Häftlingsmissbrauch in den USA "Willkommen in der Hölle"

Schon unmittelbar nach den Terroranschlägen von 2001 kamen vor allem in New York Hunderte Muslime in monatelange Haft. Viele davon wurden brutal gequält - teils mit ähnlichen Methoden wie später auch die Insassen von Abu Ghureib. Jetzt fordern einige Betroffene Schadenersatz.

New York - Zehn Jahre lang lebte Javaid Iqbal auf seine eigene, bescheidene Weise den amerikanischen Traum. Der Pakistaner wohnte im New Yorker Vorort Huntington auf Long Island. Er jobbte an einer Tankstelle und in einem kleinen Supermarkt. Er heiratete eine Amerikanerin und adoptierte drei Stiefkinder. Zu Weihnachten brachten ihm die Nachbarn Geschenke, zu Thanksgiving Truthahnreste.

Das alles änderte sich am 2. November 2001, wenige Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon. Da stürmten FBI-Agenten die Wohnung des 37-jährigen Muslims und nahmen ihn fest. Der Grund: Er sei des Terrorismus' verdächtigt. Was folgte, beschreibt Iqbar heute mit den Worten, mit denen ihn ein Haftbeamter begrüßt habe: "Willkommen in der Hölle."

Iqbal verbrachte neun Monate im Metropolitan Detention Center (MDC), einem wegen rauer Sitten berüchtigten Gefängnis in Brooklyn, davon sieben Monate in Einzelhaft, in einer winzigen Zelle. Seine Zeit dort beschreibt er in einer 44 Seiten starken Schadenersatzklage, die er Anfang Mai vor einem Bezirksgericht eingelegt hat - rein zufällig am selben Tag, als das Wochenmagazin "New Yorker" die ersten Details über den Folterskandal um das US-Gefängnis Abu Ghureib bei Bagdad enthüllte.

Und das ist nicht die einzige Parallele.

"Amerika war ein schönes Land"

Er sei im MDC "brutal und unmenschlich misshandelt" worden, berichtet Iqbar. Die Wärter hätten ihn wiederholt zusammengeschlagen, gegen Betonwände geworfen, ihm mit Stahlstiefeln in den Bauch getreten und mit dem Tode gedroht. Sie hätten ihn auch mehrfach nackt ausgezogen und, zur Belustigung aller, entwürdigenden "Leibesvisitationen" unterworfen. Sie hätten ihn als "Terrorist", "Killer" und "muslimischen Bastard" beschimpft. An Regentagen hätten sie ihn im Freien herumgetrieben, bis er klatschnass gewesen sei, und dann die Klimaanlage in seiner Zelle auf eiskalt gestellt. Er habe seine Religion nicht ausüben dürfen, nie genug zu essen bekommen und sei am Ende um insgesamt 40 Pfund abgemagert.

Nach neun Monaten wurde Iqbal vom Terrorverdacht freigesprochen und, wegen Verstoßes gegen das Einwanderungsgesetz, nach Pakistan deportiert. "Das Amerika, das ich vor dem Gefängnis kannte", erinnerte er sich kürzlich in einem Telefonat mit der "New York Times", "war ein schönes Land, und die Amerikaner waren so schöne Menschen. Im Gefängnis habe ich ein anderes Gesicht der Vereinigten Staaten von Amerika gesehen."

"Terroristen kriegen keine Schuhe"

Javaid Iqbal ist kein Einzelfall. In zwei detaillierten Untersuchungsberichten hat selbst der Generalinspekteur des US-Justizministeriums, Glenn Fine, schon im vorigen Jahr "ein Muster des physischen und verbalen Missbrauchs" terrorverdächtiger Muslime bestätigt, vor allem in den Monaten nach den Anschlägen von 2001 - und vor allem im Brooklyner MDC, wo in jenen Wochen 84 muslimische Häftlinge in Einzelhaft gehalten worden seien. Insgesamt habe es über 1000 Beschwerden von Betroffenen gegeben. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch unabhängige Nachforschungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) und der New Yorker Juristenvereinigung Human Rights First (HRF).

Im Klartext: Abu Ghureib war keine anomale, moralische Entgleisung, wie das Weiße Haus beteuert - sondern die logische Konsequenz eines "neuen Normalzustands" (HRF-Sprecher David Danzig), der schon unmittelbar nach dem 11. September 2001 an der Heimatfront im Krieg gegen den Terror geprägt wurde.

Davon zeugt auch der Fall des Ägypters Ehab Elmaghraby, der sich der Klage Iqbars angeschlossen hat. Elmaghraby, der damals einen Trödelmarktstand und ein Restaurant am Times Square betrieb, wurde Ende September 2001 in seiner Wohnung im New Yorker Stadtteil Queens festgenommen und ebenfalls ins Brooklyner MDC verbracht. Als Terrorverdächtiger von "hohem Interesse" saß er dort, wie später auch Iqbal, für zehn Monate in Einzelhaft. Er sei ebenfalls "physisch und verbal misshandelt" worden: Die Wachen hätten ihn verprügelt, ihm mehrere Zähne ausgeschlagen, ihn in den Magen getreten, eine Dreiviertelstunde lang nackt in einem Zimmer festgehalten und über den Boden geschleift, bis ihm die Beine geblutet hätten. Als er nach Schuhen gefragt habe, habe ihn einer der Aufseher angeschrieen: "Terroristen kriegen keine Schuhe."

