Historische Abstimmung Tunesien geht zur ersten freien Wahl

Wahllokal in tunesischer Hauptstadt Tunis: Erste freie Wahlen in der Geschichte des Landes
Foto: FETHI BELAID/ AFPTunis - In Tunesien haben am Sonntagmorgen die ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes begonnen. Neun Monate nach dem Sturz von Langzeitherrscher Zine el-Abidine Ben Ali dürfen rund sieben Millionen Wahlberechtigte die 217 Mitglieder einer Verfassungsgebenden Versammlung bestimmen. Diese soll eine neue Übergangsregierung benennen und ein Grundgesetz erarbeiten. Spätestens in einem Jahr sind dann Parlaments- und Präsidentschaftswahlen geplant.
Vor einzelnen Stimmlokalen bildeten sich nach Angaben von Wahlbeobachtern bereits kurz nach der Öffnung lange Schlangen. "So etwas hat es in Tunesien noch nie gegeben", berichteten Augenzeugen.
Mit Spannung wird erwartet, welches politische Lager in der Verfassungsgebenden Versammlung die Mehrheit stellen wird. Für die 217 Sitze kandidieren 11.618 Kandidaten. Umfragen zufolge könnte die islamistische Ennahdha-Bewegung mit 20 bis 30 Prozent der Stimmen die stärkste Einzelpartei werden. Sie hat allerdings nur wenige mögliche Koalitionspartner und damit nur geringe Aussichten, die politische Führung zu übernehmen.
Übergangspräsident kündigt Rückzug an
Erste Ergebnisse aus den 27 tunesischen Wahlkreisen sollen bereits am Sonntagabend bekanntgegeben werden. Ein vorläufiges Endergebnis wird für Montag erwartet.
Der Ablauf der Wahlen wird auch im Ausland mit großem Interesse verfolgt. Im Januar hatten die Tunesier als erstes Volk in der Region erfolgreich gegen die autoritäre Herrschaft ihrer Führung rebelliert. Tunesien wird deshalb auch als Mutterland des Arabischen Frühlings bezeichnet. Der gestürzte Herrscher Ben Ali lebt seit seiner Vertreibung in Saudi-Arabien im Exil.
Übergangspräsident Foued Mebazaa kündigte an, sich nach der Wahl am Sonntag endgültig aus der Politik zurückziehen zu wollen. "Ich werde die Ergebnisse anerkennen, wer auch immer der Gewinner ist und was auch immer die Farbe der Mehrheit sein wird", sagte Mebazaa der Sonntagsausgabe der arabischsprachigen Zeitung "Assabah". Er sicherte zu, die Macht an den Präsidenten zu übergeben, der von der neuen Verfassunggebenden Versammlung bestimmt werde.
Der 78-jährige gemäßigte Politiker, der nach dem Sturz Ben Alis an die Spitze des Staates gelangt war, warnte vor Überraschungen bei der ersten freien Mehrparteienwahl des Landes. Mebazaa betonte aber, er habe Vertrauen in die Mäßigung des Volkes und seiner Anführer.
Mebazaa dankte auch der Wahlkommission und seinem Präsidenten, dem früheren Oppositionellen Kamel Jendoubi, für die Organisation der Wahlen. Diese würden erstmals unter der Aufsicht einer unabhängigen Wahlkommission anstatt unter der Kontrolle der Regierung abgehalten, sagte Mebazaa.