Guantanamo Obamas Anti-Terror-Gesetz empört Bürgerrechtler

US-Präsident Obama: Eigenes Versprechen gebrochen?
Foto: JASON REED/ REUTERSDer Tag dürfte mit Bedacht gewählt gewesen sein: An Silvester, als er davon ausgehen konnte, dass die meisten Bürger mit anderen Dingen beschäftigt sein würden, unterzeichnete US-Präsident Barack Obama an seinem Urlaubsort auf Hawaii ein hoch umstrittenes Gesetz. Auf der einen Seite gibt der "National Defense Authorization Act" (NDAA) 662 Milliarden US-Dollar für den Militärhaushalt 2012 frei. Auf der anderen Seite schreibt das Gesetz Praktiken und Rechtswege in der Terrorbekämpfung fest, die Bürgerrechtler zutiefst empören und Obama wie jemanden aussehen lassen, der seine eigenen Versprechen bricht.
Obama, der antrat, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen und mit den martialischen Anti-Terror-Methoden der Vorgängerregierung von Georg W. Bush zu brechen, hat mit der Unterschrift dem Druck des US-Kongresses nachgegeben. Lange hatte er ein Veto angekündigt, dann aber, nachdem die Abgeordneten ihm in einigen Punkten entgegengekommen waren, seine Bereitschaft zur Ausfertigung des Gesetzes signalisiert. Insgesamt umfasst der NDAA mehrere hundert Seiten, umstritten sind jedoch vor allem zwei Abschnitte, die den Anti-Terror-Kampf betreffen. Sie sehen unter anderem vor, dass:
- die US-Regierung Terrorverdächtige ohne Gerichtsverfahren festsetzen kann.
- Nicht-US-Bürger, die mutmaßliche Qaida-Kader sind, in Militärgewahrsam genommen werden sollen.
- das US-Militär im Ausland Gefangenenlager errichten darf.
- das US-Militär Terrorverdächtige innerhalb oder außerhalb der USA festnehmen, verhören und ohne zeitliche Beschränkung festhalten kann.
Einzelregelungen sorgen zudem in der Summe dafür, dass die Auflösung Guantanamos de facto unmöglich gemacht wird. So darf zum Beispiel kein Regierungsgeld dafür verwendet werden, die verbleibenden 173 Gefangenen auf US-Festland zu bringen.
Wenige Zugeständnisse an Obama
Zu den Zugeständnissen, die das Weiße Haus dem Kongress abtrotzte, gehört unter anderem eine Bestimmung, die es der Regierung erlaubt, in Einzelfällen zu garantieren, dass ein Terrorverdächtiger doch vor einem Zivilgericht einen Prozess erhält; ursprünglich hatte der Kongress dies sogar ausschließen und die Gerichtsbarkeit für Terrorverdächtige ausschließlich dem Militär übertragen wollen - welches diese Rolle selbst gar nicht angestrebt hatte.
Schon Mitte Dezember hatte das Weiße Haus angekündigt, dass es von seinem Veto-Recht keinen Gebrauch machen würde. Seitdem waren Menschenrechtsorganisationen alarmiert. Jetzt rufen sie zum aktiven Widerstand auf: Amnesty International hat für den 11. Januar eine gemeinsame Demonstration von über 40 Organisationen angekündigt und sammelt Unterschriften gegen das Gesetz. Human Rights Watch erklärte, Obama werde in die Geschichte eingehen als der US-Präsident, der "zeitlich unbeschränkte Festsetzungen ohne Prozess im US-Recht verankert hat". Auch die American Civil Liberties Union hat eine Petition aufgesetzt.
Obama selbst ist ausdrücklich nicht zufrieden mit dem Gesetz. Bei der Unterzeichnung erklärte er, er habe "ernsthafte Vorbehalte". Er versprach, dass seine Regierung das Gesetz so auslegen werde, dass keine US-Bürger zeitlich unbefristet festgesetzt werden würden. Und er ließ durchblicken, dass die Zugeständnisse des Kongresses Schlimmeres verhindert hätten.
"Näher an den Bush-Regeln"
Bürgerrechtler halten das aber nicht für schlüssig. In verschiedenen Pressekommentaren hieß es, Obama hätte ein Veto einlegen sollen. Die Lesart, dass anderenfalls der Militärhaushalt ins Chaos gestürzt worden wäre, sei irreführend und falsch.
Bereits Mitte Dezember hatte die "New York Times" Obama für seine absehbare Entscheidung scharf attackiert: Der NDAA enthalte "entsetzliche neue Maßnahmen", der Präsident habe ohne Not nachgegeben. Das Gesetz könne "künftigen US-Präsidenten zudem die Autorität geben, US-Bürger lebenslang ohne Prozess oder Anklage ins Gefängnis zu stecken".
Ein ähnliches Argument haben auch Bürgerrechtler und andere liberale Kommentatoren ins Feld geführt: Viele von ihnen schenken zwar Obamas Versicherung Glauben, er werde mit seinen präsidialen Privilegien dafür sorgen, dass nicht alle Maßnahmen, die theoretisch erlaubt sind, auch automatisch angewendet werden. Aber dieses Vertrauen bringen sie nur ihm persönlich entgegen - nicht jedoch seinen möglichen Nachfolgern, und schon gar nicht den potentiellen Kandidaten der Republikaner, die sich beinahe ausnahmslos für folterähnliche Verhörmethoden, das Lager Guantanamo und Militärgerichte für Terrorverdächtige ausgesprochen hätten.
Zustimmung erhielt Obama dagegen vom konservativen "Wall Street Journal": "Die USA scheinen einen politischen Konsens gefunden zu haben, der um einiges näher an den Regeln von Bush, Cheney und Rumsfeld liegt, als deren Kritiker zugeben wollen. (...) Die einzigen, die dieses Ergebnis nicht mögen, sind jene auf der Linken, die mittlerweile sowieso irrelevant sind."