Guantanamo-Urteil "Grundlage unserer Demokratie bestätigt"

Seit Jahren setzen sie sich für Häftlinge ein - jetzt triumphieren sie: Die Guantanamo-Anwältinnen Fryszman und Olshansky hoffen nach dem Grundsatzurteil auf ein schnelles Ende des Gefangenenlagers. In zwei Interviews mit SPIEGEL ONLINE erklären sie, was der Richterspruch für ihre Klienten bedeutet.

SPIEGEL ONLINE: Ist dies das Ende von Guantanamo?

Olshansky: Es muss es sein. Es wird aber interessant zu sehen, was die Bush-Regierung nun als nächstes tut. Dies ist jedenfalls ein fantastisches Urteil.

SPIEGEL ONLINE: Der Supreme Court lässt der Regierung doch kaum eine Wahl mehr, als Guantanamo zu schließen?

Olshansky: Die US-Regierung steckt in einem enormen Dilemma. Die Judikative hat die Exekutive an die Kandare genommen. Die Regierung hat ja versucht und versucht, den Häftlingen den "habeas corpus" - das Recht auf richterliche Haftprüfung - abzuerkennen. Der Supreme Court hat nun bestimmt: Das könnt Ihr nicht machen. Er hat die Rechtsstaatlichkeit als fundamentale Grundlage unserer Demokratie bestätigt. Er hat gesagt, dass wir nicht länger Häftlinge überall in der Welt festsetzen und ohne Anklage unbefristet festhalten dürfen.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das praktisch für Sie und Ihre Klienten?

Olshansky: Alle Häftlinge in Guantanamo haben nun das Recht, die Realität ihrer Einkerkerung vor einem regulären Gericht anzufechten. Viele dieser Menschen wurden gefoltert. Es dürfte sehr interessant werden, zu sehen, wie die US-Richter jetzt mit den derart ermittelten "Beweisen" gegen die Häftlinge umgehen. Nichts wird mehr im Verborgenen bleiben. Alles kommt ans Licht.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben im Februar 2002 den allerersten juristischen Einspruch gegen Guantanamo eingelegt. Sie müssen sich bestätigt fühlen.

Olshansky: Ich habe mich gefragt, ob mein Land noch eine Demokratie ist. Ob das System der Gewaltenteilung noch existiert oder tot ist. Es waren für mich sechseinhalb harte Jahre. Früher hätte ich nie gedacht, dass ich einmal versuchen müsste, die Verfassung zu bewahren. Es war ein schwerer Kampf gegen eine rachsüchtige Regierung. Die haben uns als Landesverräter bedroht. Ich komme mir heute vor, als sei ich 100 Jahre alt.

SPIEGEL ONLINE: Was kommt nun als nächster Schritt für Sie und Ihre Klienten?

Olshansky: Ich habe schon vor einiger Zeit eine gigantische Petition auf Freilassung im Namen von 170 Guantanamo-Häftlingen bei einem US- Bezirksgericht in Washington, DC, eingelegt. Die lag bisher auf Eis und kann nun aktiviert werden. Alles wird vorwärts gehen.

SPIEGEL ONLINE: Und wann?

Olshansky: Es wird so schnell wie möglich ein großes Treffen aller beteiligter Anwälte geben. Wir wollen entscheiden, was unsere Strategie nach dem Supreme-Court-Urteil sein wird. Heute haben wir schon die erste Konferenzschaltung dazu. Ich schätze, das wird alles in den nächsten Tagen ins Rollen kommen, spätestens nächste Woche. Wir haben viele harte Beweise für die Unschuld unserer Klienten. Die müssen sofort freigelassen werden. Für sie und ihre Familien war es unendlich hart, dort zu hocken und zu wissen, dass sie unschuldig sind.

SPIEGEL ONLINE: Das lässt sich kaum wiedergutmachen.

