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Deutschland als Kolonialmacht: Mädchen als Kriegsgefangene, Frauen beim Gleisbau

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Völkermord-Prozess gegen Bundesrepublik Von der Schuld der Deutschen in Namibia

Mehr als 30 Jahre unterjochten Deutsche in Namibia die Völker der Herero und Nama. In New York läuft ein Verfahren gegen die Bundesrepublik. Der Vorwurf: Deutschland sei für den Tod von 80.000 Menschen verantwortlich.

Wenn die schwarze Künstlerin Vitjitua Ndjiharine , 29, mehr über die Zeit ihres weißen Urgroßvaters in Namibia erfahren will, muss sie in einen dunklen, deutschen Keller.

Sie geht durch die Besuchergarderobe im Foyer des Hamburger Völkerkundemuseums und öffnet eine schmale Tür. Dahinter führen Stufen in einem schmalen Gang hinunter, ins Archiv.

Ndjiharine ist seit zwei Wochen in Deutschland, dank eines Stipendiums der Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe  der Universität und der Gerda Henkel Stiftung. Ihr Auftrag: neue Details der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia ans Licht zu holen und künstlerisch aufarbeiten. Damit will sie auch die Geschichte der Unterdrückung des Herero-Volkes zeigen. Ihres Volkes.

In dem Fundus bislang unveröffentlichter Fotos hat sie ausführlich recherchiert. Es sind verstörende Aufnahmen darunter: junge Mädchen als Kriegsgefangene, Frauen bei der Zwangsarbeit, in Ketten gelegte Männer. Sie stammen aus den 30 Jahren, in denen Namibia deutsche Kolonie war. Erst 1915 machte der Erste Weltkrieg dieser Herrschaft ein Ende.

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"Auf einem Foto steht ein weißer Mann stolz im Vordergrund, dahinter aufgereiht vor einer Hütte, Werkzeuge und ein einheimischer Herero. Wie ein Ding, im Besitz des weißen Herren", sagt Ndjiharine. Menschen als Objekte, über die der deutsche Kolonialist frei verfügen konnte. "Diese Haltung bezüglich der Ovaherero- und Nama-Völker ermöglichte entsetzliche Grausamkeiten: Konzentrationslager, und schließlich auch den Völkermord."

Am Donnerstag könnte es vor einem US-Gericht zum Showdown zwischen den Nachfahren der Opfer und dem Land der Täter kommen: Vor dem Bezirksgericht im New Yorker Stadtteil Manhattan haben Herero- und Nama-Vertreter die Bundesrepublik öffentlichkeitswirksam wegen der Ermordung von 80.000 Menschen zwischen 1904 bis 1908 verklagt.

"Der Begriff Völkermord kam und kommt weiterhin in den Textentwurf"

Damals schlugen deutsche Soldaten einen Aufstand der Herero nieder und trieben flüchtenden Familien in die Omahek-Wüste. Viele starben an Hunger und Wassermangel. Neben finanzieller Entschädigung für die Gräuel fordern die Nachfahren eine direkte Beteiligung an den Gesprächen um Wiedergutmachung, die seit zwei Jahren auf Regierungseben laufen.

Ndjiharine im Völkerkundemuseum Hamburg

Ndjiharine im Völkerkundemuseum Hamburg

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Länger als ein Jahr weigert sich Deutschland bereits, den Zivilprozess gegen die Bundesrepublik anzuerkennen - und tut es noch. Der Prozess wurde zuletzt im Oktober vertagt, weil kein deutscher Vertreter vor Gericht erschien. Doch Mitte Januar kam Bewegung in das Verfahren, wenn auch nur durch einen deutschen Abwehrversuch: Die Bundesregierung beantragte über Anwälte die Einstellung, die wurde allerdings postwendend abgelehnt.

Eigentlich wollte Deutschland das Thema längst hinter sich gelassen haben: 2015 begonnen, sollten Entschuldigung und Wiedergutmachung 2016 erledigt sein, bilateral vereinbart zwischen den Regierungen in Berlin und Windhoek.

Für die Bundesregierung verhandelt der ehemaligen CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz mit Namibia. Vor dem Termin am Donnerstag sagte Polenz, moralisch stehe Deutschland weiter zu seiner Schuld und erkenne den Völkermord an.

"Der Begriff Völkermord kam und kommt weiterhin in dem Textentwurf vor, in der historischen Darstellung der Ereignisse", so Polenz zum SPIEGEL. Damit dementierte er anderslautende Berichte, laut derer Deutschland versuche, wieder von dem Völkermord-Begriff abzurücken.

Bundesregierung rechnet weiter mit Scheitern der Klage

Die Bundesregierung rechne aber trotzdem weiterhin mit dem Scheitern der Klage. "Es gilt die Staatenimmunität, vor einem Zivilgericht kann kein ganzes Land verklagt werden", sagte Polenz dem SPIEGEL.

Ziel sei eine "Heilung der Wunden bei Herero und Nama", sagt Polenz. Eine Stiftung für eine gemeinsame Erinnerungskultur und Sozialprojekte sollen dabei helfen. Eine finanzielle Entschädigung von Hinterbliebenen hatte Deutschland hingegen mehrfach ausgeschlossen.

Für den Ausgang der Verhandlung am Donnerstag sind mehrere Szenarien denkbar: Weigert sich Deutschland weiter teilzunehmen, ist theoretisch ein sofortiger Schuldspruch möglich. Darauf hoffen die Anwälte der Kläger. Es könnte aber genauso sein, dass das Verfahren in sich zusammenfällt, wenn die Richterin der deutschen Argumentation folgt: Völkermord wurde erst 1948 im Völkerrecht definiert, vorher kann es, rein rechtlich, keinen gegeben haben.

Hans Keller zeugte 1914 ihren Urgroßvater, dann kam der Krieg

Fernab der juristischen Winkelzüge zwischen New York und Berlin geht in Hamburg die Aufarbeitung der deutschen Kolonialherrschaft durch Forscher und Künstler weiter: Ndjiharines Urgroßvater war deutscher Soldat in Deutsch-Südwestafrika - und offenbar kein Unmensch.

Zwar habe der Soldat Hans Keller sein 1914 geborenes Kind, den Großvater der Künstlerin, nie gesehen. Die Vorfahren Ndjiharines hielten den Jungen aus Angst vor den Deutschen versteckt. Ehe Keller Namibia wenig später verließ, soll er der Familie ihres Urgroßvaters aber Vieh geschenkt haben. Ende des Ersten Weltkrieges fiel Keller in Frankreich, heute liegt er in Freiburg im Breisgau begraben.

In der Familie der Künstlerin, die in den USA studierte und deren Werke seit einem Jahr wieder in Namibia entstehen, war der Völkermord bis vor wenigen Jahren kein Thema. Doch dann begann Ndjiharines Mutter, die Familiengeschichte zu recherchieren.

Auch Ndjiharines Rückkehr in das Land ihrer Vorfahren war getrieben von der Neugier auf das eigene Erbe - und der Suche nach dem Leid ihres Volkes, das mit Deutschland eng verbunden ist. In Hamburg birgt sie nun ein weiteres Stück schmerzhafter deutsch-afrikanischer Geschichte, das nicht länger in Kellern verstauben soll.

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