Fotostrecke

Libyens Rebellen: Chaos beim Rückzug

Foto: FINBARR O'REILLY/ REUTERS

Hilfe für Libyens Rebellen Gefährliche Aufrüstung der Amateur-Krieger

Waffen, Munition, Funkgeräte: Den libyschen Rebellen fehlt es an allem. Eine mögliche Aufrüstung aber ist bei den Alliierten umstritten. Sie würde hohe Risiken bergen und nicht das größte Problem der Aufständischen lösen - die fehlende militärische Führung.

Auf den ersten Blick sieht Ayub Warda ziemlich gefährlich aus. Auf dem Kopf trägt der libysche Rebellenkämpfer die rot-weiße Kopfbedeckung Kefije, darunter eine dunkle Plastiksonnenbrille und etwas tiefer, über seiner privat gekauften Tarnuniform, ausgebeulte Patronentaschen. Der Kämpfer, erst 21 Jahre alt, steht am Montag bei Ben Dschawad, er beobachtet den hektischen Rückzug seiner Kampfgenossen auf der Flucht vor den anrückenden Gaddafi-Einheiten. "Was sollen wir machen", sagt der Rebell und schaut auf den Boden, "gegen die Panzer haben wir einfach keine Chance."

Wie zum Beweis zieht er sein Kalaschnikow-Gewehr nach vorne, das an einer Hanfkordel um seine Schulter geschlungen ist. Warda ist nicht zufrieden. "Die AK-47 ist 1976 in Russland gebaut worden", sagt er, "fast doppelt so alt wie ich, sozusagen ein Museumsstück."

Die Kalaschnikow stammt wie fast alle Waffen der libyschen Rebellen aus einem Militärlager der Gaddafi-Armee. Gleich zu Beginn des Aufstands gegen den Despoten Muammar al-Gaddafi Mitte Februar stürmten Warda und Hunderte junger Männer ein Militärlager in Bengasi in Ostlibyen und plünderten die Waffenkammern. "Jeder griff, was er kriegen konnte", sagt er, "ich war froh, dass ich wenigstens noch diese alte Waffe abstauben konnte."

Munition für drei Magazine, nicht mehr als 90 Schuss, raffte er in der Hektik zusammen - nicht viel für den langen Kampf gegen die Gaddafi-Truppen. Hinter Warda feuern jetzt, trotz des Rückzugs, wieder einige seiner Kameraden MG-Salven in Luft. Der junge Mann schüttelt den Kopf. "Diese Idioten. Die Kugeln müssen wir uns aufsparen, viel Munition haben wir nicht mehr."

"Ein Kampf von Ameisen gegen einen Elefanten"

Solche Szenen zeigen den Zustand der Guerilla-Truppe. Am Montag mussten die Rebellen nach ihrem schnellen Vormarsch ebenso rasch wieder vor der Gaddafi-Armee zurückweichen. So martialisch die Fotoposen der Rebellen auf ihren Toyota Pick-ups auch aussehen, so alt und wirkungslos sind ihre Waffen. Zwar präsentieren sie gern die von der Armee erbeuteten Flugabwehrgeschütze, doch die sind für den Kampf am Boden völlig wirkungslos.

Mit den Panzern und der Artillerie des Regimes können es die Aufständischen mit ihren Militär-Relikten aus den siebziger Jahren nicht aufnehmen, das geben die meisten zu. "Es ist bisher ein Kampf von Ameisen gegen einen Elefanten", sagt Kämpfer Warda, "wir jucken vielleicht im Pelz, aber verletzen können wir ihn nicht."

Schnell macht daher eine Idee von US-Präsident Barack Obama und anderen westlichen Alliierten die Runde. Sie erwägen, Waffen zu schicken, um die Rebellen aufzurüsten. "Damit können wir den Kampf schnell gewinnen", sagt Warda. Doch was brauchen die Rebellen? Warda stockt kurz. "Eigentlich benötigen wir alles", sagt er, "jeder unserer Männer braucht eine vernünftige Waffe, dazu einige Panzer, eine funktionierende Artillerie, neue Panzerabwehrraketen, Ferngläser und natürlich Funkgeräte."

Keine Koordination, keine Funkgeräte

Je länger er überlegt, desto mehr Wünsche kommen dem Rebell in den Kopf. Am Ende redet er über die Möglichkeit von Drohnen zur Überwachung des Kampffelds. Die fliegenden Augen seien doch auch in Afghanistan sehr erfolgreich gewesen, meint er.

Denn auch wenn die Aufständischen mittlerweile Tausende Männer mobilisiert haben, fehlt es ihnen waffentechnisch an allem. Die Probleme beginnen bei der Kommunikation. Bisher ist niemand an der Front auch nur mit Funkgeräten zu sehen. Typisch der hektische Rückzug am Montagabend: An den Checkpoints mussten die Rebellen aus der Kampfzone fliehende Einwohner über Positionen der Panzer ausfragen. Immer wieder rasten sie von der Hauptstraße zu den Krankenhäusern, um von Verletzten Informationen über die Frontlinie zu bekommen. Mit einer solchen Mund-zu-Mund-Informationspolitik aber lässt sich kein Kampf gewinnen.