Geladene Pistole an den Kopf gehalten

Ähnliche Misshandlungen prangert eine frühere Schadenersatzklage dreier weiterer Ex-Häftlinge an. Demnach wurden die gebürtigen Pakistaner Syed Amjad Ali Jaffri und Asif-ur-Rehman Saffi, ein Angestellter der Fluggesellschaft Pakistan International Airlines, sowie der Türke Ibrahim Turkmen, ein muslimischer Imam, im MDC auf gleiche Weise misshandelt. Die Beamten hätten Saffi unter anderem ins Gesicht getreten, seine Daumen nach hinten verbogen und ihn so gründlich zusammengeschlagen, dass er das Bewusstsein verloren habe. Turkmen sei scharfen Hunden ausgesetzt worden.

Über 1200 Muslime wurden nach Zählung von Menschenrechtsgruppen in der ersten Fahndungswelle nach dem 11. September 2001 in den USA festgenommen, meist wegen Immigrations- und Visaverstößen. Ihre Behandlung, die offenbar einen Maßstab für die Zukunft setzte, ist bis heute Gegenstand zahlreicher Ermittlungen und Untersuchungen. Die werden dadurch erschwert, dass die US-Justizbehörden alle Ermittlungsakten dazu geheim halten und sämtliche Betroffene, so sie nicht weiter hinter Gittern sitzen, in ihre Heimatländer abgeschoben worden sind.

Die Beispiele, die Generalinspekteur Fine in seinen zwei Berichten zitiert, lassen die späteren Zustände von Abu Ghureib in einem ganz anderen Licht erscheinen. So habe ein muslimischer Häftling sein Hemd ausziehen müssen, damit sich ein Wachbeamter damit die Schuhe habe putzen können. Einem anderen sei eine geladene Pistole an den Kopf gehalten worden. Ein Haftarzt habe eine Gruppe von Häftlingen mit den Worten bedroht: "Wenn es nach mir ginge, würde ich jeden von euch exekutieren."

Ein Wärter freiwillig pensioniert

Die Vorwürfe wurden bestätigt, als im Dezember 2003 hunderte Videobänder auftauchten, in denen viele Misshandlungen festgehalten wurden. Ein Video zeigte, wie Wärter die Köpfe von Häftlingen immer wieder gegen eine Wand schlugen, auf der ein blutiges T-Shirt mit einem US-Sternenbanner hing. Das Gefängnisamt hatte die Existenz dieser Aufnahmen zunächst dementiert; Inspekteur Fine fand sie in den Beständen der Behörde.

Vize-Justizminister Larry Thompson hat die raue Behandlung der muslimischen Häftlinge verteidigt. So etwas sei angesichts des "enormen Drucks" und der "Hunderten neuen Umstände" in den Wochen nach den Terrorakten von 2001 nur verständlich, schrieb er in einem Brief an Fine. Der widersprach jedoch, die Misshandlungen seien dadurch "weder zu erklären noch zu rechtfertigen".

Die Bürgerrechtsabteilung des Justizministeriums lehnte amtliche Ermittlungen wegen der Misshandlungen bisher ab. Ein internes Verfahren des US-Gefängnisamtes endete mit der freiwilligen Pensionierung eines Gefängniswärters; alle anderen, die in den Schadenersatzklagen als Mitangeklagte genannt werden, sind weiter im Dienst. Kriminalverfahren werde es vorerst keine geben, sagt Amtssprecher Dan Dunne.

Zittern beim Anblick des Bruders

Die American Civil Liberties Union (ACLU) will das Justizministerium deshalb jetzt gerichtlich zur Offenlegung aller fraglichen Haftunterlagen zwingen. "Die Pauschalversicherung der Regierung, sie wende im eigenen Land keine Folter oder illegale Verhörmethoden an, ist nicht ausreichend", sagt ACLU-Anwalt Amrit Singh. Andere Bürgerrechtsgruppen, aber auch Ärzte- und Veteranenvereinigungen, haben sich dem formellen Antrag auf Aktenöffnung angeschlossen. Darin fordern die Kritiker auch Aufklärung mehrerer bekannt gewordener Fälle, in denen die USA Terrorverdächtige in nahöstliche Länder deportierten, im vollen Bewusstsein, dass sie dort gefoltert würden. Dies sei bis heute Praxis.

Javaid Iqbal lebt inzwischen in Faisalabad. In seine langjährige Wahlheimat USA wird er nicht zurückkehren. Der "New York Times" sagte er, er leide seit seiner Misshandlung in Brooklyn unter chronischen Verdauungsproblemen, Dauerschmerz und Depressionen. Und jedes Mal, wenn er seinen eigenen Bruder, einen Polizisten, in Uniform sehe, fange er hilflos an zu zittern.

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