Gurkha-Veteranen in Großbritannien Letzte Schlacht der Heldenkrieger
Thil Bahadur Gurung ist kein Kriegsheld. Er kann keine Narben vorweisen und keine Tapferkeitsmedaillen. Er war weder im Falkland-Krieg noch im Golfkrieg. Er hat bloß in Hongkong und Großbritannien Wache geschoben und an Übungsmanövern teilgenommen.
Aber er hat 15 lange Jahre in der britischen Armee gedient und die Interessen des früheren Empires in Südostasien verteidigt. Mit 18 bestand er das harte Ausleseverfahren in Nepal, dann wurde er Soldat im zweiten Bataillon der Gurkha-Rifles in Hongkong.
Das müsste eigentlich reichen, um seinen Wunsch zu erfüllen, findet Gurung. Er würde gern den Rest seines Lebens in Großbritannien verbringen, mit seiner Frau und seinen drei Kindern. Doch er darf nicht. Seine Bindung an Großbritannien sei nicht stark genug, befand das britische Innenministerium und lehnte seinen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis im April 2007 ab. Gurung legte sofort Berufung ein. Er hatte einen Eid auf die Queen geschworen, er war bereit, sein Leben für England zu geben. Er spricht Englisch und hat mehrere Jahre auf der Insel gelebt. Was soll das heißen, seine Bindung sei nicht stark genug?
Auf eine Antwort wartet er noch immer.
Der 48-Jährige lebt seit Januar im Haus der British Gurkha Welfare Society in Farnborough, einem kleinen Städtchen südwestlich von London. Er ist mit einem Touristenvisum hergekommen, über Island, nachdem die britische Botschaft in Kathmandu ihm das Visum verweigert hatte. Das Visum ist bereits abgelaufen, er ist jetzt illegal hier. Er sei nicht der Einzige, sagt er lächelnd. "Wir sind viele."
Gurkhas kämpfen um Gleichberechtigung
Gurung ist einer von Tausenden Gurkha-Veteranen, die ihren letzten Krieg führen - diesmal nicht für, sondern gegen die britische Regierung. Statt durch die Dschungel Borneos oder die Wüsten Afrikas ziehen sie vor das House of Parliament und Downing Street Nummer zehn. Sie schleppen säckeweise Unterschriften herbei - als Beweis, dass die Bevölkerung auf ihrer Seite steht. Sie zeigen ihre Narben, die sie im Dienst für das fremde Land davongetragen haben. Es geht um das Bleiberecht, um höhere Renten, kurz: um Gleichberechtigung mit ihren britischen Kameraden.
Seit 1815 spielen die nepalesischen Soldaten mit dem krummen Messer, dem Kukri, eine wichtige Rolle in nahezu allen Feldzügen der Briten. Mehrere Afghanistan-Kriege, Burma, zwei Weltkriege, Indonesien, Falklandinseln, Irak und wieder Afghanistan - stets haben sich die Gurkhas an vorderster Front hervorgetan. Ihre Tapferkeit und Disziplin sind legendär, ihr Motto lautet: "Lieber sterben als ein Feigling sein".
Jahrzehntelang gingen die Briten davon aus, dass die Hilfstruppen vom Himalaya nach Ablauf ihrer 15-jährigen Dienstzeit wieder nach Nepal zurückgehen würden. Sie waren Gastarbeiter, Soldaten zweiter Klasse, mehr nicht. Doch die Erwartungen der Gurkhas wuchsen, immer mehr blieben als illegale Einwanderer in England.
2004 öffnete der damalige Premierminister Tony Blair die Tür zum ersten Mal einen Spalt weit: Gurkhas, die nach dem 1. Juli 1997 aus der britischen Armee ausgeschieden sind, dürfen seither offiziell in Großbritannien bleiben. Das betrifft etwa 3000 der 36.000 lebenden Veteranen.
Richter, Presse, Parlament auf Seiten der Gurkhas
Den Gurkhas reicht das nicht, sie wollen das Bleiberecht auf alle ausdehnen, die mindestens vier Jahre gedient haben. Das Jahr 1997 als Grenze sei willkürlich, sagt Chhatra Rai, Generalsekretär der British Gurkha Welfare Society. Das Datum schließt Leute wie Gurung aus, der 1992 aus der Armee entlassen wurde. Lange sah es nicht so aus, als ob die Forderung nach einem Bleiberecht für alle Gehör finden würde. Doch in den vergangenen Monaten haben die Gurkhas einige wichtige Schlachten gewonnen.
Im vergangenen September urteilte der britische High Court, dass das Argument der mangelnden Bindung an England, mit dem Gurung und Tausende andere abgewiesen worden waren, "irrational und ungesetzlich" sei. Die Richter trugen der Regierung auf, neue Visa-Richtlinien zu formulieren. Im Gerichtssaal erscholl vielstimmig der Schlachtruf "Ayo Gurkhali": vorwärts, Gurkhas.
Es gab einen Rückschlag, als die Regierung Ende April ihre neuen Regeln bekanntmachte. Für Veteranen, die vor 1997 in Ruhestand gegangen waren, waren die Bedingungen für eine Aufenthaltserlaubnis noch einmal verschärft worden. "Die Zahlen sollen möglichst kleingehalten werden", klagt Rai.
Doch der nächste Durchbruch folgte auf dem Fuße: Das Unterhaus bereitete wenige Tage später der Regierung Brown eine dröhnende Niederlage. Mit 267 zu 246 Stimmen votierten die Parlamentarier dafür, allen Gurkhas ein Bleiberecht zu geben. Auch 27 Abgeordnete der regierenden Labour-Partei schlossen sich dem Aufstand der Konservativen und Liberaldemokraten an und stimmten gegen den perplexen Premierminister.
