

Es war ein dramatisches Eingeständnis: Er sei so gut wie pleite, sagte der britische Ukip-Chef Henry Bolton dem "Daily Telegraph". "Es gibt Rechnungen, die bezahlt werden müssen, und alle meine Ersparnisse sind so gut wie aufgebraucht."
Doch Bolton ist das Geld nicht ausgegangen, weil er sich bei irgendeinem privaten Geschäft verkalkuliert hat. Es sei seine eigene Partei, klagte er, die ihm im Streit das Gehalt verweigere.
Kein Geld für den Vorsitzenden? Boltons finanzielle Misere sagt einiges über die Verfassung der Rechtspopulisten. Skandale und Reibereien - allein damit schafft es Ukip noch in die Schlagzeilen.
Zuletzt eskalierte es, weil Boltons Freundin Jo Marney Prinz Harrys Verlobte Meghan Markle auf Facebook mit rassistischen Beleidigungen überzogen hatte. Bolton erklärte darauf, er habe die Beziehung beendet - wenig später war er mit Marney aber wieder in der Öffentlichkeit zu sehen. Zu viel für die Partei - der Vorstand entzog Bolton das Vertrauen. Der aber weigert sich zurückzutreten, auch nachdem seine Bezüge gestoppt wurden. Jetzt muss ein Sonderparteitag entscheiden. Die Kosten könnten die Partei ruinieren.
Jo Marney, Henry Bolton
Foto: imago/ i ImagesUkip zerlegt sich - und die Öffentlichkeit schaut zu. Dabei ist es noch nicht lange her, da waren die Rechtspopulisten drittstärkste Kraft im Königreich, das Brexit-Votum der Briten feierten sie als ihren größten politischen Triumph. Jetzt, gut eineinhalb Jahre später, steht die Partei vor dem totalen Zerfall. Wie konnte es so weit kommen?
Spinner, Spießer und Rassisten
Keine andere Partei hat die politische Landschaft in Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg so sehr durcheinander gewirbelt wie Ukip. Vor allem das Brexit-Referendum war ein sensationeller Erfolg, war man doch lange als Sammelbecken für Spinner, Spießer und verkappte Rassisten belächelt worden. Innerhalb nur weniger Jahre war es dem damaligen Ukip-Chef Nigel Farage gelungen, die an sich abstruse Forderung nach einem EU-Austritt salonfähig zu machen.
Als die Rechtspopulisten bei den Unterhauswahlen 2015 mit 12,6 Prozent der Stimmen hinter Tories und Labour auf Rang drei landeten, sah sich der konservative Premier David Cameron genötigt, ein skurriles Versprechen wahrzumachen: die Volksabstimmung über den Verbleib in der EU.
Doch der Triumph sollte für Ukip zum Fluch werden. "Der Brexit hat Ukip die Existenzberechtigung genommen", sagt Tim Bale, Politikwissenschaftler an der Londoner Queen Mary Universität. Soll heißen: Die Rechtspopulisten hatten ihr wichtigstes Ziel erreicht. Wofür sie künftig stehen sollen - die Frage ist bis heute offen.
Kein Aushängeschild
Dass Ukips große Zeiten vorbei sind, ahnte wohl auch der Star der Partei: Nigel Farage trat wenige Tage nach dem Referendum zurück, Ukip stand plötzlich ohne Aushängeschild da. Es war der Anfang vom Chaos. In den folgenden neun Monaten trat der einzige Ukip-Abgeordnete im Unterhaus, Douglas Carswell, aus der Partei aus. Großspender Arron Banks ging auf Distanz. Und der EU-Abgeordnete Steven Woolfe prügelte sich mit einem Parteikollegen im Europaparlament, bevor er der Partei ebenfalls den Rücken kehrte.
Nigel Farage
Foto: Peter Macdiarmid/ Getty ImagesIn der Folge liefen die Wähler Ukip in Scharen davon. Bei den Neuwahlen im Sommer stürzte die Partei in die Bedeutungslosigkeit - und holte nur noch 1,8 Prozent der Stimmen.
Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Zahl der Einwanderer inzwischen zurückgegangen war, sagt Politologe Bale. Nigel Farage sei es früher gelungen, die Themen Einwanderung und EU-Austritt in der öffentlichen Wahrnehmung zu vermengen. "Schaut man sich an, warum die Leute für Ukip gestimmt haben, dann ging das meist nicht wesentlich über diese zwei Fragen hinaus. Sehr viel mehr hatte Ukip nicht zu bieten."
