Hillary Clinton in der Stunde der Niederlage Abgemeldet

Hillary Clintons Präsidentschaftsträume versickern in einer schockierenden Niederlage. Das muss schwer zu verkraften sein - trägt sie doch selbst die Hauptschuld daran.
Hillary Clinton, Mitarbeiter

Hillary Clinton, Mitarbeiter

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Die Verliererin lässt sich zunächst entschuldigen. Es ist Nacht in Manhattan, und ob Sieg oder - wie es zu dieser Zeit immer unvermeidbarer scheint - Niederlage: Tausende warten unter einem gigantischen Glasdach auf Hillary Clinton.

Sie warten auf ihre Heldin, viele mit gebrochenem Herzen, andere resigniert, entsetzt, wütend. Sie warten darauf, tröstende Worte zu hören. Worte des Zuspruchs, des Dankes, was auch immer. Worte. Mehr wollen sie nicht.

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Traurige Demokraten: Was war das denn, Hillary?

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Schließlich erscheint John Podesta, Clintons hagerer Wahlkampfmanager. Schreitet über die Bühne, deren Umrisse denen der USA nachempfunden sind und die sie mit Flaggen flankiert haben. Podesta tritt ans Mikrofon.

"Es war eine lange Nacht, und es war ein langer Wahlkampf", sagt er. "Und wir können noch etwas länger warten, oder?" Verblüffung. Warten? Worauf denn noch? "In mehreren Staaten steht es zu knapp, also haben wir heute Abend nichts mehr zu sagen." Nichts mehr sagen? Anschwellendes Gemurmel in der Menge.

John Podesta in New York

John Podesta in New York

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"Unser Enthusiasmus bedeutet ihr so viel", fährt Podesta fort, ohne Clintons Namen zu nennen, als rede er von einer indisponierten Patientin. "Vielen Dank, dass ihr ihr zur Seite gestanden habt. Gute Nacht. Wir werden zurück sein, wir werden mehr zu sagen haben. Lasst uns diese Stimmen zählen."

Und mit diesem merkwürdigen und in seiner Art empörenden Statement endet die Party der Clinton-Fans. Doch ihr wahrer Horror folgt erst noch. Kurz darauf melden die TV-Sender, Clinton habe Donald Trump telefonisch zum Sieg gratuliert - was sie ihren Anhängern wohl nicht mehr direkt gestehen wollte oder konnte.

Es ist ein ruhmloses Ende eines kruden Wahlkampfes - eine selbst verschuldete Misere. Geschlagen von einem Reality-Star, beschließt dieser Abend Clintons 30-jährige Politkarriere und ihren nun endgültig verpassten Traum, Amerikas erste Präsidentin zu werden, mit einem kaum hörbaren Seufzer.

Ihre Getreuen, die hier im Jacob Javits Center am Hudson River stundenlang ausgeharrt haben, lässt sie im Stich. Warum, darüber können sie nur spekulieren. Ist sie zu verzweifelt? Zu schwach? Und wie konnte es so weit kommen?

Clinton-Fan

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"Trumps Programm war reiner Hass", tippt Deray McKesson, ein Mitbegründer der Aktivistengruppe Black Lives Matter, in sein Handy. Der 31-Jährige, der seit den Unruhen von Ferguson zu einer der profiliertesten Stimmen in der Diskussion um Polizeigewalt geworden ist, ist von Baltimore nach New York gekommen, um, so hoffte er, einen Sieg Clintons zu feiern.

Doch Hass allein ist keine Erklärung. Für Clintons Niederlage gibt es viele Gründe, über die sich die nicht minder geschockten Analysten in den nächsten Wochen, Monaten, wenn nicht Jahren den Kopf zerbrechen dürften.

  • Politische Gründe: "Die Demokratische Partei wird sich fundamental ändern müssen", sagt McKesson. Nachwuchslos und aufs Establishment fixiert, um Revoluzzern wie Bernie Sanders oder Wahlgaranten wie Joe Biden eine Chance zu geben, haben sich die Demokraten ins Abseits manövriert.
  • Wirtschaftliche Gründe: In Teilen der USA lebt die Rezession weiter - nicht nur gefühlt, sondern für Millionen Amerikaner auch konkret. Ihnen bot Clinton keine glaubhafte Alternative, während Trump sie mit leeren Parolen bezirzte.
  • Demografische Gründe: Die "schweigende Mehrheit" der Weißen, die Trump so gerne beschwört, hat sich gerächt für den letztendlich unaufhaltsamen Wandel ihres Landes zu einer bunten, heterogenen Gesellschaft, während die Millennials, die dem entgegensteuern könnten, viel zu lethargisch blieben.
  • Historische Gründe: Im Innersten ist Amerika rassistischer, gewaltbereiter, fortschrittsfeindlicher, als man gedacht hat. Die Wahl Barack Obamas zum ersten schwarzen Präsidenten hat eine mächtige Gegenbewegung geweckt, die lange geschlummert hat und nun, durch Trumps Sieg, legitimiert ist.

Hillary Clinton war immer eine miserable Kandidatin, gebrandmarkt vom irrationalen Hass der Rechten und von selbst verschuldeten Skandalen, Skandälchen, ethischen Kompromissen.

In vieler Hinsicht aber war sie die richtige Frau zur falschen Zeit. Eine Kungelveteranin der Neunziger, verwurzelt in den Themen der Sechziger, doch völlig fehl am Platze in unserer Social-Media-Zerrwelt, in der bildungsferne Reality-Stars mehr Macht haben als Intellektuelle.

Unter ihren Anhängern beginnen Debatten, die zuvor undenkbar waren: Was tun wir jetzt? Auswandern, wie viele postuliert hatten? Bleiben und erst recht kämpfen?

"Ich werde nicht verzweifeln", beharrt Linda Sarsour, die Chefin der Arab American Association of New York. "Wir werden uns organisieren, wie wir uns noch nie organisiert haben, trotz allem."

Das muss auch Clinton. Bis zuletzt hat sie im Kreise ihrer Familie in einer Hotelsuite ausgeharrt, unweit des Trump Towers, ironischerweise. Zwei Reden hatte sie von Anfang an parat, eine Sieger- und eine Verliererrede. Dass sie nicht mal Letztere hielt, verschärfte den Eindruck der Demütigung.

Die letzte Rede an diesem Tag nach der Niederlage wird die schwerste ihres Lebens.

Alle Entwicklungen live in unserem Newsblog.

Video-Kommentar: "Wir sind endgültig im Zeitalter des Populismus angekommen"

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