"Wenn jemand bereit ist, für dieses Land zu sterben, hat er auch verdient, hier zu leben", sagte der Vorsitzende der liberaldemokratischen Partei, Nick Clegg. Damit traf er die öffentliche Stimmung auf den Punkt. "Lasst sie hier bleiben", titelte die konservative Boulevardzeitung "Daily Mail", die gewöhnlich kein Herz für Immigranten hat. Die Regierung hingegen wirkte schäbig und kleinkariert. Sie hatte gewarnt, dass es den Steuerzahler bis zu 1,6 Milliarden Pfund kosten könnte, wenn alle Gurkha-Veteranen nach Großbritannien kämen.
Wie ein Ex-Bond-Girl die Regierung auf Gurkha-Kurs zwang
Die Gurkhas schreiben ihren Erfolg einer Frau zu. "Ohne Joanna Lumley hätten wir nie diese Aufmerksamkeit bekommen", sagt Rai. Seit die "liebliche Lumley", wie die "Sun" sie nennt, sich im vergangenen Herbst an die Spitze gesetzt hat, ist ein ganz anderer Schwung in der Bewegung. Die 63-jährige britische Schauspielerin, früher Model, Bond-Girl und TV-Serienstar, hat im promiverliebten England das Ohr der Öffentlichkeit. Sie ähnelt Brigitte Bardot, und wie die Französin ist Lumley eine leidenschaftliche Aktivistin.
"Wie so viele Briten schäme ich mich, dass unsere Regierung diesen großartigen Soldaten gegenüber versagt hat", begründet die Offizierstochter ihren Einsatz für die Gurkhas. Ihr Vater hatte 30 Jahre lang in einem Gurkha-Regiment gedient.
"Liebliche Lumley" führt Brown vor
In den vergangenen Wochen schien es zeitweise so, als ob Lumley die politische Agenda des Landes nach Belieben diktieren könnte. Sie traf den Premier, sie traf den Einwanderungsminister, und beiden rang sie das Versprechen ab, sich persönlich für die Gurkhas einzusetzen. "Joanna ist unschlagbar", jubelte der "Daily Mirror".
Wenn Gurung auf die blonde Queen der Gurkhas angesprochen wird, lächelt er. "Sie ist sehr gut", sagt er. Die Regierung steht nun unter Zugzwang. Sie hat zugesagt, bis Ende Mai alle 1500 laufenden Visumsanträge von Gurkha-Veteranen zu bearbeiten - auch Gurungs. Bis zur Sommerpause will das Innenministerium zudem die Visa-Richtlinien erneut überarbeiten.
Premier Gordon Brown wird es sich zweimal überlegen, ob er noch einmal das Kostenargument vorbringt. Die Öffentlichkeit erwartet Großzügigkeit, eine Mehrheit spricht sich in Umfragen für ein allgemeines Bleiberecht aus. Die Gurkhas, scheint es, haben den Kampf um die Herzen gewonnen.
Die Sympathien kommen nicht von ungefähr. Im Gurkha-Museum in Winchester wird deutlich, wie weit die Bande zwischen Briten und Gurkhas zurückreichen. Sie lernten sich im Krieg kennen: 1814 starteten die Gurkhas Angriffe aus Nepal auf das benachbarte Britisch-Indien. Die Briten schickten 20.000 Mann, es dauerte jedoch zwei Jahre, bis sie den Gegner bezwungen hatten.
Während der Kämpfe sei "gegenseitiger Respekt und Zuneigung" zwischen den Kriegsparteien gewachsen, steht auf einer Tafel. Die Gurkhas seien zäh und tapfer, doch gleichzeitig "Gentlemen". Das gefiel den Briten, und bereits im April 1815 stellten sie die ersten vier Gurkha-Regimenter auf, die jeweils einem britischen Offizier unterstanden.
Heute noch 3400 Gurkhas unter Waffen
In den folgenden Jahrhunderten fielen Zehntausende Gurkhas für England. Allein in den beiden Weltkriegen, als die Gurkha-Regimenter auf über 100.000 Mann anschwollen, starben 43.000. Zuletzt ist die Bedeutung der Gurkhas immer weiter zurückgegangen, heute gibt es nur noch eine Brigade mit 3400 Mann.
Die Veteranen-Gemeinde auf der Insel hingegen wächst. Rund 8000 leben in Großbritannien, vor allem in der Gegend um Farnborough, schätzt Rai. Es gebe keine genauen Zahlen, weil viele illegal da seien. Die meisten verdienen ihr Geld als Wachleute und Bodyguards, viele sitzen untätig in Badelatschen herum wie Gurung, weil sie nicht arbeiten dürfen. "Manche warten seit drei Jahren auf ihre Aufenthaltserlaubnis", sagt Rai. Immerhin würden Gurkhas seit 2004 nicht mehr abgeschoben. Das traue sich kein Politiker mehr. Aber es gehe immer noch alles viel zu langsam voran.
Die Regierung zögert, den Veteranen das Bleiberecht zugestehen. Sie fürchtet, dass dann die Forderung nach gleichen Renten zwangsläufig folgt. Bisher konnte sie die Gurkhas mit geringen Pensionen abspeisen und argumentieren, dass die Lebenshaltungskosten in Nepal viel niedriger seien.
Gurung ist die Rente zunächst egal. Er hofft, dass in den nächsten Wochen endlich über sein Visum entschieden wird, wie es die Regierung versprochen hat. Sobald er es bekommt, sagt er, will er sich einen Job als Wachmann suchen und Geld verdienen. Und dann? "Dann gehe ich nach Nepal und hole meine Familie."