Alternativen gibt es kaum. Die Mobiltelefone funktionieren nur bedingt. Zwar haben es die Techniker in Bengasi geschafft, das Mobilfunknetz Libyana wieder in Gang zu setzen. Das Netz ist schwach, vor allem aber reicht die Abdeckung nur bis zur jetzigen Frontlinie. Von dort an in Richtung Westen ist nur al-Madar auf Empfang, doch vom einem zum anderen Netz kann man keine Verbindung herstellen.

USA könnten die Aufständischen heimlich aufrüsten

Bessere Möglichkeiten zur Kommunikation wären ein einfaches Hilfsmittel, das der Westen bereitstellen könnte, ohne die Konfliktpartei direkt militärisch zu unterstützen. Ein paar Kisten mit Walkie-Talkies und einigen Satellitentelefonen wären leicht aus Ägypten ins Land zu bringen, meint der militärische Rebellen-Sprecher Ahmed Bani, die Grenze gen Osten werde ja von den Rebellen kontrolliert.

Bei der Lieferung von richtigen Waffen hingegen wird der Westen wohl noch weiter zögern. Eine solche Aufrüstung wäre ein direkter Eingriff in den inneren Konflikt in Libyen, die eindeutige Unterstützung einer Partei im Bürgerkrieg.

Die technische Abwicklung hingegen wäre wenig problematisch. Die Rebellen kontrollieren mit Bengasi und Tobruk zwei große Häfen, über die Schiffe die heiße Ware direkt ins Kampfgebiet bringen könnten. Wie jedoch solche Importe mit dem Uno-Mandat in Einklang zu bringen wäre, das strenge Sanktionen gegen Libyen verhängt hat, ist schwer vorstellbar. Das Regime von Gaddafi jedenfalls würde eine solche Aufrüstung geißeln und von Ländern wie Italien oder auch Russland und China Zuspruch bekommen.

Wie soll man die Rebellen nach dem Krieg wieder entwaffnen?

Für die Militär- und Geheimdienstmacht USA wäre freilich auch eine heimliche Aufrüstung der Rebellen jederzeit machbar. Die Haudegen der CIA kennen viele Wege, wie man auch zweifelhaften Machthabern militärisch den Rücken stärkt oder eben ihre Gegner mit Waffen versorgt. Mit den guten Kontakten zu Ägypten - mit einer langen und ungesicherten Grenze direkter Nachbar von Libyen - wäre dies auch jetzt technisch möglich.

Doch zu Hause muss sich Obama schon fragen lassen, wen er da mitten in der Wüste Nordafrikas eigentlich bewaffnen will. Auch Ägypten würde sich als Transitland wenig wohlfühlen. Niemand weiß, wie man eine aufgerüstete und dann völlig unkontrollierbare Rebellenbewegung nach einem möglichen Erfolg gegen Gaddafi später wieder entwaffnen soll.

Pessimisten warnen vor Qaida-Kontakten

Die Unklarheit über die Rebellen ist wohl das größte Hindernis auf dem Weg zu Waffenlieferungen an die Guerilla-Truppe. So sehr der Westen Gaddafi stürzen sehen will, so wenig weiß man über die Kämpfer und deren Motivation. In Washington warnen Pessimisten bei den Geheimdiensten schon vor möglichen Kontakten zu al-Qaida.

Die Angst hinter solchen Warnungen ist nachvollziehbar: Eine hochgerüstete Rebellenbewegung würde möglicherweise zu einer Art Waffenkammer für alle an Rüstungsgut interessierten Gruppen in Nordafrika mutieren. Mit dem Sturz von Gaddafi hätte man dann im schlimmsten Fall für eine Destabilisierung der gesamten Region gesorgt.

"Jeder macht hier, was er will"

Das größte Manko der Rebellen aber erscheint durch Hilfe von außen kaum zu lösen. Bis heute agieren die Aufständischen ohne jegliche militärische Führung. In der vergangenen Tagen schilderten Rebellen an der Front übereinstimmend, sie kämpften in kleinen Gruppen, meist bestehend aus einem Jeep mit mehreren Männern, völlig unabhängig voneinander.

Das Durcheinander an der Front war etwa beim Rückzug am Montag zu besichtigen. Weder schafften es die Rebellen, die strategisch wichtigen Anhöhen am Rande der Hauptstraße von Osten nach Westen zu sichern, noch war irgendeine Art von Aufstellung oder Strategie zu erkennen. "Jeder macht hier, was er will", sagte ein sichtlich enttäuschter Rebell, der früher Soldat unter Gaddafi war, nach der verlorenen Schlacht.

Das Training von Rebellen in Strategie und Militärtechnik aber wäre wesentlich schwieriger als die bloße Aufrüstung mit Waffen. Das Einfliegen von westlichen Militärs nach Libyen haben zumindest die USA früh ausgeschlossen.

Doch auch wenn - wie bereits im Irak oder Afghanistan - Exil-Libyer aus dem Westen als Anführer geschult würden und dann in den Konflikt eingreifen, wäre dies nicht ohne Risiko. Der Aufstand der Libyer gegen Gaddafi, begonnen von einer Handvoll Jugendlicher in Bengasi, würde vollends zu einer vom Westen gesteuerten Militäroperation mit ungewissem Ausgang. Selbst die waghalsigsten Militärplaner bei Pentagon oder in Paris würden einem solchen Manöver kaum zustimmen wollen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren