
Grünen-Chefin Roth in Libyen: Mitten im Chaos
Irrfahrt von Grünen-Chefin Roth Lost in Libyen
Um 8.17 Uhr platzt Claudia Roth der Kragen. Sie steht am Ticketschalter der libyschen Fluglinie Afriqiyah, alle Flüge von Tripolis nach Tunis sind gestrichen oder voll. Die Beamten vom Bundeskriminalamt raten energisch davon ab, mit dem Auto an die tunesische Grenze zu reisen. Sie entwerfen Horrorszenarien: Milizen, Straßensperren, mehrfache Reifenpannen. Ein "high-value target" wie die Grünen-Bundesvorsitzende dürfe da nicht lang fahren, niemals.
Roth hört eine Weile angespannt zu, zum x-ten Mal hört sie diese Argumente schon, dann ist sie es leid. "Ich mach es wie in Bagdad", ruft sie. Das heißt: ausdrücklich auf eigene Gefahr, ohne BKA, mit ziemlich viel Abenteuerlust und ziemlich wenig Furcht. Zu Ostern war sie auf diese Weise eine Woche lang im Irak. Was soll in Libyen schon schlimmer sein?
"Ich möchte dahin, es ist helllichter Tag", sagt Roth.
Vier Stunden soll die Fahrt nach Tunesien dauern, die Strecke ist wirklich nicht ohne. Armee und Polizei können kaum für Sicherheit sorgen, lokale Milizen regeln je nach Gusto den Verkehr oder rauben Reisende aus. Aber wenn die Grünen-Politikerin es nicht wagt, ist der zweite Teil ihrer einwöchigen Nordafrika-Reise komplett ruiniert. Zwei Tage lang hatte sie in Libyen mit Politikern, Flüchtlingen und Diplomaten über die Lage nach dem Sturz von Muammar al-Gaddafi geredet, jetzt wollte sie das gleiche in Tunesien tun: politische Gespräche in Tunis, Besuch eines Flüchtlingslagers auf Djerba.
Roth strandet im libyschen Chaos
Doch am Mittwochmorgen schien es dann, als ob das postrevolutionäre Chaos in Libyen die Reise Roths jäh beenden würde.
Anfang der Woche hatten Bewaffnete für ein paar Stunden den Flughafen blockiert, tagelang wurden daraufhin Flüge gestrichen und verschoben. Teile der Delegation erwischten einen Flug über Bengasi, doch ausgerechnet die Anführerin Roth hatte Pech beim Buchen. "Cancelled" stand auf dem Monitor, alles andere war mittlerweile ausgebucht. Roth war fassungslos und wütend. Eigentlich wollte sie schon am Vorabend fliegen, noch mal warten, das hielt sie nicht aus.
Krisensitzung am Ticketschalter. Claudia Roth will fahren, zur Not mit dem Taxi. Das BKA will fliegen, zur Not auch über Frankfurt. "Wo ist eigentlich der Botschafter?", fragt Roth. Der hat sich lange rausgehalten, gepanzerte Fahrzeuge gebe es nicht, sagt er, auch sein Personal will der Vertreter des Auswärtigen Amtes nicht auf den Landweg schicken, unnötiges Risiko. Doch seine Alternativangebote funktionieren nicht, deswegen nimmt Roth die Sache jetzt selbst in die Hand.
Als sie ihr Machtwort am Schalter spricht, fallen die Widerstände in sich zusammen. Das BKA hat plötzlich gepanzerte Fahrzeuge aufgetrieben, der Gesandte der Botschaft begleitet die Bundesvorsitzende bis zur tunesischen Grenze, ist doch selbstverständlich.
Auch Außenminister Guido Westerwelle, selbst unterwegs am Persischen Golf, lässt über den Botschafter fragen, wie es der Kollegin aus dem Bundestag gehe. Das findet Roth, keineswegs als Fan des FDP-Politikers bekannt, richtig nett.
Überhaupt ist ihre Stimmung binnen Minuten wie gewandelt, sie genießt es, dass sie die Verhältnisse zum Tanzen gebracht hat. Gefahren, Wegelagerer, Reifenpannen? Roth trägt auf dem Flughafen Bertolt Brechts Gedicht "Der Radwechsel" vor und lacht sich kaputt:
Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel mit Ungeduld?
Drei Stunden nach ihrem Machtwort am Flugschalter rollt die Kolonne aus Tripolis Richtung Tunesien. Zwei Stunden später kommt sie an der tunesischen Grenze an - alles ist gutgegangen.