Guttenbergs Taliban-Gesprächsplan Startschuss für die Exit-Strategie

US-Marines in afghanischer Provinz Helmand: Wie funktioniert ein problemloser Abzug?
Foto: ? Ahmad Masood / Reuters/ REUTERSAls der zeitweilige und glücklose SPD-Vorsitzende Kurt Beck vor zwei Jahren zur Lösung des Afghanistan-Konflikts anregte, Kontakte auch zu den "gemäßigten" Taliban "auszuloten", brach eine Sturzwelle von Hohn und Spott über ihn herein. Politische Gegner und Kommentatoren ereiferten sich über die angebliche Naivität des Sozialdemokraten aus der Pfalz - die meisten von ihnen hatten den Hindukusch nie gesehen.
Zum Chor der Kritiker gehörte seinerzeit auch der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg. Der Freiherr aus Franken lästerte, er kenne "niemanden, der je einen vernünftigen Taliban getroffen hätte". Leider war das ein rhetorischer Rohrkrepierer.
Denn selbstverständlich gab es damals auch moderate Taliban, die Kabuls Präsident Hamid Karzai an seiner Regierung zu beteiligen suchte, um die Extremisten im Lager der Aufständischen zu isolieren.
Amüsiert dürfte Beck zur Kenntnis nehmen, dass ein deutscher Verteidigungsminister namens Guttenberg nunmehr empfiehlt, mit den gemäßigten Taliban zu reden. Denn "nicht jeder Aufständische bedroht gleich die westliche Gemeinschaft", lautet das neue Plädoyer des Freiherrn aus Franken. Wieder eine geballte Ladung. Doch diesmal liegt sie im Ziel.
Natürlich setzt der Minister sich dem Verdacht aus, hier ein Ablenkungsmanöver von der für ihn heiklen Kunduz-Affäre starten zu wollen. Mag sein, dass es ihm darum ebenfalls geht. Aber denkt er womöglich ernsthaft an einen Kurswechsel?
Hoffentlich ja, möchte man wünschen. Denn ein Kurswechsel ist überfällig.
Der Konflikt am Hindukusch ist für den Westen militärisch ebenso wenig zu gewinnen, wie er es vor zwei Jahrzehnten für die Sowjets war. Eine politische Lösung aber wird kaum ohne Einbindung der Taliban zu erreichen sein, jedenfalls nicht ohne den verhandlungsbereiten gemäßigten Flügel. Den gibt es in Kabul. Er gruppiert sich um die ehemaligen Taliban-Diplomaten Ahmed Muttawakil und Salam Saif, über die Präsident Karzai auch Kontakte zu den Hardlinern unterhält.
Suche nach einer Exit-Strategie
Der Sicherheitspolitiker Guttenberg hat sich mit seinem mutigen und richtigen Vorstoß einem Themenfeld genähert, auf dem sich die entscheidenden Debatten der kommenden Monate abspielen werden: der Suche nach einer Exit-Strategie für den Westen, um sich aus der Afghanistan-Falle baldmöglichst mit minimalem Gesichtsverlust herauswinden zu können.
Die internationale Gemeinschaft wird dabei Abschied nehmen müssen von einem vielfach zur Schau gestellten Überlegenheitsgehabe und von dem Anspruch, westliche Wertevorstellungen implantieren und demokratische Leuchttürme errichten zu wollen in einer Gesellschaft mit immer noch tief verwurzelten patriarchalischen Stammesstrukturen.
Die Neo-Taliban sind die Söhne und Enkel der Mudschahidin aus den größten Paschtunenstämmen, die der Westen einst im Kampf gegen die Sowjets als Freiheitshelden feierte - darunter auch islamistische Fundis wie den noch heute gefürchteten Warlord .
Sie selber haben ihr politisches und religiöses Credo seitdem kaum verändert, nur geht es diesmal nicht gegen das gottlose Russland, sondern gegen die Fremden aus dem Westen. Das macht aus diesen ehemaligen Freiheitskämpfern nunmehr in der westlichen Diktion Aufständische und Terroristen.
Es lohnt das Nachdenken darüber, welche Seite hier verlogener agiert. Und wer über mehr Leidensbereitschaft und Zeit verfügt.
Zu den Konstanten afghanischer Politik zählen von jeher ständig wechselnde Allianzen und Koalitionen einstiger Todfeinde. Zwar ist schwer vorstellbar, dass Extremisten wie Hekmatjar oder der ehemalige Taliban-Führer Mullah Omar demnächst wieder Ämter in Kabul bekleiden; diese würden wohl entsorgt im saudischen Exil bei ihren wahabitischen Sponsoren. Doch fast alles andere wäre denkbar - wenn es gelänge, durch eine Große Stammesversammlung, die Loya Jirga, eine Regierung der nationalen Einheit zu berufen. Diese müsste zunächst Terminpläne für den Abzug der Nato-Truppen im Austausch gegen Friedenssoldaten aus islamischen Ländern vereinbaren.
Rückfall in ein konservatives Regime des Islam
Und sie müsste dem Westen jene Garantie geben, um die es ihm einzig geht: dass von afghanischem Territorium keinerlei Gefahr mehr ausgehen wird für den Rest der Welt.
Um Dschihadis auszubilden, braucht die Terrortruppe al-Qaida keine Lager mehr in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion, wo US-Satelliten und Drohnen jede Maus aufspüren können. Das Rekrutierungsfeld der Terror-Internationale hat sich längst aufgefächert in der muslimischen Staatenwelt zwischen Malaysia und dem Maghreb.
Afghanistan selber würde wohl einen Rückfall erleben in ein konservatives Regime des Islam. Aber der rigide Wahabismus des Alliierten Saudi-Arabien stört den Westen ja auch nicht sonderlich - oder nur in gelegentlichen Ausbrüchen menschenrechtlichen Unmuts.
Im Übrigen zeigt das bewundernswerte Beispiel des vormaligen Bundeswehr-Arztes Reinhard Erös, der mit seiner "Kinderhilfe Afghanistan" unentwegt Schulen auch für Mädchen im Herzen von Paschtunistan errichtet, dass man mit den Taliban reden und Entwicklungsprojekte aushandeln kann.
Guttenberg könnte mit seinem Vorstoß eine Erkenntnis beflügeln: Den Afghanen muss letztlich gestattet werden, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Dies in einem Regierungssystem, das ihre eigenen kulturellen Traditionen widerspiegelt.
Nicht unsere.