Olshansky: Nein. Aber es ist nun ein angemessenes Ende dieses Alptraums. Plötzlich fängt die Musik an, sich gut anzuhören.

Interview mit Agnieskza Fryszman: "Das Hauptargument für Guantanamo ist ein für allemal tot"

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das Urteil des obersten US-Gerichtes?

Agnieszka Fryszman: Es ist ein großartiger Sieg. US-Präsident George W. Bush darf in Guantanamo nicht länger Menschen außerhalb des Gesetzes und der Verfassung festhalten - ohne Berücksichtigung ihrer Menschenrechte.

SPIEGEL ONLINE: Muss Guantanamo geschlossen werden?

Fryszman: Schwer vorauszusagen. Ich hoffe es, aber wir sind schon oft überrascht worden.

SPIEGEL ONLINE: Was geschieht mit den Häftlingen?

Fryszman: Sie haben ab sofort das Recht, ihre Inhaftierung vor einem regulären US-Bundesgericht anzufechten.

SPIEGEL ONLINE: In Guantanamo sitzen noch rund 270 Menschen ein. Gibt es jetzt eine Welle von Einsprüchen?

Fryszman: Ja, zumindest bei den 251 Insassen, die bisher noch nicht als "feindliche Kämpfer" angeklagt wurden. Und auf jeden Fall was meine Klienten in Guantanamo angeht.

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet das Urteil für Ihre Klienten?

Fryszman: Ich hatte ursprünglich drei Klienten in Guantanamo. Einer wurde kürzlich nach mehr als vier Jahren Haft entlassen und hat gerade geheiratet. Die anderen beiden spitzten weiter ein. Wir fordern jetzt natürlich sofort schnelle Anhörungen.

SPIEGEL ONLINE: Wo werden die stattfinden?

Fryszman: Vor einem US-Bezirksgericht in Washington, DC. Die meisten Guantanamo-Häftlinge haben vor diesem Gericht bereits Petitionen anhängig. Die lagen aber bis zum heutigen Urteil des Supreme Courts auf Eis. Jetzt können sie alle reaktiviert werden.

SPIEGEL ONLINE: Wann dürfte das geschehen?

Fryszman: So schnell wie möglich. Der Supreme Court hat die Gerichte ausdrücklich zur Eile gemahnt und gesagt, die Häftlinge dürften nicht länger warten. Wir selbst wollen das noch diese Woche in die Wege leiten.

SPIEGEL ONLINE: Nach welchen Kriterien wird das Schicksal der Häftlinge bestimmt?

Fryszman: Es liegt nun an den regulären US-Gerichten, den weiteren Verlauf zu entscheiden. Da gibt es eine Reihe von Kriterien. Zuerst muss geklärt werden, ob die Betroffenen tatsächlich als "feindliche Kämpfer" definiert werden können. Wenn das nicht der Fall ist, muss die weitere Faktenlage geklärt werden. Meine Klienten Ahmed Abdel Aziz (ein Mauretianer, der am 11. September 2001 in Pakistan verhaftet wurde, Anm .d. Red.) und Abdul Rabbani (ein Pakistaner) sind jedenfalls keine "feindlichen Kämpfer".

SPIEGEL ONLINE: Sie wurden bisher nicht angeklagt?

Fryszman: Nein. Auch mein früherer Klient Mohammed Al Amin (ebenfalls ein Mauretianer, der laut Amnesty International im April 2002 verhaftet wurde) nicht. Er wurde schon nach kurzer Zeit zur Freilassung freigegeben, saß dann aber trotzdem noch mehr als vier Jahre in Guantanamo. Es ist traurig: In der Zeit starb sein Vater.

SPIEGEL ONLINE: Ist dies das Ende der Debatte um Guantanamo?

Fryszman: Das Thema ist noch nicht zu Ende, das wird sicher noch weitergehen. Doch das Hauptargument für Guantanamo ist ein für allemal tot.

Die Interviews führte Marc Pitzke, New York

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