
Südsudan: Es fehlt an allem
Hilflose Helfer im Südsudan "So können wir die Menschen nicht schützen"
SPIEGEL ONLINE: Seit fünf Jahren herrscht im Südsudan Krieg, die Menschen leiden Hunger, Millionen sind auf der Flucht. Kann man da überhaupt sagen, was aktuell das größte Problem des Landes ist?
Akodjenou: Es ist weiterhin der Krieg. Und es gibt keine Regierung, kein Recht, die Inflationsrate beträgt 600 Prozent. Natürlich ist Hunger ein drängendes Problem. Aber ich glaube, wenn alle Einrichtungen funktionieren würden, wenn die Rechtsstaatlichkeit gegeben wäre, hätten wir nicht so viele Menschen, die umherirren. Insgesamt ist derzeit jeder dritte Südsudanese auf der Flucht.

Arnauld Akodjenou ist der Südsudan-Koordinator des Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Der Uno-Hochkommissar für Flüchtlinge ernannten den 57-Jährigen im Juni 2017 zu seinem Sonderberater für die Lage im Bürgerkriegsland sowie die angrenzenden Länder Kenia, Sudan, Äthiopien, Uganda, Kongo und die Zentralafrikanische Republik, die aktuell 2,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Südsudan beherbergen. Akodjenou stammt aus Benin in Westafrika.
Akodjenou bei Twitter
SPIEGEL ONLINE: Kann das Flüchtlingshilfswerk den Menschen überhaupt helfen?
Akodjenou: Dass wir hier reden, zeigt, dass wir nicht ganz vergessen sind. Aber was die internationale Gemeinschaft tut, ist bei Weitem zu wenig. Nahrung, Unterkünfte, Bildung - all das fehlt. Es findet für zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen kein Schulunterricht statt.
SPIEGEL ONLINE: Liegt das allein an den Kämpfen im Land?
Akodjenou: Alle Akteure im humanitären Sektor sind unterfinanziert, wir haben nur acht Prozent unseres finanziellen Bedarfs gedeckt, acht Prozent! Wir benötigen 1,5 Milliarden Dollar. So können wir die Menschen nicht schützen.
SPIEGEL ONLINE: Die finanziellen Probleme sind gravierend, aber ist die Regierung des Südsudans ein guter Partner?
Akodjenou: Eine der zentralen Regierungsaufgaben ist es, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Momentan ist das im Südsudan überhaupt nicht der Fall. Was die zwei Millionen Menschen auf der Flucht innerhalb des Landes angeht, fehlt uns der Zugang. Es wurden sehr viele humanitäre Helfer getötet, immer wieder werden Helfer entführt. Das liegt an den vielen bewaffneten Gruppen, bei denen nicht klar ist, wer die überhaupt kontrolliert.
SPIEGEL ONLINE: In welcher Region ist es momentan am schlimmsten, und welches der umgebenden Länder hat die größten Probleme?
Akodjenou: Es ist, ehrlich gesagt, das ganze Land. Es gibt Regionen im Norden und im Süden, es würde Stunden dauern, sie alle aufzuzählen. Wir reden immer weniger über Hotspots, sondern über das gesamte Volk. Sie bekommen einfach nicht die Hilfe, die sie brauchen.

Südsudan: Es fehlt an allem
SPIEGEL ONLINE: Wie ist die Situation in den Nachbarländern?
Akodjenou: Derzeit sprechen wir von 2,5 Millionen südsudanesischen Flüchtlingen im Ausland. Wir befürchten, dass es bis Jahresende 3,1 Millionen sein werden, wenn die Hilfen nicht aufgestockt werden. Viele der zwei Millionen Menschen, die im Land auf der Flucht sind, werden angesichts der aktuellen Lage versuchen, ins Ausland zu gelangen.
SPIEGEL ONLINE: Sie sollen mit der Regierung zusammenarbeiten. Viele Analysten sehen aber Präsident Salva Kiir und und die nationalen Regierungstruppen als Kriegspartei gegen die eigene Bevölkerung.
Akodjenou: Alle beteiligten Gruppen müssen sich zusammensetzen und Frieden schließen. Regierung, Zivilgesellschaft, Opposition müssen gemeinsam eine Lösung finden, wie sie die Macht aufteilen und die Institutionen wiederherstellen.
SPIEGEL ONLINE: Besteht diese Möglichkeit? Es wird seit Jahren auf internationaler Ebene verhandelt, bisher hat aber kein Deal gehalten.
Akodjenou: Es gibt Vorschläge von der Igad-Staatengruppe in Ostafrika. Und unter dem Einfluss der Afrikanischen Union und des Uno-Sicherheitsrates wird etwas passieren, das denke ich schon.
SPIEGEL ONLINE: Ist die Regierung überhaupt daran interessiert, den Konflikt zu lösen?
Akodjenou: Sie sind da, sie sind an der Macht, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie kein Interesse am Frieden haben. Noch einmal: Alle sind gefordert, und die internationale Gemeinschaft muss helfen.