
Seniorenarmut in der Ukraine: Medikamente für die Ärmsten
Hilfe von SPIEGEL-ONLINE-Lesern Verarmte Rentner bekommen Gratis-Medikamente
Lemberg - Ksenja Mardan ist eine sehr religiöse Frau. Weil sie nicht viel mehr als ein Dankeschön geben kann, setzt sie gleich um, was sie verspricht. "Ich werde für die großherzigen Menschen in Deutschland beten", sagt die 78-Jährige. Und faltet mit ernstem Gesicht die Hände.
Dann ist es Zeit, sich zu freuen, über den Karton voll mit Lebensmitteln und darüber, dass dank der Spendenbereitschaft von SPIEGEL-ONLINE-Lesern und eines Zuschusses durch die Stiftung "Helfende Herzen" fast 8000 Euro für Lemberger Rentner in Not zusammenkamen.
Den Stein ins Rollen hatte die SPIEGEL-ONLINE-Reportage "13 Quadratmeter Elend" gebracht. Der Text erzählt die Geschichte von Ksenja Mardan exemplarisch für viele alleinstehende ukrainische Rentner, die von mageren 75 Euro Rente Lebensmittel, Strom, Wasser, Gas, Kleidung und vor allem auch Medikamente selbst zahlen müssen. In ihrem 13-Quadratmeter-Zimmer fristet sie ein Leben in bitterster Armut.
Als die Reportage im Februar erschien, gingen etliche Leser-Mails in der Redaktion ein. Alle Absender wollten helfen.
Am liebsten mit Patenschaften, lautete der Tenor in den Zuschriften. Doch das lässt sich nur dann gut umsetzen, wenn man viele Paten hat. "So hätte es möglicherweise Unfrieden unter den Senioren gegeben - bei denen, die nicht berücksichtigt werden", meint Ljubow Paprotska, Leiterin des örtlichen Pflegedienstes des Ukrainischen Roten Kreuzes. Krankenschwestern des Roten Kreuzes betreuen rund 2000 Senioren in Lemberg und Umgebung, setzen Spritzen, verabreichen Medikamente und besuchen die Senioren, wenn sie krank werden.
Andreas Formella, stellvertretender Landesgeschäftsführer des Badischen Roten Kreuzes , das sich seit gut einem Jahrzehnt als Partner der Lemberger Schwesterorganisation engagiert, SPIEGEL-ONLINE-Autor Till Mayer , der sich seit einer Buchrecherche 2007 ehrenamtlich vor Ort einsetzt, und die Rot-Kreuz-Vertreter vor Ort beschlossen daher, einen Fonds für kostenlose Medikamente einzurichten.
"Wir werden nicht allen Menschen helfen können"
"So kann breit gefächert geholfen werden. Der Medikamenteneinkauf erfolgt vor Ort und wird dokumentiert, die Klienten zeichnen bei Erhalt der Arzneien gegen", erklärt Formella. Die Spendengelder werden nach Bedarf und Verwendungsnachweis in Chargen in die Ukraine überwiesen.
Den Schwestern des Ukrainischen Roten Kreuzes wird es nicht schwer fallen, Empfänger zu bestimmen. Es sind die härtesten Fälle einer großen Schar verarmter Rentner: alte Menschen mit einer knappen Rente, ohne Familienmitglieder oder Bekannte, die sie unterstützen. Sie haben meist chronischen Erkrankungen oder sind nach einem Krankenhausaufenthalt auf Medikamente angewiesen.
"Wir werden nicht allen Menschen helfen können, die dringend Unterstützung benötigen. Aber in vielen sehr ernsten Fällen, wie dem von Frau Mardan, kann so den alten Menschen lebenswichtige Unterstützung gegeben werden", sagt Ljubow Paprotska.
Die 8000 Euro werden über das ganze Jahr 2011 verbraucht. Da Medikamente in der Ukraine in der Regel deutlich günstiger erhältlich sind als in Deutschland, ist mit dem Betrag einiges zu erreichen. Durch die ukrainische Gesetzgebung ist die Einfuhr von Arzneimitteln als humanitäre Hilfe kaum möglich. Daher mussten Medikamenten-Spenden von Ärzten leider abgewiesen werden.
Einmal im Monat will zukünftig das Ukrainische Rote Kreuz ein Kaffeekränzchen für vereinsamte Menschen anbieten. Für gehbehinderte Senioren wie Ksenja Mardan soll es einen kostenlosen Fahrdienst geben. Finanziert wird dies mit Mitteln des Badischen Roten Kreuzes.
Auch Stefania Jschuk, die zusammen mit ihrer geistig behinderten Tochter Soranya in bescheidensten Verhältnissen lebt, kam in der SPIEGEL-ONLINE-Reportage vor. Mutter und Tochter freuten sich ebenfalls über das Paket. Wie Frau Mardan leidet auch Frau Jschuk an einer chronischen Erkrankung. Sie wird ebenfalls zu den Nutznießern des Medi-Kontos zählen. Unterstützung durch Verwandte erfährt sie nicht, nur die Kirchengemeinde und die Rotkreuz-Schwestern helfen, soweit sie können.
Ihr Mann hatte Stefania Jschuk verlassen, als die Tochter mit einer Behinderung geboren wurde. Verbitterung blieb für die alte Frau trotz vieler Rückschläge im Leben ein unbekanntes Gefühl. Trotz aller Entbehrungen, der vielen schiefen Blicke, die sie wegen ihrer Tochter noch immer ertragen muss. Trotz ihrer Krankheit, die ihr bei jedem Schritt viel Kraft abverlangt.
"Ich muss dankbar sein, dass ich in meinem Leben immer von so guten Menschen unterstützt werde", sagt die 76-Jährige. Der Medikamenten-Fonds, findet sie, ist eine gute Sache.