. Zu diesem Ergebnis kommt ein Prüfbericht im Auftrag des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson. Die optimale Lösung wäre jedoch eine andere.
London: Hauptstadt Großbritanniens trägt mehr als ein Fünftel zur Wirtschaftskraft des Landes bei

London: Hauptstadt Großbritanniens trägt mehr als ein Fünftel zur Wirtschaftskraft des Landes bei

Foto: LUKE MACGREGOR/ REUTERS

London - In der Europäischen Union bleiben oder austreten - seit Jahren die Gretchenfrage für Großbritannien. Jetzt kommt eine Studie im Auftrag des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson zu dem Schluss, dass Großbritannien die EU besser verlassen sollte - wenn sich an den derzeitigen Verhältnissen in Brüssel nichts ändert.

Der von den Sonntagszeitungen "Sunday Telegraph"  und "Sunday Times" aufgegriffene Prüfbericht formuliert acht Forderungen zur Reform der EU-Politik, die über die erklärten Ziele von Premierminister David Cameron hinausgehen. Ein Vertrauter Johnsons wurde von der "Sunday Times" mit den Worten zitiert, die Langzeitfolgen eines EU-Austritts seien "weniger schädlich, als die Leute denken".

Der für den Prüfbericht verantwortliche Banker Gerard Lyons sagte dem "Sunday Telegraph" zwar, "das beste Szenario für Großbritannien in den nächsten 20 Jahren wäre es, Mitglied einer umfassend reformierten Europäischen Union zu sein". Sollte allerdings der Status quo beibehalten werden und das Vereinte Königreich die EU im Guten verlassen, wäre dies im Fall einer eigenständigeren Handelspolitik kaum schlechter. Lyons' Fazit: "Es ist definitiv eine gangbare Option für Großbritannien, ohne die EU auszukommen."

"Keine Angst vor einem Austritt"

Aus dem Umfeld Boris Johnsons hieß es, der Londoner Bürgermeister würde es vorziehen, "in der EU zu bleiben und den gemeinsamen Binnenmarkt zu vervollständigen". Johnson sei jedoch überzeugt, dass dieses Ergebnis in den Verhandlungen mit den europäischen Partnern nur zu erreichen sei, wenn Großbritannien "keine Angst vor einem Austritt habe".

Londons Bürgermeister Boris Johnson: Innerparteilicher Rivale David Camerons

Londons Bürgermeister Boris Johnson: Innerparteilicher Rivale David Camerons

Foto: Oli Scarff/ Getty Images

Der Fokus des Prüfberichts, dem Johnson bei einer Rede vor Wirtschaftsvertretern am Mittwoch seine Unterstützung aussprechen dürfte, liegt auf der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung Londons. Die Hauptstadt trägt mehr als ein Fünftel zur Wirtschaftsleistung des Landes bei. In der Studie werden auch die finanziellen Folgen eines möglichen EU-Austritts für London beziffert.

Insgesamt spielt der Bericht vier Szenarien durch: Laut "Telegraph" könnte London seine Wirtschaftsleistung von derzeit 350 Milliarden Pfund (umgerechnet 438 Milliarden Euro) bis zum Jahr 2034 auf 640 Milliarden Pfund steigern - wenn Großbritannien in einer reformierten EU verbleibt, die ihren Handel mit Drittstaaten ausbaut.

Referendum für 2017 angekündigt

Mit immerhin 614 Milliarden Pfund sei zu rechnen, wenn das Vereinte Königreich die EU verlasse und eigenständige Handelspolitik betreibe. Eine weitaus schlechtere Lösung sei hingegen die Mitgliedschaft in einer unreformierten Union, die an ihrem derzeitigen Status quo festhalte: In diesem Fall könne die Wirtschaftsleistung lediglich auf 495 Milliarden Pfund steigen, schätzten die Prüfer. Die schlechteste Variante wäre demnach ein EU-Austritt in Verbindung mit einer verfehlten eigenen Handelspolitik. Die Wirtschaftsleistung würde 2034 dann nur 430 Milliarden Pfund betragen.

Regierungschef Cameron hat seinen Landsleuten versprochen, bei einem Wahlsieg seiner konservativen Tories im kommenden Jahr bis Ende 2017 ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union abzuhalten. Bis dahin will Cameron die Stellung des Königreichs in der EU von Grund auf neu verhandeln.

Seit Cameron das Referendum versprochen hat, feilen alle Lobbygruppen auf der Insel fieberhaft an ihrer Botschaft. Die meisten Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sind für den Verbleib in der EU. Auch Cameron will Großbritannien in der Europäischen Union halten. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte kürzlich ein Europa ohne die Briten als "nicht akzeptabel, unvorstellbar" bezeichnet. Die Bundesregierung werde nach dem Streit über die Besetzung der EU-Kommissionsspitze alles in ihrer Macht Stehende tun, um das Land in der Union zu halten, sagte Schäuble.

Der von Johnson in Auftrag gegebene Prüfbericht dürfte Londons Bürgermeister auch dazu dienen, sich gegenüber Cameron zu positionieren. Ihm werden Ambitionen auf das Amt des Premierministers nachgesagt.

wit/AFP
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten