Cameron vor der Briten-Wahl Der Schnösel gibt die Rampensau
David Cameron hat sich verändert, man konnte das in den vergangenen Wochen miterleben. Anfangs erschien er zu Wahlkampf-Terminen noch in Anzug und Krawatte. Dann ließ er erst die Krawatte weg. Später auch das Jackett.
Als er an diesem Nachmittag in der Haysfield Girls' School in Bath auftritt, südöstlich von Bristol, hat er die Hemdsärmel bis über die Ellbogen hochgekrempelt. Es war die Verwandlung eines glatten Politikverkäufers in eine Rampensau.

Am Donnerstag wählt Großbritannien ein neues Parlament, Camerons weiterer Karriereweg ist ungewiss. Denn bislang konnten die Konservativen nicht von der neuen Leidenschaft ihres Vorsitzenden profitieren, in den Umfragen liegen sie seit Wochen gleichauf mit Labour. Es ist möglich, dass deren Kandidat Ed Miliband nach dem 7. Mai eine Minderheitsregierung bilden kann und mit Hilfe der Schottischen Nationalpartei Premier wird.
Über die schottischen Nationalisten redet Cameron viel bei diesem Besuch in Bath. Etwa 200 Aktivisten sind in das Auditorium am Stadtrand gekommen, die Strategen der Partei sorgten dafür, dass genug junge Gesichter im Publikum verteilt sind. Sie bilden einen engen Kreis um Cameron. "Die SNP wird die Labour-Regierung als Geisel nehmen, Thema für Thema, Abstimmung für Abstimmung", ruft er. "Wollt ihr Ed Balls im Finanzministerium?" Balls ist neben Miliband der prominenteste Labour-Mann und könnte Finanzminister werden, falls die Partei an die Macht kommt. Das Publikum buht. Es will weder Ed Balls im Ministerium noch Miliband in der Downing Street.
Einige Tories haben Cameron vorgeworfen, einen uninspirierten, kraftlosen Wahlkampf zu fechten. Seine Verwandlung ist die Antwort auf eine Kampagne, die auf beiden Seiten ängstlich geführt wurde. Nur die kleinen Parteien schafften es, die Wähler zu euphorisieren, allen voran die rechtskonservative Ukip und die linksliberale SNP.
Mein Premier, der Schnösel?
Dass Cameron es bis heute nicht geschafft hat, die Briten zu fesseln, liegt auch an seinem schweren Start. Er trat 2010 sein Amt an, als die britische Wirtschaft am Boden lag und das Land mit den Folgen der Schuldenkrise kämpfte. Als erster Premier seit dem Krieg musste er eine Koalition eingehen (mit den Liberaldemokraten), weil die Konservativen aus eigener Kraft keine Regierung zustande brachten. Die beschränkte Macht und die Last der Krise prägten ihn. Für viele Tories trug Cameron ein Makel - noch bevor er einen Fuß über die Türschwelle von No. 10 Downing Street gesetzt hatte.
Auch deshalb verweist er eifrig auf die eigenen Erfolge. "2010 hatten wir kein Wachstum, dafür Massenarbeitslosigkeit und das größte Defizit der Geschichte", sagt er in Bath. Jetzt, nach fünf Jahren konservativer Regierung, verzeichne Großbritannien das höchste Wachstum in Europa. Außerdem hätten die Konservativen das Haushaltsdefizit reduziert und zwei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. "1000 Jobs jeden Tag", ruft Cameron in den Saal.
Erstaunlich ist, dass er die Wähler bislang nicht mitreißen kann, obwohl er sein größtes Ziel erreicht hat. Voriges Jahr wuchs die britische Wirtschaft um 2,9 Prozent; außerdem sank die Kriminalitätsrate weiter, die Inflation ist auf einem Tiefstand. Doch offenbar wird wenig davon mit den Tories in Verbindung gebracht. Viele Briten sehen in ihrem Regierungschef einen Oberschichtstypen aus Oxford, der dem Kapital nahesteht, keine Ideen hat und auf internationalem Parkett ungeschickt agiert.
Obwohl Cameron in Europa viele potenzielle Bündnispartner besitzt - unter anderem Deutschland, Holland, Finnland und Ungarn - verprellt er immer wieder seine Freunde. Sein vehementes Veto gegen das EU-Budget, die Kampfabstimmung gegen Juncker, die Drohung, aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auszusteigen - all das macht ihn als Partner in Brüssel unberechenbar.
Cameron will alles sein und nichts zugleich
Konservative Hinterbänkler nutzten seine Schwäche, um die Regierung zu beeinflussen. Ohne die Gefahr von rechts von den eigenen Leuten und von Ukip hätte Cameron nie für 2017 eine Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft versprochen. Cameron war ein Mann unter Druck. Er ist der Premierminister, der beinahe sein Land verlor, als die Schotten im vergangenen Jahr über die Abspaltung von Großbritannien diskutierten. Er könnte der Premier werden, dessen Land die EU verlässt.
Das Problem ist, dass viele Wähler nicht wissen, wofür er steht. Als Idole nennt er Tony Blair und Margaret Thatcher. Er hat versprochen, mehr Geld in das Gesundheitssystem zu stecken, zugleich kürzt er den Etat des Verteidigungsministeriums, das klassische Ressort der Tories. In der vergangenen Woche vergaß er, welchen Fußballverein er unterstützt. Und in Bath gibt er sich plötzlich als Streiter für die Arbeiterklasse und Gegner der Banker. Cameron will alles sein und nichts zugleich.
Seine Rede dauert kaum 20 Minuten. Anschließend warten seine Unterstützer draußen vor der Tür auf ihn, es sind überraschend viele Jungtories darunter. Aber Cameron kommt nie, seine Anhänger warten vergeblich.
Zusammengefasst: Am 7. Mai wählen die Briten - und der amtierenden Premier David Cameron muss zittern. Unter seiner Führung hat sich das Land gut entwickelt, die Wirtschaft wächst. Doch mit dem Regierungschef selbst verbinden dies offenbar nicht allzu viele Briten. Sogar in der eigenen Partei gibt es Vorbehalte gegen Cameron, die Konkurrenz nutzt seine Schwächen geschickt aus.