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Regierungschefinnen Was Merkel von Thatcher unterscheidet

Margaret Thatcher und Angela Merkel waren die ersten Frauen an der Spitze ihrer Länder. Beide konservativ, beide in manchem ähnlich, in vielem grundverschieden - die eine polarisierte, die andere kann versöhnen.

Es ist nicht überliefert, dass die beiden sich einmal in Ruhe unter vier Augen ausgetauscht hätten: darüber, wie man männliche Rivalen kaltstellt oder darüber, wie man mit Beharrlichkeit politische Erfolge erzielt. Sie hätten sich ohne Frage etwas zu sagen gehabt, doch der Altersunterschied zwischen beiden Politikerinnen betrug 29 Jahre.

Als Margaret Thatcher im November 1990 als Premierministerin zurücktrat, begann Angela Merkel gerade, sich im "Demokratischen Aufbruch" zu engagieren. Thatcher, geboren 1925, war vom Krieg gegen die Deutschen geprägt, Angela Merkel, geboren 1954, von einem der Ergebnisse dieses Krieges, der Deutschen Demokratischen Republik. Thatcher war eine Politikerin des Kalten Kriegs, Merkel manövriert durch die unübersichtliche Welt nach dem Ende des sozialistischen Blocks.

Trotz des Altersunterschieds sind sich Thatcher und Merkel in manchem sehr ähnlich. Beide waren ursprünglich Naturwissenschaftlerinnen. Thatcher studierte in Oxford Chemie, Merkel in Leipzig Physik. Von der in diesen Fächern geübten sachlichen Sicht der Welt ist ihnen ein rationaler Pragmatismus geblieben, ohne den sich nicht erfolgreich Politik machen lässt.

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Margaret Thatcher ist tot: Die Eiserne Lady

Foto: Gerald Penny/ AP/dpa

Eine weitere Gemeinsamkeit: Merkels Vater war evangelischer Pfarrer, Thatchers Vater führte einen Lebensmittelladen, aber betätigte sich auch als methodistischer Laienprediger. Beide haben dementsprechend bibelfest und rhetorisch versiert ihre Familien verlassen.

Thatchers Weg war deutlich mühevoller als der von Merkel

Thatchers Weg in die Downing Street war allerdings deutlich mühevoller als der von Merkel ins Kanzleramt. Bereits 1950 kandidierte die Engländerin erstmals für einen Sitz im Unterhaus, erst 1959 eroberte sie den Nord-Londoner Wahlkreis Finchley. Die Konservativen gerieten bald in die Opposition, und es dauerte bis 1970, bis Thatcher erstmals Ministerin wurde. Den Parteivorsitz der Konservativen übernahm sie 1975 und gewann 1979 erstmals die Wahlen zum Unterhaus. Zwei weitere Wahlsiege sollten noch folgen. Ende November 1990 verließ sie mit von Tränen geröteten Augen die Downing Street. Die eigenen Parteifreunde hatten sie zum Rücktritt gezwungen.

Merkel diente Helmut Kohl brav als Ministerin, bis sie im richtigen Moment Wolfgang Schäuble ausschaltete, die Führung der Partei übernahm und ihre männlichen Rivalen austrickste.

Der wesentliche Unterschied zwischen Thatcher und Merkel: Die Engländerin hat stets polarisiert, die Deutsche kann versöhnen. Auch wenn Thatcher nach ihrem Rücktritt kaum mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten ist, gleichgültig ist sie den Briten in keiner Weise. Die Eiserne Lady wird geliebt, oder sie wird gehasst. Für die Konsolidierung des Haushalts durch Privatisierungen, für das Zerschlagen der Bergarbeitergewerkschaft, für den absurden Krieg um die Falkland-Inseln.

Die meisten Briten, seien es alte Linke, junge Migranten, Schotten oder Walliser, hassen Thatcher bis heute: Für ihre Freundschaft mit Ronald Reagan, für ihre Demontage des Sozialstaats, für ihre Privilegierung der Reichen. Sie hassen die Eiserne Lady, so wie Angela Merkel in Deutschland nie gehasst wurde und nie gehasst werden wird.

Thatcher wollte eine Revolution

Als Thatcher in die Downing Street Nr. 10 einzog, zitierte sie Franz von Assisi: "Wo Streit ist, da mögen wir Harmonie bringen." Doch sie wollte eine Revolution und hat Großbritannien grundlegend verändert.

Nur, was will Merkel? Die deutsche Kanzlerin ist wesentlich ruhiger und abwartender als ihre einstige britische Kollegin. Das ist auch nicht schlecht so, denn sie ist auch deutlich mächtiger und wichtiger als Thatcher es war. Merkel ist die Krankenpflegerin des Euro, an der Spitze eines der einflussreichsten Länder der EU. Thatcher fiel in der EU durch beständige Vetos lästig, aber konnte die Phantomschmerzen der Briten nach dem Verlust ihres Empires auch nicht kurieren.

Während Merkel gerne bis zur Unkenntlichkeit ihrer Positionen pragmatisch und opportunistisch vorgeht, war Thatcher eine beinharte Ideologin, eine Vertreterin der Generation, die mit Überzeugungen und Dogmen Politik machte. Auf einem Parteitag der Konservativen erklärte sie: "The Lady is not for turning." Ihre Anhänger jubelten.

Merkel hingegen wendet sich, sobald es ihr opportun erscheint und es der Machterhalt gebietet. Das ist nicht heroisch, aber oft schlau. Noch ist die Ostdeutsche aus der Uckermark erst an die acht Jahre Kanzlerin, doch es deutet vieles darauf hin, dass sie elfeinhalb Jahre von Maggie Thatcher als Premierministerin übertreffen wird.

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