Labour und Tories stoppen Ukip
Auch die Konkurrenz macht Ukip zu schaffen: Labour-Chef Jeremy Corbyn gelang es, mit traditionell linker Ansprache und Außenseiter-Image wieder Wähler von Ukip zurückzuholen. Und: Offensichtlich konnten sowohl Labour als auch die regierenden Tories Ukip beim Brexit ausbremsen. Premierministerin Theresa May etwa hat sich schon früh zu einem notfalls harten Ausstieg bekannt. Und auch Corbyn beharrt darauf, dass die Briten nach dem Brexit nicht mehr Teil des EU-Binnenmarkts bleiben könnten.
Laut dem Politologen Bale sind die Querelen bei Ukip zudem ein Anzeichen für einen ideologischen Richtungsstreit. Schließlich vertrete der im September gewählte Bolton vergleichsweise moderate Positionen. Eine Minderheit wolle Ukip hingegen "auf ganzer Linie in eine antiislamische, einwanderungsfeindliche und rechtsextreme Partei" verwandeln.
Der umstrittene Parteichef selbst gibt sich kämpferisch. In einem Fernsehinterview griff Bolton erneut die Parteispitze an. Und er ließ wissen, dass er seine Beziehung zu Jo Marney wieder aufwärmen könnte. "Falls das der Partei nicht schadet."
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Als volksnaher Nationalist präsentierte sich Nigel Farage gern, immer wieder zu Späßen aufgelegt. Dabei verbirgt sich hinter der einstigen Überfigur der britischen Rechtspopulisten ein knallharter Politiker. Als Ukip-Chef machte er Stimmung gegen Migranten und die eigentlich absurde Forderung nach dem EU-Ausstieg salonfähig.
Mit Farage an der Spitze hatte Ukip noch gut lachen. Die Aufnahme stammt aus dem Frühjahr 2015, etwa drei Monate später holte die Partei bei den Unterhauswahlen 12,6 Prozent - und wurde drittstärkste Kraft im Land.
"Wer führt wirklich dieses Land?" Mit angstmachenden, populistischen Parolen gegen die Europäische Union gewann Ukip in Großbritannien an Einfluss.
Farage gelang es, den angestrebten EU-Austritt mit dem Thema Einwanderung in der öffentlichen Wahrnehmung zu verweben. Beim späteren Brexit-Referendum war Migrationsfeindlichkeit eine zentrales Motiv vieler Menschen, die für den Ausstieg stimmten.
Ukip erklärte das Datum des Referendums zum "Unabhängigkeitstag". Tatsächlich passierte das, was zuvor kaum jemand für möglich gehalten hatte: Eine knappe Mehrheit der Briten votierte für den Brexit. Für die Rechtspopulisten war es ihr größter Triumph - aber zugleich auch ein Fluch: Ihr wichtigstes Thema, mit dem sie Wähler gewonnen hatten, waren sie fortan los.
In der Folge dominierten bei Ukip Richtungsstreitereien, Machtgerangel und Skandale. Nigel Farage trat kurz nach dem Referendum im Sommer 2016 als Parteichef zurück. Seither standen drei Männer und eine Frau an der Ukip-Spitze.
Paul Nuttall etwa wurde im November 2015 an die Spitze der Partei gewählt. Den Posten hatte er bereits zwischen 2008 und 2010 inne. Doch unter Nuttall stürzte die Partei ab. Bei den Unterhauswahlen 2017 kamen die Rechtspopulisten nur noch auf 1,8 Prozent - ein Minus von fast elf Punkten. Nuttall musste gehen.
Mittlerweile führt Henry Bolton die Partei - die Frage ist aber: wie lange noch? Denn Bolton hat sich mit dem Vorstand verkracht. Zuletzt eskalierte es, weil er sich nicht überzeugend von seiner etwa 30 Jahre jüngeren Freundin Jo Marney distanzierte, die Prinz Harrys Verlobte Meghan Markle rassistisch beleidigt hatte.
Die Partei stoppte Bolton die Bezüge, dieser will jedoch nicht zurücktreten. Jetzt muss ein Sonderparteitag entscheiden.
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